Die junge Frau strahlte. Die Landung nach dem gelungenen Yamashita mit ganzer Drehung war perfekt. Nicht die Spur eines Wacklers bei diesem Sprung über das Pferd, obwohl die Bandage am linken Knöchel zart darauf hinwies, dass nicht alles zu 100 Prozent in Ordnung war. Auch heute, rückblickend, sagt Karin Büttner-Janz, dass die Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen in München durch diese Verletzung für sie „eine totale Herausforderung“ waren. An diesem 31. August 1972 war sie als Karin Janz Doppel-Olympiasiegerin in den Gerätefinals Pferdsprung und Stufenbarren geworden, dazu hatte sie Bronze am Schwebebalken geholt und zuvor schon zweimal Silber im Mehrkampf (Einzel und Mannschaft) gewonnen.
Drei Wochen zuvor war sie beim Pferdsprung umgeknickt und die so zielgerichtete Planung für die Olympischen Wettbewerbe war dahin. „Das war Hardcore“, sagt sie heute. „Ich hatte keine Erfahrung mit so etwas und konnte wegen dem verletzten Fuß nur noch selbst entscheiden, was überhaupt möglich war im Training. Meine Boden- und Balkenübung habe ich mir immer wieder mental vorgestellt, am Barren habe ich ohne Auf- und Abgang trainiert, der Sprung ging zunächst gar nicht, so dass ich mir auch dort immer wieder vorgestellt habe, was ich machen muss.“ Spritzen mit einem Lokalanästhetikum, um die Schmerzen zu verdrängen, kamen für sie nicht in Frage. „Ich hatte Angst, dass dann meine Körperbeherrschung in dieser Region leidet und vielleicht noch etwas Schlimmeres passiert. Aber allmählich wurde es besser und weniger schmerzhaft. Und irgendwie hab ich`s geschafft.“ Und wie.
Die damals 20 Jahre alte Turnerin aus der DDR war mit ihren fünf Medaillen die erfolgreichste gesamtdeutsche Sportlerin. Sie war auch erfolgreicher als Olga Korbut (UdSSR), die mit ihren 16 Jahren, den lustigen Rattenschwänzchen, ihrem strahlenden Lachen und den entsprechenden Leistungen der Publikumsliebling war. Büttner-Janz erinnert sich natürlich noch an das Pfeifkonzert nach Korbuts Stufenbarrenkür, als das nicht ganz regelkundige Publikum „ihre“ Olga zu schlecht bewertet fand. Und so war auch noch etwas Unruhe in der Halle, als Karin Janz die Freigabe von den Kampfrichtern bekam und turnen musste. „Das war natürlich nicht so nett. Aber ich war in der Lage, das auszublenden und mich auf die Elemente meiner Übung zu konzentrieren.“ Und so legte sie auch am Stufenbarren eine großartige Kür hin, die nicht nur mit Gold belohnt wurde, sondern auch mit viel verdientem Applaus vom Publikum.
Auch sie wurde also gefeiert, die überragende Turnerin aus der DDR, die das Turnen über Jahre beeinflusst hat mit neuen Elementen in technischer Perfektion gepaart mit einer Ausstrahlung, der eine Grundausbildung im klassischen Ballett zugrunde lag. Im Vorfeld war die Situation, als Team der DDR bei Olympischen Spielen in der Bundesrepublik anzutreten, ja nicht ohne Brisanz. „Zum einen empfand ich einen gewissen Stolz, dass ich als Mitglied der Mannschaft an den Start gehen konnte“, sagt Büttner-Janz. „Aber andererseits waren wir auch ein bisschen angespannt, weil die politische Situation nun mal so war. Vorab hatten wir keine Vorstellung, wie das vor Ort sein wird. Aber da kann ich nur sagen, es hat hervorragend funktioniert: Wir sind mit offenen Armen empfangen worden.“
Noch heute schwärmt sie von den bunten und fröhlichen Spielen in München, der freudvollen Stimmung, die aber dann jäh ein Ende fand an diesem schrecklichen 5. September, dem Tag des Attentats, gleichzeitig bereits der Abreisetag des DDR-Turnteams. „Es war schon auf dem Weg zum Frühstück zu spüren, dass alles anders war, denn es gab Absperrungen, andere Wege mussten genommen werden. Es war so eine ängstliche Situation, weil man nicht genau wusste, was eigentlich passiert war und noch passieren könnte, ob man selbst vielleicht in Gefahr war.“ Das Attentat empfand sie als ganz furchtbar, als krasses Gegenteil von dem, wie bis dahin die Spiele abgelaufen waren mit dieser Freude und diesem Engagement. Büttner-Janz sagt heute, sie sei froh, dass sie damals nicht die Entscheiderin war für das, was weiter geschah. Für die Fortsetzung der Spiele findet sie eine Erklärung: „Aus meiner Sicht war das die Botschaft gegen Terrorismus. Dass man sich nicht beugen darf. Aber natürlich müssen bei so einer Entscheidung die zutiefst verletzten Gefühle, die Trauer und die ganz besonderen Umstände der Angehörigen und weiterer nahestehender Personen der Opfer berücksichtigt und gebührend anerkannt und die Opfer selbst gewürdigt werden.“
So wird zum Jahr 1972 immer beides in Erinnerung bleiben, das Attentat, aber auch die großen Erfolge und das ganze schöne Rundum. Erst später ist Karin Büttner-Janz richtig klar geworden, wie groß eigentlich der Aufwand war, um bei Olympia erfolgreich zu sein, und zwar nicht nur für sie selbst, sondern auch für all jene, die ihre intensive Vorbereitung begleitet hatten. „Man lebt so seinen Alltag und denkt gar nicht groß darüber nach, wie viele Menschen sich engagiert haben, dass ich über Jahre die Bedingungen bekam, um wirklich erfolgreich sein zu können: Trainer, Betreuer, die Familie und auch die Lehrer, weil ich mehrere Jahre Einzelunterricht hatte, um neben dem Sport das Abitur machen zu können. Die Medaillen in München waren auch ein Dankeschön an all diese Menschen.“
Und so war es nicht ganz einfach, ihren Plan durchzusetzen und nach den Spielen Schluss zu machen mit dem Leistungssport. Sie hat Verständnis, dass das nicht eine Einzelentscheidung sein kann. „Es betrifft ja auch andere, die Trainer verlieren ihre Sportlerin. Aber ich fühlte mich an meinem Zenit angekommen. Es hat doch niemand etwas davon, wenn man sehr gut ist und beim nächsten Mal den achten Platz belegt, für einen persönlich ist das nicht schön und für die ringsherum, die einen überzeugt haben weiterzumachen, auch nicht.“ Vor allem aber wollte Karin Büttner-Janz mit ganzer Kraft ihr Medizinstudium voranbringen, das sie bereits 1971 aufgenommen hatte, aber in der Olympiavorbereitung nur sehr marginal betreiben konnte. „Es ging dann ein bisschen hin und her, und ich war sehr froh, dass dann letztlich akzeptiert wurde, dass ich aufhöre und mich dem Medizinstudium widme.“
Wer ihren Weg als Leistungssportlerin verfolgt hat, ist keinesfalls erstaunt, dass sie die berufliche Karriere mit dem gleichen Engagement, dem gleichen Ehrgeiz, der gleichen Freude und der gleichen Disziplin anging wie den Sport. Doktortitel, Professur, Leitung von zwei Kliniken und, das Highlight, die Entwicklung der künstlichen Bandscheibe, die dem Patienten langfristig Schmerzen nimmt und seine Beweglichkeit im Operationsgebiet erhält. „Ich würde sagen, das hat Olympia noch getoppt“, bekräftigt sie. „Die Entwicklung der ersten bei Menschen implantierbaren künstlichen Bandscheibe hat zu einer weltweit neuen Behandlungsstrategie geführt, hat einen neuen Markt eröffnet und etwas geschaffen, was einmalig ist, etwas Nachhaltiges, Bleibendes. Olympiasieger gibt`s viele auf der Welt, so eine Entwicklung ist ein Unikat und hat für unzählige Patienten der ganzen Welt etwas gebracht. Heute existieren weitere künstliche Bandscheiben, die Entwicklung ist nicht zu Ende, die neue Behandlungsmethode lebt weiter.“
Dennoch ist und wird das andere nicht vergessen. Das Turnen liebt sie auch heute noch. Selbst zwar nicht mehr an Barren oder Pferd unterwegs, sondern auf dem Golfplatz, dem Segelboot oder der Skipiste, ist sie mehrfach im Jahr zu Gast bei Turnwettkämpfen. Zuletzt bei den European Championships in München – und das war ein ganz besonderes Ereignis für sie, nach 50 Jahren die Rückkehr an die Stätte ihres größten Erfolgs.
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(Autorin: Ulrike Spitz)