4. Osnabrücker Kongress „Kindheit in Bewegung“ mit 2800 Experten

 

Die Grundlagen für lebenslanges Sporttreiben zur Gesunderhaltung des Menschen müssen im Elternhaus und im Kindergarten gelegt werden. Dies ist die

Botschaft des 4. Kongresses der Universität Osnabrück, der unter dem Thema „Kindheit in Bewegung“ stand und mit einer Teilnahme von rund 2800 Expertinnen und Experten zum größten seiner Art in Deutschland wurde. Organisatorin des vielbeachteten Kongresses ist die Osnabrücker Sportwissenschaftlerin Prof. Dr. Renate Zimmer, die bestätigt, was etliche Wissenschaftler in jüngster Zeit propagiert haben: „Die motorischen Leistungen der Kinder haben sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, zum Teil sogar drastisch.“ Kindergärten und Schulen könnten dieser Tendenz entgegenwirken, meint Zimmer, die kritisiert, dass heute in Bildungskonzepten die enge Verbindung zwischen Wahrnehmung, Bewegen, Handeln und Denken viel zu wenig berücksichtigt wird. Dabei könne die Einbeziehung von mehr Bewegung zu einer vielseitigen, nachhaltigen Bildung des Kindes beitragen und das Lernen lustvoller, effektiver und kindgerechter gestalten sowie die Eigenaktivität fördern.

Mehr als 130 Referentinnen und Referenten gestalteten den 4. Kongress der Universität Osnabrück, der in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sportjugend und der Deutschen Turnerjugend stattfand, in Vorträgen, Seminaren, Workshops und Diskussionsforen und boten ein breites Spektrum an wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten. In 180 Einzelveranstaltungen wurde der Zusammenhang von Wahrnehmung, Bewegung und Lernen diskutiert. Teilnehmer waren Erzieher, Lehrer, Sozial- und Heilpädagogen, Motopäden, Physio- und Ergotherapeuten, Psychologen und Ärzte aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Italien, Luxemburg, Finnland und Griechenland.

Prof. Renate Zimmer sagte, dass die Kinder mit mehr als 100 Milliarden Nervenzellen zur Welt kommen, mit denen sie aber nur dann etwas anfangen können, wenn entsprechende Verknüpfungen vorgenommen werden. So bezeichnete sie die Aufbewahrung der Babys auf einer Babysafe-Schale als „praktisch, aber nicht gesundheitsfördernd“. Sie brach eine Lanze für den guten alten Laufstall, der gegen das Babysafe geradezu paradiesisch gewesen sei und in dem die Kinder krabbeln, robben, turnen und sich hochhangeln konnten. „Bewegungsförderung ist heute Kern der Gesundheitsförderung“, stellte Prof. Dr. Klaus Hurrelmann aus dem Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Universität Osnabrück im Eröffnungsvortrag fest und forderte, die Arbeitsfelder der Kinder neu zu vermessen. Die Kinder müssten in einer Welt ohne Geheimnisse wie kleine Erwachsene aufwachsen und würden beispielsweise über die Medien haarklein alles erfahren, was mit dem Krieg im Irak zusammenhängt. Immer größere Bedeutung komme dem Kindergarten zu, obwohl die Eltern denken, dass mit dem ersten Tag der Grundschule die Karriere ihres Kindes beginnen würde.

Man möge trotz der nach der vorgelegten Pisa-Studie gestarteten Aktion „Investition in die Köpfe der Kinder“ auch die Arme und Beine nicht vergessen, forderte Dr. Alexander Woll von der Universität Karlsruhe, der in einer Fitness-Untersuchung von Schulkindern festgestellt hat, dass zwar die Feinmotorik wie das Klicken mit der Maus verbessert wurde, aber deutliche Rückgänge in den Bereichen Kraft und Ausdauer registriert wurden. 25 Prozent der untersuchten Kinder würden nur noch einmal in der Woche draußen spielen. Die Kinder würden viel zu früh gezielt trainiert, könnten aber nicht mehr spielen. Dr. Woll: „Die beherrschen den Spannschuss im Fußball, können aber nicht mehr auf den Baum klettern, um den Ball zu holen, den sie hochgeschossen haben.“

Positive Beispiele in der Zusammenarbeit von Sportverein und Kindergarten gibt es erfreulicherweise in allen Bundesländern. Vier Modellprojekte fanden in Osnabrück große Beachtung. Im Kinderbewegungszentrum Bremen 1860 tummeln sich wöchentlich regelmäßig 1000 Kinder aus dem Verein, doch 3000 kommen noch von außen hinzu. Kindergärten haben Abonnements auf die Räume, Kinderärzte bieten Kurse für herzkranke Kinder, Kindergeburtstage werden sportlich gefeiert, und unter dem Thema „Big Kids“ macht die Verbraucherzentrale übergewichtigen und essgestörten Kindern bei psychologischer Betreuung Hunger auf Bewegung. „Kleine kommen ganz groß raus“ heißt das Motto bei der Sportjugend Berlin, die ausgebildete Übungsleiter in die Kindergärten zur Bewegungsstunde schickt. Das Zertifikat „Anerkannter Bewegungskindergarten“ wurde bereits 26 Mal in Nordrhein-Westfalen vergeben, wo Sportvereine sogar Träger von Kindergärten werden und bereits 680 Erzieherinnen und Erzieher nach einer Sonderausbildung Sportstunden erteilen können. Das „Soziale Dreieck“ in dem Wiesbadener Stadtteil Breckenheim stellt eine beispielhafte Zusam-menarbeit von Sportverein, Kindergarten und Grundschule dar, die mit der Schwangeren-Gymnastik beginnt und beim Stadtwettbewerb der Bundesju-gendspiele endet. Das Besondere an diesem Projekt: Alle Grundschulkinder sind im TV Breckenheim beitragsfrei gestellt und wechseln danach erfahrungsgemäß bis auf wenige Ausnahmen in die beitragspflichtige Mitgliedschaft.

Das Fazit von Osnabrück: Die Kindheit ist bereits vielerorts in Bewegung. Jetzt gilt es, weiter Wissen zu vermitteln, bewährte Modelle ins Land zu tragen und zusammenzuführen und bürokratische Hindernisse abzubauen. Dann sollte - wie auf dem Logo zum Kongress zu sehen - der Grätschsprung unserer Jugend über den Computer gelingen.