Ans Eingemachte

Sportvereine in der Corona-Krise: Ein Kommentar von DOSB-Pressesprechers Michael Schirp beschäftigt sich mit dem Wert der Sportsvereine für die Gesellschaft.

Der zweite Lockdown trifft das Fundament der großen und zugleich verletzlichen Gemeinschaft des deutschen Sports ins Mark.

Es läuft die ZDF-„SPORTreportage“, am späten Sonntag Nachmittag. Hagen Stamm hat viel erlebt, als Wasserballer und Trainer bei Olympia und Weltmeisterschaften. Aber jetzt spricht der Vorsitzende der Wasserfreunde Spandau 04 über das Paradoxon, dass mehrere hundert Kinder, die morgens noch gemeinsam in die KiTa gehen, „danach aber nicht mehr als komplette KiTa zu uns zum Schwimmen lernen kommen dürfen.“

Alfons Hörmann ist Studiogast. Normalerweise setzt sich der DOSB-Präsident für die vielfältigen Belange von SPORTDEUTSCHLAND ein, vom Sanierungsstau bei den Sportstätten bis zu der Förderung der Topathlet*innen des Team Deutschland. Aber seit Mittwoch vergangener Woche übertönen die Hilferufe aus den knapp 90.000 deutschen Sportvereinen alles. Hörmann nimmt sie im ZDF-Interview auf, verdichtet sie zu einem Szenario, das verdeutlicht, dass die weltweit einzigartige deutsche Vereinslandschaft mit ihren acht Millionen Freiwilligen bedroht ist: „Es besteht die Gefahr, dass nennenswerter Mitgliederschwund, dass Vereinssterben einsetzt und auch viele ehrenamtlich Engagierte nicht mehr die Kraft und Motivation finden, weiterzumachen.“

Andrea Petkovic hat Paris, Wimbledon und die ganze (Tennis-)Welt gesehen. Und neben der ersten Profikarriere eine weitere begonnen, sie moderiert die Sendung. Eigentlich zählt unter Quotengesichtspunkten gerade Freiburg-Leverkusen, aber Petkovic hat erst Stamm zugehört und dann Hörmann. Sie bleibt mit ihren Fragen bei den Vereinen. Für einen kurzen Moment verlässt sie sogar ihre Rolle, spricht über ihren Vater Zoran, der im TEC Darmstadt Tennistalente trainiert. Drei Persönlichkeiten aus dem Sport, eine Botschaft: Es geht ans Eingemachte, der zweite Lockdown trifft das Fundament der großen und zugleich verletzlichen Gemeinschaft des deutschen Sports ins Mark.

Und die Politik? Wissen tun sie es schon, vom Ortsbürgermeister bis zur Bundeskanzlerin, was der Sport beiträgt zu unserem Gemeinwesen, wie er Staat macht. Dass er Kleinkinder beweglich und testosterongesteuerte Jugendliche halbwegs sozialverträglich macht, Rentner*innen in Gang hält und Migranten, Menschen mit Behinderung, Jüngere, Ältere, Frauen und Männer integriert. Und, wenn es gut läuft, an Regeln gewöhnt, von Rauschmitteln entwöhnt, die Seele verwöhnt.

Und sie sagen es ja auch, an hohen Festtagen wie bei der Verleihung der „Sterne des Sports“ an die deutschen Sportvereine, die sie dann als „soziale Tankstellen“ lobend erwähnen. Aber jetzt ist die Corona-Lage so ernst, dass sich die Politik nicht anders zu helfen weiß und den Breitensport, der in der Pandemie mit all seinen gesundheitlichen und psychosozialen Heilkräften Teil der Lösung und nicht Problem ist, mechanisch einordnet und wegsperrt. Unter „Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind“ und deshalb geschlossen werden. Im Beschluss des Bundes und der Länder aufgelistet zwischen Punkt c) Bordelle und e) Schwimm- und Spaßbäder.

Die Verletzungen und das Echo sind erheblich, allein beim DOSB gab es seit dessen Bestehen kein auch nur annähernd vergleichbares Grundrauschen in den sozialen Medien: Die Clicks gehen in die Hundertausende, Übungsleiterinnen fordern Klagen, Trainer verweisen auf die Niederlande oder die Schweiz, wo zumindest Kinder und Jugendliche weiter trainieren können. Und auch die traditionellen Medien stellen neben die Berichterstattung über die Profis das abstrakte und damit schwer vermittelbare Thema, was uns der Sport eigentlich wert ist. Die SPORTreportage ist dabei lediglich ein Beispiel unter vielen: Aus Frankfurt erfolgt die allgemein zutreffende Kommentierung, dass es sich bei der gesellschaftlichen Arbeit der Sportvereine eben nicht um die schönste „Nebensache der Welt“ handelt. Einer süddeutschen Zeitung entnehmen wir zustimmend, dass das jetzt nicht ungebremst so weitergehen dürfe, weil man Lebensschulen eben nicht einfach schließe.

Was tun? Der DOSB ist kein Wutbürger, ein Drittel der Bevölkerung ist hier versammelt, alle gemeinsam tragen und übernehmen Verantwortung. Dazu zählen auch die Hygieneregeln, die überzeugend entwickelt und gelebt wurden und dazu beigetragen haben, dass der Sport bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Gesundheitsämter bundesweit die Nachverfolgung nicht mehr gewährleisten konnten, nicht als Pandemietreiber und Superspreader aufgefallen war.

Ein Lichtblick zeichnet sich in den Ländern ab: Berlin lässt zumindest die bis zu 12-Jährigen auch in Teams im Freien trainieren, Mecklenburg-Vorpommern lässt den Kinder- und Jugendsport generell zu. Eine erste Überprüfung des Bund-Länder-Beschlusses ist nach zwei Wochen vorgesehen. Es wäre ein Segen für die Vereine, wenn dann weitere Bundesländer den vorhandenen Spielraum ausloten würden. Spätestens jedoch, wenn der Breitensport den November halbwegs überstanden hat, stellt sich die gravierendere Frage: wie bitte schön soll es denn für die Kitas in Berlin oder die Tennishoffnungen in Darmstadt ab Dezember weitergehen? Dann ist nicht nur das Infektionsgeschehen spannend, dann kommt es zum Lackmustest. Schaffen Bund und Länder den Turnaround, weg von der pauschalen Behandlung, hin zur differenzierten Betrachtung? Kinder, Jugendliche, Eltern, Erwachsene und Ehrenamtliche, Vereine und Verbände hoffen auf einen generellen Paradigmenwechsel: Millionenfaches Engagement für das Gemeinwohl ist schwer in Zahlen zu fassen, aber dennoch systemrelevant.