Unter dem Motto „Stadt - Land - Sucht: Wer übernimmt Verantwortung?“ stand die Jahrestagung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, am 7. November in Berlin. Rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen befassten sich mit Risikofaktoren und Auswirkungen von Sucht. Es ging um gesundheitliche und ökonomische Folgen, aber auch den Einfluss auf unser Zusammenleben.
Der Titel der Tagung rückte in den Blick, dass Sucht kein Randphänomen ist, sondern dass es überall Betroffene gibt. In Deutschland leiden mehrere Millionen Menschen unter einer eigenen Suchterkrankung, weitere Millionen im sozialen Umfeld sind von der Suchtkrankheit anderer mitbetroffen. Detaillierte Daten und Tendenzen dazu weist der im Oktober erschienene Drogen- und Suchtbericht aus. Vor diesem Hintergrund diskutierten Expertinnen und Experten verschiedener gesellschaftlicher Bereiche darüber, welche Auswirkungen Suchterkrankungen für den Einzelnen und für die Gesellschaft haben, und vor allem: Wer kann etwas dagegen tun, dass Menschen suchtkrank werden, und wer kann einen Beitrag zur Genesung leisten?
Neben Wirtschaft, Medien und Suchthilfe war mit dem DOSB auch der Sport eingeladen, in der Podiumsdiskussion darüber zu debattieren, was geändert werden kann. Die Eingangsfrage des Moderators an den Sport reproduzierte das jüngst medial verbreitete Bild des abgestürzten Radsportidols Jan Ullrich und knüpfte daran die Vorstellung vom Sport als Hochrisikobereich für Suchterkrankungen. Umso wichtiger war es, in der Diskussion zu verdeutlichen, dass dieses unbestritten bestürzende Einzelschicksal eben nicht typisch ist für das, was Sport in Bezug auf Sucht zu leisten vermag. Er kann unter entsprechenden Bedingungen vielmehr ein sehr gut geeignetes Setting für eine differenzierte Suchtprävention darstellen.
Dies gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche, denen Sport Erfolge ermöglicht, aber auch soziale Kompetenz und Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Belastungssituationen vermitteln kann. Dies fördert den Aufbau eines positiven Selbstkonzepts und Selbstwertgefühls, was den Heranwachsenden hilft, Verlockungen und dem Gruppendruck zu widerstehen. Auch für ältere Menschen, bei denen soziale Isolation und Einsamkeit Risikofaktoren für Suchterkrankungen sind, kann die Einbindung in die Gemeinschaft des Sportvereins ein wichtiger Schutzfaktor sein.
Darüber hinaus verfügt Sport auch über einen hohen Stellenwert in der Therapie bei Suchterkrankungen. Suchtkranke sind zumeist in einem körperlich desolaten Zustand, Sport hilft ihnen dabei, ein Gefühl für körperliches und psychisches Wohlbefinden zu erlangen. Sport und Bewegung können Patienten dabei unterstützen, zu einem gesunden Lebensstil und zu einem sozial geregelten Alltag zurückzufinden. Sport kann in mehrfacher Hinsicht Sucht entgegenwirken.
Dies darf den Blick nicht davor verschließen, dass Sport andererseits auch Risiken birgt und selbst zur Sucht werden oder süchtiges Verhalten begünstigen kann. So weisen aktuelle Daten der KIGGS-Studie wiederum auf den doppelt so hohen riskanten Alkoholkonsum im Sportverein organisierter Jungen hin. Da der Sport nicht per se ein suchtfreier Raum ist, besteht hierzu ein präventiver Handlungsbedarf. Deshalb wirkt der DOSB in dem von der BZgA initiierten Aktionsbündnis „Alkoholfrei Sport genießen“ mit, dem sich auch der Deutsche Fußball-Bund sowie weitere Sportverbände angeschlossen haben. Die Aktionsbox „Alkoholfrei Sport genießen“ wurde seit 2011 von nahezu 10.000 Sportvereinen angefordert. Suchtpräventive Maßnahmen im Sportverein können eine große Reichweite erzielen, da Sport eine der häufigsten und beliebtesten Freizeitbeschäftigungen ist.
Dies wurde im Ergebnis der Diskussion deutlich: Der Sport gehört zu denen, die Verantwortung übernehmen. Er kann es, weil Sport sowohl für die Prävention als auch in der Rehabilitation von Suchterkrankungen über große Möglichkeiten verfügt. Und er kann es auch, weil er mit seinen Sportvereinen ein flächendeckendes Netz spannt, im positiver Deutung des Tagungsmottos also: Stadt – Land – Sport.
(Autorin: Dr. Petra Tzschoppe ist Dozentin für Sportsoziologie und Sportgeschichte an der Universität Leipzig und DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung.)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.