Entsetzen, Fassungslosigkeit, Bestürzung und grenzenlose Solidarität - nach dem verheerenden Erdbeben in Japan trauern Sportler weltweit mit ihren erschütterten Kollegen aus Nippon und zittern mit den Asiaten vor der weiterhin nicht gebannten Gefahr einer atomaren Katastrophe.
Die Betroffenheit im Sport brachte Biathlon-Star Magdalena Neuner bei der WM in Sibirien auf den Punkt: "Man ist total geschockt. Man muss schon wissen, was wichtig ist im Leben, und wenn man nach Japan guckt, relativiert sich alles." Auch das deutsche Basketball-Idol Dirk Nowitzki empfand das NBA-Match mit den Dallas Mavericks gegen die Los Angeles Lakers nur als Nebensache: "Unsere Gedanken und Gebete gelten den Menschen in Japan. Es ist traurig."
Aus Angst vor einer Eskalation beorderte der Deutsche Judo-Bund (DJB) seine Nationalteams um Olympiasieger Ole Bischof aus ihren japanischen Trainingslagern schnellstmöglich nach Hause zurück. Die japanischen Sportler bei Veranstaltungen in Deutschland und anderen Ländern bemühten sich trotz der Sorge um Familie und Freunde in der Heimat tapfer um bestmögliche Leistungen,
Durch die schrecklichen Ereignisse ist unter anderem der Eislauf-Weltverband ISU wegen der ab dem 21. März geplanten Eiskunstlauf-WM in Japans Hauptstadt Tokio in die Bredouille geraten. Der Trainer der Paarlauf-Europameister Aljona Savchenko und Robin Szolkowy kritisierte massiv die zögerliche Haltung von ISU-Präsident Ottavio Cinquanta: "Es würde uns sehr schwer fallen, jetzt in Tokio auf lustig zu machen. Die Menschen haben ganz was anderes im Kopf und andere Sorgen als Eiskunstlaufen." Frankreichs Verband holte seinen bereits angereisten Europameister Florent Amodio nach Hause zurück, die Kanadier dürfen ebenso wie die deutschen Läufer selbst über ihre WM-Teilnahme entscheiden.
Auch IOC-Vizepräsident Thomas Bach stellt sich die Frage nach der Austragung einer WM in Tokio in der momentanen Situation offenbar nicht. "Ich vertraue den zuständigen Funktionären, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen", sagte Bach bei der Eisschnelllauf-WM in Inzell vieldeutig.
Cinquanta allerdings will nichts überstürzen. Immerhin scheint der Italiener die atomare Bedrohung nach der Explosion im rund 250 km von Tokio entfernten Atomkraftwerk Fukushima und der Einleitung von Schutzmaßnahmen für Japans Bevölkerung ernst zu nehmen. "Es gibt ein nukleares Risiko. Das ist keine rein sportliche Angelegenheit mehr", sagte der ISU-Chef in Inzell. Cinquanta wies allerdings auch darauf hin, dass nach einer Inspektion der WM-Halle in Tokio in Bezug auf die Sicherheit in der Arena keine Bedenken gegen eine Austragung der Titelkämpfe bestehen würden.
Weniger offenkundiges Sponsoren-Interesse als vielmehr die Wiederherstellung von Normalität war für Japans Fußball-Verband JFA am Sonntag der Leitgedanke für die Bestätigung der Länderspiele des Asienmeisters am 25. März in Shizuoka gegen Montenegro und vier Tage später in Tokio gegen Neuseeland. "Es ist bedeutsamer denn je, die Spiele auszutragen. Besonders die Begegnung in Tokio wird ein Zeichen sein, und wir müssen dem Rest der Welt ein Zeichen senden", sagte JFA-Generalseketrär Kozo Tashima ungeachtet der "Flucht" von Japans Nationalcoach Alberto Zaccheroni in die italienische Heimat zwei Tage nach der Tragödie: "Wir müssen der Welt zeigen, dass Tokio funktioniert, dass die Stadt lebt und die Ordnung wieder hergestellt wird."
Davon sah der DJB Japan am Samstag angesichts der bedrohlichen Entwicklung in Fukushima weit entfernt: Entgegen ursprünglicher Pläne ordnete der DJB nach Veröffentlichung einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes die sofortige Rückkehr seiner Aktiven aus Nippon an. "Sicherheit geht vor. Deswegen haben wir rigoros beschlossen, die Teams zurückzuholen", sagte DJB-Pressesprecherin Birgit Arendt dem SID und bestätigte die Rückflüge für Sonntag.
Der Sport in Japan ist derzeit praktisch lahmgelegt. Nach den schon am Tag des Bebens abgesetzten Spielen der beiden Fußball-Profiligen wurden unter anderem auch der Marathon am Sonntag in Nagoya sowie zwei Spiele von japanischen Teams in Asiens Fußball-Champions-League abgesagt.
Fern der Heimat informierten sich japanische Athleten überall auf der Welt bestürzt via Internet und Handy über die Katastrophe und die Schicksale von Angehörigen und Freunden. Angebote zur sofortigen Heimreise ließen die Japaner in Inzell und beim Turnier der Meister in Cottbus ebenso ungenutzt wie ihre Landsleute bei den nordischen Ski-Wettbewerben im finnischen Lahti. "Ich ziehe vor den Athleten aus Japan den Hut, weil sie sich trotz der Katastrophe dem Wettkampf gestellt haben", sagte Rekordolympiasiegerin Claudia Pechstein in Inzell.
Wie sehr der Sport aber bestenfalls Ablenkung von Schock und Angst sein kann, verdeutlichte Schalkes japanischer Fußball-Profi Atsuto Uchida nach dem Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt: Mit Tränen in den Augen und einem T-Shirt mit der Aufschrift "Liebe Freunde in Japan: In der Hoffnung, dass viele Leben gerettet werden - lasst uns zusammenstehen" drückte der 22-Jährige auf dem Feld nach dem 2:1-Sieg seine Trauer und Bestürzung aus.
Neben Uchida und den übrigen Japanern in der Bundesliga verfolgte auch Trainer Pierre Littbarski vom VfL Wolfsburg die Situation intensiv. Der mit einer Japanerin verheiratete Weltmeister von 1990 hat aus seiner Legionärs-Zeit in Nippon persönliche Bindungen ins Katastrophengebiet um die Stadt Sendai. "Die Situation dort geht mir sehr nahe", sagte der Ex-Kölner mit tränenerstickter Stimme.
Quelle: SID