50 Jahre München 1972: Olympiasieger Hans-Johann Färber

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Olympischen Spiele von München 72 stellen wir deutsche Olympiasieger*innen von damals vor: In Folge 3 Ruderer Hans-Johann Färber (2.v.re.)

Die deutschen Ruderer (v.li) Alois Bierl, Gerhard Auer, Steuermann Uwe Benter, Hans-Johann Färber und Peter Berger auf dem Siegerpodest mit ihren Goldmedaillen. Der deutsche Vierer mit Steuermann, auch Bodensee-Vierer genannt, gewann auf der Regattastrecke in Oberschleißheim am 2.9.1972 Gold vor der DDR und der Tschechoslowakei. Foto: picture-alliance
Die deutschen Ruderer (v.li) Alois Bierl, Gerhard Auer, Steuermann Uwe Benter, Hans-Johann Färber und Peter Berger auf dem Siegerpodest mit ihren Goldmedaillen. Der deutsche Vierer mit Steuermann, auch Bodensee-Vierer genannt, gewann auf der Regattastrecke in Oberschleißheim am 2.9.1972 Gold vor der DDR und der Tschechoslowakei. Foto: picture-alliance

Für Hans-Johann Färber ist das Rennen präsent wie eh und je. Das olympische Finale im Vierer mit Steuermann vor 50 Jahren, am 2. September 1972, bleibt unvergessen. Ebenso unvergessen für ihn aber auch die „angefangenen heiteren Spiele einerseits und die Trauerspiele andererseits“, als nach dem Attentat am 5. September nichts mehr so war wie vorher. 

Vorher, das war natürlich das Rennen, und das endete mit einem klaren Sieg für den „Bodensee-Vierer“ vor dem Team der DDR. Peter Berger, Hans-Johann Färber, Gerhard Auer, Alois Bierl und Steuermann Uwe Benter hatten die Situation auf der Regattastrecke Oberschleißheim stets im Griff und hätten sogar noch zulegen können, wenn eine kritische Situation eingetreten wäre. „Wir waren überglücklich, das ja“, sagt Färber heute, „aber nicht so überschwänglich, wie man das vielleicht vermuten würde. Da war eine ganze Portion Demut dabei. Demut darüber, dass wir das wirklich geschafft hatten.“ Denn das deutsche Boot war haushoher Favorit.

Die Geschichte dieses Rennens begann 1969, als die Ruderer noch damit beschäftigt waren, die Niederlage von 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko zu verdauen. Auch damals war man Favorit gewesen. Zu Schlagmann Berger und Färber kamen zwei Neue ins Boot, und in dieser Formation blieb die Crew die nächsten vier Jahre zusammen, außer einem Wechsel des Steuermanns 1971.  „Da gab es kein Vertun und kein Nachdenken, wie man das Boot vielleicht noch verstärken könnte“, sagt Färber, „wir waren eine verschworene Gemeinschaft. Jeder Einzelne war so diszipliniert, dass er sich knallhart an alle Trainingsempfehlungen gehalten hat, die wir gemeinsam mit dem Trainer entwickelt haben. Wir hatten ja noch 1968 im Kopf.“

Der Vierer gewann in den folgenden Jahren alle bedeutenden Rennen. Der Hauptgegner, das Boot der DDR, verlor ein ums andere Mal gegen die Konkurrenz aus dem Westen. Nach jedem Rennen wurde die Besatzung aufgelöst und neu besetzt. „So wurden wir jedes Mal mit einem neuen Gegner konfrontiert“, sagt Färber. „Wir konnten die nie richtig einschätzen. Trotzdem ist es uns immer wieder gelungen, die Rennen für uns zu entscheiden.“

Vor dem entscheidenden Jahr 1972 hatte die DDR-Mannschaftsführung sogar ihren stärksten Achter aufgelöst, der im Jahr zuvor Europameister geworden war, und dem Vierer geopfert. So saßen die stärksten DDR-Ruderer im Vierer. „Die wollten unbedingt diesen BRD-Vierer knacken bei den Olympischen Spielen“, sagt Färber. Bei der Rotsee-Regatta im Frühsommer 1972 sah es eine Zeitlang sogar danach aus, als ob das klappen könnte. „Die sind unfassbar schnell angegangen“, erinnert sich Färber, „die waren bei 1000 Metern zweieinhalb Bootslängen vor uns. Wir waren wirklich geschockt.“ Aber dann machte der „Bodensee-Vierer“ das Unmöglich möglich, fuhr einen „1000-Meter-Endspurt“, so Färber, zog bei 1800 Meter vorbei und gewann. 

Die Rotsee-Regatta war ein Warnschuss zur richtigen Zeit, denn noch blieben ein paar Wochen, um das Training nochmal etwas anzupassen. „Unser Fokus lag nun darauf, auf den ersten 1000 Metern besser zu werden und die DDR maximal eine halbe Länge wegziehen zu lassen“, erklärt Färber. „So sind wir dann auch das Finale angegangen. Die DDR führte bei 950 knapp eine halbe Länge, und dann kam unser Turbo-Angriff. Wir haben Schlag auf Schlag aufgeholt, lagen bei 1000 schon knapp in Führung und haben das Rennen relativ sicher nach Hause gebracht.“

Es war ein historisches Rennen. Der „Bodensee-Vierer“ war nicht nur Favorit, sondern auch populär. Die Bildzeitung hatte ihn in „Bullenvierer“ umbenannt, obwohl die Athleten anderer Nationen genauso gebaut waren wie die Westdeutschen und die Insassen des DDR-Boots exakt das gleiche Gewicht auf die Waage brachten. Der Name, obwohl von der Mannschaft nicht geschätzt, blieb haften. Einmalig war aber vor allem die Zuschauerkulisse. „Nicht nur die Tribüne war brechend voll, auch auf der gegenüberliegenden Seite, wo gar keine Zuschauer vorgesehen waren, rissen sich viele um einen Platz. Kurzfristig schnitten die Organisatoren einen Zaun auf, verkauften Tickets für fünf Mark und ließen die Menschen in ein Gebiet, das man dann noch einigermaßen kontrollieren konnte. „Der ganze Hügel war voller Menschen“, berichtet Färber, „es sollen rund 42.000 gewesen sein, das gab`s noch nie. Ich kann mich an keine Olympischen Spiele erinnern, bei denen so viele Zuschauer beim Rudern waren.“

Nach seinem Karriereende blieb Hans-Johann Färber neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit im Olympiapark eng mit dem Rudern verbunden, als Trainer, als Leiter der Regattastrecke und später auch als Leiter des Olympiastützpunkts Bayern, den er mit aufgebaut hatte. Heute ist er vor allem durch seine Enkel, Einer-Weltmeister Oliver Zeidler und dessen Schwester Marie-Sophie, die auch schon erste Meriten einfuhr, hautnah am Geschehen dran. Beide profitieren von der Erfahrung des Opas, dessen Schwiegersohn ebenfalls erfolgreich ruderte und nun seinen Sohn trainiert.

Färber erzählt gerne von der direkten Vorbereitung auf München 1972, als sich die deutschen Ruderer auf dem Silvretta-Stausee den letzten Feinschliff holten. „Wir hatten alle unsere Planung. Aber wir aus dem Vierer haben uns jeden Abend mit unserem Trainer zusammengesetzt und besprochen, wie der Tag war und wie die Belastung verkraftet wurde. In der Höhe muss man noch mehr aufpassen, dass man nicht überzieht.“ So ließ der Vierer eines Vormittags das Training aus, nach zehn Tagen gab es einen komplett bootsfreien Tag. Stattdessen ging es auf eine Bergwanderung. „Die hat uns zwar mehr angestrengt als Training, aber mental entspannt. Das gemeinsame Erlebnis hat uns weiter zusammengeschweißt. Am nächsten Tag waren wir wieder frisch und mit großer Freude im Boot. Alle anderen sind stur bei ihrer Planung geblieben und haben gar nicht gemerkt, wie sie sich immer mehr von der Leistung entfernt haben.“

Genau solche Erfahrungen gibt er seinen Enkeln mit: Pausen machen, mal andere Belastungsformen wählen, auf den Körper hören. Wenn er an die Vergangenheit denkt, kommt auch Kritik am aktuellen System auf, mit dem er nicht immer einverstanden ist. Das generelle Zentralisieren gefällt ihm nicht – auf jeden Fall nicht da, wo andere erfolgreiche Systeme wirken. Aus seiner Erfahrung funktioniert Leistungssport ohnehin nur, wenn Sportlerinnen und Sportler ehrlich und selbst überzeugt an ihren Zielen arbeiten, „auch wenn sie mal aus dem Blickfeld des Trainers verschwunden sind“.

„Bei uns hat sich das alles im Team geregelt“, sagt er, „wenn einer mal nachließ, hat er die Ansage aus der Mannschaft bekommen, was ist los, bist du krank oder hast du zu wenig gemacht? Und dann ist das in drei Wochen wieder behoben.“ Der „Bodensee-Vierer“ war eine Rudergemeinschaft aus fünf Vereinen. „Wir hatten im Jahr maximal zwei Zusammenführungen mit je 14 Tagen zusammen, außerdem haben wir uns zum Wochenendtraining in der Regel alle zwei Wochen am Bodensee getroffen. Den Rest haben wir alleine gemacht im Verein oder am Studienort. Jeder ist Einer gefahren und hat sich so optimal vorbereitet. Die Konkurrenz war damals auch stark – wir hatten einen wesentlich stärkeren Ostblock als heute. Und wir sind erfolgreich gewesen mit unserem System.“

Der Vierer war das einzige Boot aus der Bundesrepublik, das in München eine Goldmedaille gewann. Entsprechend wurde gefeiert, auch in der Nacht vom 4. auf den 5. September, am Starnberger See. Am nächsten Morgen fuhren die Athleten zurück ins Olympische Dorf und sahen sich mit dem riesigen Polizeiaufgebot und vielen Kontrollen konfrontiert. „Wir haben nichts mitbekommen, was in der Nacht passiert ist“, sagt Färber, „und im Quartier gab es auch keine Informationen. Keiner wusste was. Wir waren auf das Fernsehen angewiesen. Da war eine richtige Starre in jedem.“ Die Trauerfeier im Olympiastadion, an der sie alle teilnahmen, bleibt in Erinnerung. Ebenso die Erleichterung, als IOC-Präsident Avery Brundage sagte, die Spiele gehen weiter. „Ich fand das auch richtig so, auch im Nachhinein“, sagt Färber heute.

Die Erinnerung an 1972 umfasst nun immer alles: Die begonnenen heiteren Spiele, das Rennen, die Siegerehrung, die Goldmedaille, aber auch die bleierne Stimmung nach dem Attentat.

(Autorin: Ulrike Spitz)


  • Die deutschen Ruderer (v.li) Alois Bierl, Gerhard Auer, Steuermann Uwe Benter, Hans-Johann Färber und Peter Berger auf dem Siegerpodest mit ihren Goldmedaillen. Der deutsche Vierer mit Steuermann, auch Bodensee-Vierer genannt, gewann auf der Regattastrecke in Oberschleißheim am 2.9.1972 Gold vor der DDR und der Tschechoslowakei. Foto: picture-alliance
    Die deutschen Ruderer (v.li) Alois Bierl, Gerhard Auer, Steuermann Uwe Benter, Hans-Johann Färber und Peter Berger auf dem Siegerpodest mit ihren Goldmedaillen. Der deutsche Vierer mit Steuermann, auch Bodensee-Vierer genannt, gewann auf der Regattastrecke in Oberschleißheim am 2.9.1972 Gold vor der DDR und der Tschechoslowakei. Foto: picture-alliance