„Alte Strukturen mit neuem Etikett - dann erreicht man nichts“: NOK-Ehrenmitglied Prof. Dr. Helmut Digel zu den Fusions-Gesprächen zwischen dem NOK und dem DSB

Foto: Prof. Dr. Helmut Digel. Copyright DLV.
Foto: Prof. Dr. Helmut Digel. Copyright DLV.

Das Kicker-Sportmagazin hat in seiner Ausgabe vom 18. November 2004 ein ausführliches Interview mit NOK-Ehrenmitglied Prof. Dr. Helmut Digel abgedruckt. Nachstehend veröffentlichen wir das Interview mit freundlicher Genehmigung von Redaktion und Verlag im Wortlaut:

 

„Alte Strukturen mit neuem Etikett – dann erreicht man nichts“

 

Nach den Olympischen Sommerspielen in Athen wurde das Abschneiden der deutschen Mannschaft vielfach kritisiert (Platz sechs in der Medaillenwertung) und der Ruf nach Reformen wieder laut. Zur Diskussion steht eine Fusion zwischen dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) und dem Deutschen Sportbund (DSB). Am Dienstag begannen in Frankfurt die Gespräche einer gemeinsamen Strukturkommission. Prof. Dr. Helmut Digel zur Situation und Zukunft des deutschen Sports.

 

KICKER: Herr Professor Digel, begrüßen Sie die Gespräche?

 

PROF. HELMUT DIGEL: Die Reform stand schon früher an und ist dringend notwendig. Man muss nun zunächst in aller Sachlichkeit fragen: Was ist die geeignete Organisationsstruktur, um den deutschen Spitzensport künftig optimal steuern zu können? Bringt man NOK und DSB unter einem Dach zusammen, müssen dort die olympischen Sportarten und ihre Verbände eine herausragende Stellung einnehmen.

 

KICKER: Was müssen die Reformen zum Ziel haben?

 

PROF. HELMUT DIGEL: Wir brauchen eine bessere und vor allem einfachere Außendarstellung des Sports im Dialog mit Wirtschaft, Kultur, Politik und Medien. Reformen müssen sich aber auch an Gütemaßstäben messen lassen. Wir benötigen kurze Entscheidungswege, schlankere Führungsstrukturen, wir müssen weg von einer „doppelten Haushaltsfführung“ und Geld zugunsten von Projekten umverteilen, die uns in der Weltspitze halten.

 

KICKER. Klingt ziemlich rigoros.

 

PROF. HELMUT DIGEL: Die Reform darf keine Reform um ihrer selbst Willen sein. Versieht man alte Strukturen nur mit einem neuen Etikett – dann hat man gar nichts erreicht. Das heißt aber auch: Die Umstrukturierung wird schmerzhafte Entscheidungen bringen. Ehrenamtliche werden ihre Positionen verlieren, Hauptamtliche ihren Job. Das fördert Widerstand. Ganz wichtig deshalb: Solide Mehrheiten müssen diese Reform tragen.

 

KICKER: 1996 schmetterte der damalige NOK-Präsident Walther Tröger einen Fusions-Vorschlag durch DSB-Chef Manfred von Richthofen ab. Sehen Sie jetzt bessere Chancen?

 

PROF. HELMUT DIGEL: Damals war die Fusion schlecht vorbereitet, führte zu einer emotionalen Gegenwehr. Das NOK war empört über das Verfahren, die Sache stand gar nicht auf dem Prüfstand. Die Probleme im deutschen Sport gab es längst, die Motive für eine Fusion waren und sind dieselben. Nun aber herrscht die Einsicht, dass wir international im Leistungssport nicht mehr konkurrenzfähig sind. Dass wir u ns doppelte Strukturen nicht mehr leisten können in einem Staat, der sparen muss.

 

KICKER. Wen würden Sie an der Spitze einer Dachorganisation sehen?

 

PROF. HELMUT DIGEL: Diese Frage sollte als letzte beantwortet werden. Zu früh gestellt, wir sie den Einigungsprozess immer wieder stören. Der Sport wir aus sich selbst heraus eine personelle Lösung suchen. Es wird wohl kaum jemand berufen, der hier bisher keine eigene Verantwortung hatte. Und wichtig ist auch, dass jemand mit einer soliden sport-ethischen Grundhaltung den deutschen Sport führen wird. Denn diese Selbstgefährdung – vor allem durch Doping – ist offensichtlich. An der Bekämpfung dieses Problems wird jede Führung gemessen werden. Davon hängt die Glaubwürdigkeit des Sport ab – und mit ihr seine Legitimation gegenüber dem Bürger.

 

KICKER. Sie sind ein sehr erfahrender Sportfunktionär. Könnten Sie sich ein Amt vorstellen?

 

DIGEL: Wenn mich die olympischen Sportverbände fragen, würde ich gene mitarbeiten und mein Wissen einbringen. Meine ehrenamtliche Erfahrung, meine Ausbildung und meine berufliche Laufbahn haben mich nun mal zu einem Sportexperten gemacht. Vielleicht sind derartige Experten erwünscht.

 

Interview: Sabine Vögele

 

Prof. Dr. Helmut Digel (60) ist Direktor des Instituts für Sportwissenschaft der Uni Tübingen, Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes sowie Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (Präsident 1993-2001) und Ehrenmitglied des NOK (Vize-Präsident 1993-2002).


  • Foto: Prof. Dr. Helmut Digel. Copyright DLV.
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