In einem offenen Brief an die Mitglieder des Sportausschuss des Deutschen Bundestages, der am Donnerstag ((27.9.) unter anderem zur Nachbetrachtung der Olympischen Spiele in London tagte, nimmt der Vorsitzende der Athletenkommission wie folgt Stellung:
Sehr verehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Obleute und Abgeordnete,
die Athletenkommission bedankt sich für die ausgesprochene Einladung zu Ihrer Sitzung zum Thema "Nachbetrachtung der Olympischen Spiele" am 26. September 2012.
Auch wenn wir einen Vertreter entsenden werden, möchten wir die Gelegenheit nutzen und vorab einige Überlegungen und Denkanstöße der Athletenkommission übermitteln, die leider aufgrund des Mangels an Zeit in Ihrer kommenden Sitzung verloren gehen könnten.
Nachbetrachtung
Der Titel "Nachbetrachtung" beinhaltet Elemente wie eine erste Analyse, Auswertung und Bewertung der Ergebnisse der Olympischen Spiele von London, meist anhand von Medaillen und Entwicklungen einzelner Spitzenverbände sowie Sportarten im Vergleich über mehrere olympische Zyklen.
Diese Analysen und Vergleiche sind Grundlage des besseren Verstehens, wie Ergebnisse und Leistungen zustande gekommen sein könnten und sind, jedoch setzen sie sich nicht mit der Frage auseinander, wie die Leistung unserer Spitzensportler in Zukunft unterstützt, verbessert und vor allem gesichert werden kann.
Auch wenn die Sportförderung in unserem Land vielschichtig, über Verbände organisiert und durch demokratische Gremien und Organisationen strukturiert ist, so steht sie doch bei einer Betrachtung der Olympischen Spiele - letzten Endes des Ergebnisses der Bundesrepublik Deutschland - auf dem Prüfstand im direkten internationalen Vergleich.
Einem Vergleich mit anderen europäischen Nationen, die sich den gleichen Hürden in einem föderalen System stellen und gestellt haben.
Die Betrachtung und Frage "was tun wir und was tun andere" ist im Sinne und in den Augen der Athleten entscheidend - zwar basierend auf erbrachten Leistungen und Ergebnissen, aber in der Orientierung offen für Neues und losgelöst von bürokratischen Zwängen, die im und für Spitzensport hinderlich sind.
Besonders die aus unserer Sicht meist ausschließliche Fokussierung auf die erzielten Medaillen ist viel zu kurz gefasst und es bedarf einer Integration von weiteren entscheidenden Aspekten.
Athletenförderung
Die beste und optimalste Förderung der Athleten hat oberste Priorität! Sie ist das Fundament jeglicher sportlicher Leistungsfähigkeit. Somit muss die Finanzierung des Spitzensports ausschließlich auf die Athleten und ihre Bedürfnisse ausgerichtet sein - ohne wenn und aber.
Sicherlich ist dies eine Forderung, die jedem Leistungssportgremium leicht über die Lippen geht.
Jedoch ist die alleinige Aufführung in einem Schreiben der Athletenvertretung an den Sportausschuss des Deutschen Bundestages ein Beleg dafür, dass in der Realität diese Priorisierung nicht in allem Punkten tatsächlich gelebt wird.
In einem System der Bereitstellung von Finanzmitteln über mehrere Instanzen bis hin zum Spitzenverband, der damit letztlich den Athleten durch optimale Maßnahmen und Rahmenbedingungen fördern soll, entsteht zwangsläufig eine Bürokratisierung des Förderung, in der die einzelnen Spitzensportverbände immer mehr Personal, Ressourcen, Mittel und Energie in das Füllen von Aktenordnern und Begründungen stecken müssen, anstelle eben diese optimal für seine Athleten und den Spitzensport zu investieren.
Die Athletenkommission schätzt und dankt an dieser Stelle dem Bundesinnenministerium für die kontinuierliche Sportförderung und Bereitstellung bzw. Gewinnung der notwendigen Mittel.
Dennoch ist bei Betrachtung der internationalen Konkurrenz und der dort vorherrschenden und umgesetzten Fördersysteme zwingend erforderlich, das Gesamtkonzept der Mittelverteilung im deutschen Spitzensport zu überdenken und zu reformieren. Die entfachte Diskussion um Zielvereinbarungen und -vorgaben als Mittel der Steuerung und Regulierung erfasst bei weitem nicht den Kern der Problematik und bleibt oberflächlich.
Eine Bewertung von Notwendigkeiten und Bedürfnissen in überaus spezialisierten und komplizierten Disziplinen und Sportarten, die in Spitzensportverbänden gebündelt werden, kann und darf nicht durch Verwaltung erfolgen. Eben diese Bewertung erfordert sportlichen und teilweise sportartspezifischen Sachverstand, der ausschließlich im Bereich der Organisationen des Leistungssports gebündelt ist.
Die Weltspitze im Sport duldet keine Reibungsverluste und ich kenne keinen anderen Bereich, der so schonungslos die Rahmenbedingungen in Form von "Erfolg" bewertet, wie der Hochleistungssport.
Ein System in Anlehnung des überaus erfolgreichen Modells "UK Sports", deren Ertrag wir alle in London bewundern konnten, ist das passende Vorbild. Eine Organisation, die geführt durch den organisierten Sport in Deutschland transparent und unter reiner Leistungssportorientierung Mittel an die Spitzenverbände verteilt, Maßnahmen fördert und einzelne Athleten unterstützt - dies stellt die Zukunft einer optimierten Mittelvergabe dar und ist in unserer Gesellschaft nicht nur vertretbar, sondern erforderlich.
Dies kann, bei allem Dank, nicht durch ministerielle Instanzen gewährleistet werden.
Glaubwürdigkeit unserer Athleten
Auch dies ist Teil einer Nachbetrachtung der Olympischen Spiele, in der das mediale Interesse für zwei Wochen überproportional ansteigt. Unsere Athleten sollen vieles sein - Vorbild, Aushängeschild, Motivator für andere, Multiplikator für öffentlichkeitswirksame Aktionen und vor allem: "sauber".
Der Kampf gegen Doping im Sport ist nicht nur wichtig und bei aller Diskussion um die Art der Ausführung nicht weg zu denken, sondern ist auch der einzige "Beleg" für unsere Athleten, dass sie getestet und sauber in den Wettkampf gehen. Die durchgeführten Kontrollen sind ein Teil der Glaubwürdigkeit von Leistung.
Dopingkontrollsystem mit Füßen getreten
Eben dieser Beleg, die Durchführung von Kontrollen im Spitzensport, wird offen gesprochen mit Füßen getreten. Die Finanzierung der Nationalen Anti Doping Agentur NADA ist seit Jahren nicht adäquat gesichert. Das Bundesinnenministerium hat (laut Internet-Recherche) im Haushalt 2013
eine Kürzung der Zuwendungen in Höhe von 1 Million Euro vorgesehen, was einen massiven Rückschlag in der Finanzierbarkeit von Dopingkontrollen bedeutet.
Um hier ein paar Vergleiche anzustellen:
Zugleich soll aber durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BiSp) im Jahr 2013 ein Forschungsprojekt zum Thema "Rückenschmerz" mit einem Volumen von EUR 1,77 Mio. gefördert werden. Aus Sicht der Athletenkommission und unserer Spitzenathleten, um die es in dieser Stellungnahme ausschließlich geht: eine Aufgabe des Gesundheitsministeriums oder aber eine Umwidmung von Mitteln, die faktisch den deutschen Athleten entzogen werden.
Die Aufgaben des BiSp sind schließlich nach eigenem „Programm zur Schwerpunktsetzung vom Juli 2007“ die Förderung der „Forschung mit dem Ziel, den Spitzensport in der BRD zu optimieren“ und eben nicht
gesundheitspolitische Projekte, deren grundsätzliche Notwendigkeit wir in keiner Weise in Frage stellen. Lediglich die Finanzierung mit Mitteln des Spitzensports ist fraglich.
Daneben sind Mittel in Höhe von 652.000 Euro für die Weltsportministerkonferenz in Zusammenarbeit mit der UNESCO vorgesehen - aus Sicht der Athleten zwar eine Pflege der auswärtigen Beziehungen, daher auch dort anzusiedeln, aber mit keinerlei direktem Mehrwert für unsere Spitzensportler bei der Erreichung ihrer sportlichen Ziele bei den kommenden Europa- und Weltmeisterschaften.
Zudem haben in den letzten Wochen beinah alle Bundesländer "ihre" Athleten der Olympischen Spiele von London in teils pompösen Veranstaltungen für ihre Leistungen geehrt. Diese Ehrungen, und das möchte ich hier betonen, haben unsere Athleten auch verdient! Jedoch steht für die Athletenkommission ein "sich-sonnen" in den Erfolgen der Athleten in keiner, aber absolut keiner Relation mit der nicht vorhandenen Beteiligung der Bundesländer an der Finanzierung der NADA.
Erfolge sollen verbucht werden, aber die Glaubwürdigkeit eben dieser sollen andere finanzieren. Dieses Verständnis von Beteiligung ist für die deutschen Athleten in keiner Weise nachzuvollziehen.
Das genannte Beispiel gilt auch für einen weiteren Stakeholder der NADA - die deutsche Wirtschaft. Sportler dienen als Werbeikonen, die positiven Elemente des Spitzensports werden im Marketing verwendet, jedoch erfolgt keinerlei Beteiligung im Kampf gegen Doping und somit eine Stärkung der Glaubwürdigkeit unserer Athleten.
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. September 2012 ist folgendes Zitat von Ihnen zu lesen: “Man muss darüber diskutieren, ob wir eine Schmalspur-NADA oder erkennbar an die Spitze der Anti-Doping-Bewegung wollen“.
Mit Verlaub und allem gebührenden Respekt: Als Mitglied des Aufsichtsrats der NADA, Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags und zugleich als Vizepräsidentin eines Spitzenverbands kann und darf man vor unseren Athleten nur die zweite Variante ernst meinen - eben an die Spitze der Anti-Doping-Bewegung zu treten. Darüber darf es im Angesicht
der Verantwortung, die man angenommen hat, keine Diskussion geben.
Beteiligung statt Oktroyierung
Um den Spitzensport weiter voran zu bringen, zu optimieren und für folgende Generationen auszubauen, ist die Beteiligung der Betroffenen, also der Athleten, unabdingbar.
Ein System, in dem Entscheidungen und sportliche Weichenstellungen ohne die Meinung und Beratung durch die Athleten getroffen und oktroyiert werden, hat keine Zukunft. Der Spitzenathlet kann sehr genau definieren, was im Dialog mit dem jeweiligen Betreuerstab notwendig ist, um herausragende Leistungen zu erbringen.
Diese Einschätzung muss in die Überlegungen der Spitzenverbände in Bezug auf zu finanzierende Trainingsmaßnahmen, Betreuungsangebote und Langzeitplanung einfließen - denn wenn schon Vereinbarungen zwischen Mittelgebern und Verbänden geschlossen werden (wie es derzeit "noch" der Fall ist), so ist es nur unverständlich, dass die Einbeziehung der Athleten bzw. der jeweiligen Athletenvertretung nicht Bestandteil der geschlossenen
Vereinbarung ist.
Hierzu gehört in einer freien Gesellschaft besonders auch die Integration der Aspekte zur schulischen und beruflichen Entwicklung der Athleten, deren Aufnahme wir hiermit in jede Zielvereinbarung zwischen Verband, DOSB und BMI fordern.
Es ist nicht nur ein Ziel an sportlichem Erfolg, sondern durch langfristige Planung auch beruflichen Erfolg und Absicherung auf individueller Ebene der Athleten zu legen, zu dokumentieren und nach zu verfolgen. Vereinzelt kennen die beteiligten Institutionen bzw. Verbände durch ihren ausschließlichen Fokus auf Medaillen derzeit den aktuellen beruflichen
Status ihrer Athleten nicht, was einen untragbaren Zustand darstellt.
Auch wenn die hier erwähnten Positionen auf den ersten Blick vielleicht in Teilen nur mittelbar als "Nachbetrachtung" der Olympischen Spiele erscheinen, so decken sie bei genauerem Hinsehen genau die Fragen auf, die sich alle an der Förderung des Sportsystems Beteiligten für eine erfolgreiche Planung der kommenden Olympischen Spiele stellen müssen.
Unsere Spitzenathleten werden teilweise schonungslos nach Erfolgen und Ergebnissen abgerechnet, ohne Raum für Erklärungen zu lassen.
Den gleichen Ansatz wünscht und fordert die Athletenkommission für alle beteiligten Instanzen in den hier aufgeworfenen Punkten.
Unsere Athleten kommen mit Erfolgen und Medaillen nach Hause - die gewinnt man nicht durch Diskussion, sondern durch Handeln.
Christian Breuer
Vorsitzender der Athletenkommission