Annäherung durch Wasserkraft

Viele Geflüchtete können nicht schwimmen. Es zu lernen, dient ihrer Integration, aber auch ihrer Sicherheit, wie drei Beispiele aus dem Projekt „Willkommen im Sport“ zeigen.

Annette Wolz gewöhnt in ihrem Schwimmkurs für Frauen auch deren Kinder ans Wasser. Foto: Annettes Kinderturnen
Annette Wolz gewöhnt in ihrem Schwimmkurs für Frauen auch deren Kinder ans Wasser. Foto: Annettes Kinderturnen

Der Westeuropäer hat eine gespaltene Beziehung zu Wasser: Pure Lust hineinzuspringen trifft schiere Angst unterzugehen. Auf Menschen, die aus Syrien, Irak oder Eritrea nach Deutschland geflohen sind, trifft das nicht immer zu. Einige von ihnen scheinen wenig Furcht zu haben vor hiesigen Gewässern, was schon schlimmste Folgen hatte. Allein 2015 sind laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) bundesweit 27 meist junge, männliche Geflüchtete ertrunken. Sie badeten, ohne schwimmen zu können.

In ihrer Unfallbilanz 2015 stuft die DLRG Geflüchtete als „besondere Risikogruppe“ ein.  Praktiker wie Markus Werner, Vorstandsvorsitzender von Alstersport in Hamburg, können das durchaus nachvollziehen. „Viele Geflüchtete haben keinerlei Erfahrung mit tieferem Wasser – aber auch keinerlei Angst“, sagt er, der auch Übungsleiter ist und vermeintlich sehr vorsichtige Schwimmschüler mit Fluchterfahrung betreut: Seine interkulturelle Gruppe für Rollstuhlfahrer kam im Februar zustande.

Alstersport, eine junge Organisation für inklusiven Sport, nimmt als einer von etwa 200 Vereinen an „Willkommen im Sport“ (WiS) teil. Das Projekt von DOSB und 13 Landessportbünden (LSB) will Geflüchtete in Bewegung bringen – und nicht zuletzt ins Wasser begleiten. Für Astrid Touray vom LSB Bremen etwa hat das Thema höchste Priorität. Tatsächlich, sagt sie, kommen „viele Menschen aus Kulturen zu uns, in denen Schwimmen unüblich oder sogar tabu ist“. Hier fehlen Gewässer, dort gelten sie als gefährlich, und Schwimmbäder sind wenigen zugänglich. In Deutschland, so Touray, „sehen diese Menschen, dass Schwimmen eine Bildungskompetenz ist – und dass sie von gewissen sozialen Aktivitäten ausgeschlossen bleiben, wenn sie es nicht können.“ Also wollten sie auch ins Wasser, gerade Jugendliche. „Sie wissen aber nicht, dass eine Weser eine Strömung hat oder ein See eine Abbruchkante.“

Touray las erstmals 2014 von Unfällen Geflüchteter. Seither regt sie die Bremer Schwimmvereine an, der Zielgruppe Kraul- und Bruststil als auch die Baderegeln zu vermitteln. Als erster sagte einst der Bremer SC zu, später folgten die DLRG und die SG Aumund-Vegesack. Der BSC bietet zurzeit vier Kurse an, darunter einen für Mädchen. Ansonsten richtet er sich ebenso an die Kernzielgruppe des LSB wie dessen zwei andere Partner: unbegleitete männliche Jugendliche, die schwimmen nicht in der Schule lernen. Zehn bis zwölf von ihnen finden in einem der insgesamt sechs Kurse Platz – den sie räumen müssen, sobald sie den Freischwimmer in Bronze haben. Denn der Bedarf ist groß, Touray führt lange Wartelisten.

Frauenschwimmen beim Kinderturnverein

Wartelisten gibt es auch bei Alstersport. Und bei Annette Wolz. Die Würzburgerin bietet mit Annettes Kinderturnen, dem von ihr 2001 gegründeten Verein, diverse Sportkurse für Nichtmitglieder an. Darunter seit Jahren ein Frauenschwimmen, das sie in Absprache mit dem Bayerischen Landessportverband systematisch für Geflüchtete geöffnet hat – und für Kinder, darunter ein behinderter Junge. „Die Frauen sollen die ganze Realität in Deutschland kennenlernen“, sagt sie. „Dass alle die gleichen Rechte haben und die Kinder mit Sport groß werden.“ Wenn eine Tochter aus muslimischem Elternhaus früh genug schwimmen lerne, „bleibt sie vielleicht dabei, wenn der Vater ihr es später verbieten will“.

Die Lehrerin bekennt sich zu einer „pädagogischen Linie“. Die Kursteilnehmerinnen haben pünktlich zu sein, sich gemeinsam umzuziehen und Deutsch zu sprechen, notfalls mal Englisch. Das laufe super, sagt Wolz, und die Nachfrage gibt ihr recht: 55 Frauen und Kinder verteilen sich auf zwei Gruppen, die Interessentenliste für ein geplantes Männerangebot ist 45 Namen lang.

Die Gruppe bei Alstersport ist kleiner. Eingeschränkte Menschen brauchten zumindest anfangs individuelle Unterstützung im Wasser, sagt Werner, der es vorwiegend mit Kindern zu tun hat und spielerisch übt. Schon deshalb war die „Riesennachfrage“ zunächst ein Problem. Zum ersten Termin kamen vier angemeldete Bewohner einer Erstaufnahmeeinrichtung, alles gut. Beim zweiten aber hatten die vier 15 spontane Interessenten im Schlepptau. Werner und seiner Kollegin blieb nichts übrig, als die meisten nach Hause schicken – und das Gespräch mit den Mitarbeitern des Wohnheims zu suchen. Denn die Betreuer müssen den der deutschen Sprache und Sportkultur Unkundigen erklären, wie so ein ehrenamtliches Angebot funktioniert – statt sie nur davon in Kenntnis zu setzen. In Hamburg hakte es da ebenso wie bei manchen Einrichtungen in Bremen, wo Touray Aufklärungsarbeit leisten musste. Inzwischen funktioniert es beiderorts.

Ein Rund-um-Paket der Integration


Schwimmen ist eine Bildungskompetenz, die Leben retten kann. Und Integration befördert. Beim Bremer SC schulte ein syrischer Ex-Schwimmer zunächst die Geflüchteten; inzwischen leistet er Bundesfreiwilligendienst im Verein und trainiert eine Leistungsgruppe. Bei Alstersport treffen deutsche Kinder im Rollstuhl auf solche aus Syrien oder Afghanistan. Werner sagt: „Da entstehen ganz schnell Kontakte. Menschen mit Einschränkung sind ja meist sehr aufgeschlossen, weil sie darauf angewiesen sind, auf andere zuzugehen.“ Er erzählt von einem sprechbehinderten Mädchen seiner Gruppe, das Neulinge gleich an die Hand nehme und ihnen das Becken zeige. Geflüchtete Kinder, selbst des Deutschen nicht mächtig, reagierten darauf zunächst schüchtern und irritiert. „Aber wenn sie merken, dass sie nicht anders kommunizieren kann, ist die Barriere sofort weg.“

Annette Wolz bringt es auf den Punkt: „Schwimmen ist ein Wahnsinns-Roundabout.“. Ihre Frauen aus Syrien oder Uganda, weder sport- noch wassererfahren, entwickelten nicht nur ein Gefühl für hiesige Gepflogenheiten, sondern vor allem für ihren Körper und überhaupt sich selbst. „Sie sehen, der Kurs tut ihnen gut, auch durch den Kontakt mit anderen. Viele Teilnehmerinnen fragen mich, ob sie weitere Kurse bei mir belegen können, zum Beispiel Qi Gong“, so die multiple Übungsleiterin.

Schwimmen ist zugleich eine Wahnsinns-Herausforderung: für die Vereine. Annettes Kinderturnen und Alstersport bezahlen für den Aufwand der Übungsleiter, aber auch die Nutzung der Bäder. Geflüchtete bringen schwerlich das Geld auf, das zu kompensieren. Deshalb ist die Förderung durch „WiS“ entscheidend, etwa bei Alstersport. Werner: „Wir als Verein könnten das nicht tragen. Viele unserer Mitglieder leben selbst in Wohnheimen und schwachen sozialen Verhältnissen. Ein Angebot für Flüchtlinge mitzufinanzieren, wäre ihnen nicht zuzumuten.“ Auch den Kurs von Annette Wolz in Würzburg gibt es nur dank Verbandsunterstützung. Zwar verlangt sie 4 Euro pro Monat und Nase, aber das reicht nicht weit. Sie schreibt dem Obulus andere Wirkung zu: „Nur was etwas kostet, ist auch wertig.“ 

(Quelle: DOSB/Nicolas Richter)


  • Annette Wolz gewöhnt in ihrem Schwimmkurs für Frauen auch deren Kinder ans Wasser. Foto: Annettes Kinderturnen
    Annette Wolz gewöhnt in ihrem Schwimmkurs für Frauen auch deren Kinder ans Wasser. Foto: Annettes Kinderturnen