Auch Vereinssport macht Berlin ganz sexy

Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes Berlin begab sich auf eine sportpolitischen Stadtrundfahrt durch die Hauptstadt; eine Idee, die durchaus Schule machen sollte.

Eine sportpolitische Reise durch Berlin unternahm LSB-Präsident Klaus Böger. Copyright: picture-alliance
Eine sportpolitische Reise durch Berlin unternahm LSB-Präsident Klaus Böger. Copyright: picture-alliance

Vereinssport unten an der Basis? Vereinsmeierei, denkt mancher, nicht mein Ding. Rundenspiele, betuliches Mutter-und-Kind-Geturne. Na: Hauptsache, Yoga und Pilates sind für wenig Geld im Kurs-Angebot und die Alten Herren können samstags auf Tennis- und Fußballplatz ihrem Spiel frönen. Aber Vereinsarbeit ist mehr: Sozial- und Bildungsarbeit, Integrations- und Gesundheitsförderung. Um diese Vielfalt der Arbeit vorzustellen, aber auch um auf zukunftsweisende Ideen oder existenzgefährdende Probleme des Vereinssports aufmerksam zu machen, hatte der Berliner Landessportbundpräsident Klaus Böger eine gute Idee: Eine sportpolitische Stadtrundfahrt sollte beispielhafte Angebote und typische Ärgernisse der Vereinswelt zeigen. Und tatsächlich wurde schnell deutlich, "dass das Gewöhnliche plötzlich zum Außergewöhnlichen wird", wie Böger den Vereinsalltag beschrieb. Sieben Stationen wurden angefahren, die anschaulich zeigten, was Sport für alle für Folgen hat.

In der Millionenstadt Berlin ist vor allem aus dem Kinder- und Jugendbereich der Sport unter gesundheits- und sozialpolitischen Aspekten nicht mehr wegzudenken. Das 1999 initiierte Förderprogramm "Kleine kommen ganz groß raus - Bewegungs- und Gesundheitsförderung" der Berliner Sportjugend wurde zum Renner: 300 Kooperationsmaßnahmen zwischen Vereinen und Kindertagesstätten gibt es nun nach zehn Jahren. In der Statistik liest sich das so: 1999 waren 13.000 Vorschulkinder Mitglieder in Berliner Vereinen, heute sind es 28.000. "Mehr als eine Verdoppelung", freut sich Jugendreferent Heiner Brandi.

Praktisches Beispiel: Eine Kita in Spandau, die mit dem besonders engagierten TSV Spandau zusammenarbeitet. Die Übungsleiterin wird schon sehnsüchtig von den vierjährigen Steppkes in der Kindertagesstätte zum wöchentlichen Bewegungsprogramm erwartet. "Schön ist es, wenn wir Geschichten turnen", meint ein kleines Mädchen, das nun in der Kita immer nur tanzen möchte, während sich die Jungen am liebsten todesmutig in die dicke Matte werfen. Alle profitieren von dem Angebot: Der Verein gewann so 1.000 neue Kinder als Mitglieder, die Kita freut sich über das Bewegungsprogramm, und die Kinder sind begeistert. Der LSB Berlin ist gleichzeitig seit 2004 Träger von 21 Kindertagesstätten mit rund 2.500 Plätzen, die sehr gefragt sind.

Auch für Kinder und Jugendliche, die nicht auf der Sonnenseite leben, soll Vereinssport möglich sein. "Kids in die Sportklubs" so das Angebot, das von Senat, der Jugend- und Familienstiftung Berlin, dem Europäischen Sozialfonds, der degewo Aktiengesellschaft und der Deutschen Kreditbank gefördert wird. 150.000 Kinder leben in der Hauptstadt an der Armutsgrenze - 1.000 Kinder können nun, nach einem Jahr, dank des Programms kostenlos Vereinsport treiben.

Und dann sind da noch die Jugendklubs vor allem in den sozialen Brennpunkten der Stadt: Integration war schon in den 70er Jahren Thema in Berlin. Der Deutsch-Türkische Kinder-Mädchen-Jungen Treff DTK Wasserturm, 1977 gegründet, ist der älteste in der Hauptstadt. Die Jugendlichen dort lieben ihr Zentrum, wo sie nicht nur Sport treiben. Den Gästen bieten sie eine Break-Dance-Einlage. "Hier ist mein Wohnzimmer, mein Zuhause. Ich wüsste nicht, was ich täte, wenn ich nicht mehr hier sein könnte", sagt der 16-jährige Mehmet mit deutschem Pass, aber türkischen Wurzeln. Und: "Auch für die Kleinen ist es gut, dass sie hier gut aufgehoben sind und lernen." Hausaufgabenhilfe, Diskussionskreise und verschiedene Kurse werden angeboten, und zwei Sozialarbeiter stehen immer als Ansprechpartner zur Verfügung. Bräche so eine Einrichtung weg, stünden die Heranwachsenden buchstäblich auf der Straße. Sportverein als Sozialstation.

Nicht immer stehen Fördertöpfe zur Verfügung oder Sponsoren - und in einer Stadt, die pleite ist, werden die Kuchenstücke immer kleiner. Viele Vereine - und das gilt sicher nicht nur für Berlin - haben mit ihren manchmal ziemlich heruntergekommenen, verrotteten Sportanlagen zu kämpfen. Dazu kommen oft noch Konflikte um Lärm. Böger, ehemaliger Senator für Bildung und Sport, kennt die Problematik von beiden Seiten. Und am Ball in Sachen Sportstätten ist stets der LSB-Experte Peter Hahn. Sanierungsstau ist das, womit sich Hahn unter anderem beschäftigen muss. Die Berechnungen für Sanierungsarbeiten liegen zwischen 470 Millionen und einer Milliarde Euro, schätzen Fachleute.

Die Treptower Rudergemeinschaft wäre schon für einige Tausender dankbar. Der 100 Mitglieder starke Verein hat mit seinem über 100 Jahre altem Bootshaus ein Problem: Es ist schwer sanierungsbedürftig. Etwa eine Million Euro müssten in das Haus gesteckt werden, um das Nötigste zu sanieren: Holzfenster, die undicht sind und einen frischen Anstrich bräuchten, Toiletten, die am Rande des Akzeptablen sind. Der Gipfel ist der Trainingsraum - da könnte auch schon Turnvater Jahn zu Gange gewesen sein. Doch die Mitglieder lassen sich nicht entmutigen, wie Arbeitszettel zeigen: Eigeninitiative ist gefragt - so wurde nun eine neue Dusche gebaut, der eine oder andere Anstrich gemacht. Auf Bezirk oder Sponsoren können die Ruderer nicht setzen. Die letzte Absage eines Sponsors lautete "Wir setzen lieber auf den WM-Vierer, da haben wir auch Werbung", erzählt Vorsitzender Dirk Strassenberger, den man wie seine Mitglieder als wirkliche Idealisten bezeichnen kann, die sportlich auch auf gute Nachwuchsarbeit verweisen können.

Auch Joachim Uffelmann gehört zu dieser Spezies. Er hat praktisch im Alleingang das Baerwaldbad in Kreuzberg gerettet. Mit Beharrlichkeit ("Manche sagen auch: mit ständigem Nerven", beschreibt er selbst seinen Einsatz) und Organisationstalent hat er das schöne alte Traditionsbad gerettet.

Andere müssen auch retten, was zu retten ist. Verkehrsnah wünschen sich Schulen und Bürger ihre Sportanlagen - was Folgen haben kann. Etwa weil Anwohner sich vom Flutlicht am Sportplatz gestört fühlen. "Man muss das Gespräch suchen, Kontakt zu den Anliegern halten und Differenzen ausräumen. Und immer wieder das Gespräch suchen", sagt der Vorsitzende vom BSC Eintracht Südring, Gerhard Worm, dessen Verein den Sportplatz Gneisenau mitten im Wohngebiet in Eigenregie erfolgreich, mit viel Engagement, manchmal nicht ganz stressfrei verwaltet.

Ähnliche, vor allem aber bedrohlichere Probleme hat da der SC Berliner Amateure, der auf der Sportanlage an der Kreuzberger Körtestraße zuhause ist. Seit 1964 gibt es diese Anlage, und die offensive, erfolgreiche Kinder- und Jugendarbeit des Vereins wurde mehrfach ausgezeichnet. Doch seit geraumer Zeit rumort es rund um den Körteplatz. Der denkmalgeschützte Fichtebunker - ein 1876 gebautes Gasometer -wurde an einen Investor verkauft, der oben auf dem Dach Luxuswohnungen baute. Nun werden Klagen befürchtet. Wie die einer Nachbarin aus einem Haus gegenüber dem Bunker. Die schaffte es, dass ein Gericht ein Trillerpfeifenverbot verhängte, das Flutlicht ab 21.00 Uhr abgeschaltet werden muss und an Sonntagen ab 15.00 Uhr kein Spielbetrieb mehr stattfinden darf.

"Was kommt als nächstes?", fragt nicht nur Jugendleiter Herbert Kommik. "Noch mehr Einschränkungen, dann können wir dicht machen" meint er. Dabei hätte ein Bebauungsplanverfahren die Zukunft das Sportplatzes sichern können - das wurde aber von Linken und Grünen im Bezirk abgelehnt. Ein Beispiel, mit dem sich Vereine nicht nur in Berlin herumschlagen müssen - und das zu einem Präzedenzfall werden könnte: Für ein und dieselbe Anlage werden Bundes- und Landesgesetze angewendet werden: In Amtsdeutsch ist es entscheidend, ob es zum Beispiel um Verhaltenslärm oder Sportanlagen bedingten Lärm geht. Lärm ist nicht gleich Lärm, obwohl die Verursacher oftmals dieselben sind. Gewöhnliches wird eben außergewöhnlich - verstehen kann man es nicht.

Mag es Zufall sein, dass die letzte Station der Rundfahrt die Boxabteilung des Frauensportvereins "Seitenwechsel" war. Am Sandsack seinen Unmut los werden zu können, war Grund für die eine oder andere, sich für diese Kampfsportart zu entscheiden. Aggressionen los werden ist das eine, aber deshalb alleine kommen die Mädchen und jungen Frauen nicht dahin.

Boxtraining gilt als außerordentlich effektiv für den Körper und stärkt das Selbstbewusstsein. Technik und Schnelligkeit wollen viele nur an den Sandsäcken üben - nicht alle suchen den Weg in den Ring und den Zweikampf. "Nee, das könnte ich nicht, jemanden schlagen", sagt eine Teilnehmerin und versucht, dem pendelnden Sandsack auszuweichen.

Ausweichen, das haben die Teilnehmer dieser Tour schnell gelernt, ist Taktik bei der einen oder anderen Sportart, aber nicht die der Vereine. Sie stellen sich den Aufgaben und Anforderungen, so gut es geht. Und das gilt nicht nur für Berlin, das ohne Vereinssport weder dufte noch sexy wäre, sondern nur ärmer und kälter.

Kein Verein - undenkbar

Ein Kommentar von Bianka Schreiber-Rietig

Sport ist für viele in unserer Mediengesellschaft in erster Linie Hochleistungssport. Olympische Spiele, Weltmeisterschaft, Rekorde, Skandale und Skandälchen - damit möchte der Sportkonsument heute unterhalten werden. Und auch diejenigen, die darüber berichten, sonnen sich gerne im Glanz von Siegern oder spüren gefallenen Helden gnadenlos hinterher. Wen interessiert da schon die Basis, der ganz normale Vereinsalltag, der so normal nun heute gar nicht mehr ist? Der deutsche Verein, einzigartig auf der Welt, viel belächelt, ist heute in vielen Bereichen eine gemeinnützige Stütze dieser Gesellschaft. Vielleicht sollten Aktionen, wie sie der Landessportbund Berlin mit seiner sportpolitischen Stadtrundfahrt anbot, zum festen Vereinsprogramm werden, um Öffentlichkeit, aber auch Politiker darauf hinzuweisen, was Vereine heute zu stemmen haben - vor allem in deutschen Großstädten und Ballungsgebieten.

Berlin ist in vielen Bereichen Vorreiter und Vorbild - hat schon in den 70er Jahren erkannt, was mit dem Thema Integration auf diese Stadt zukommen wird und gehandelt, nimmt sich der Kinder aus armen Familien an, kümmert sich um Gesundheit von groß und klein. Weder in Berlin noch anderswo in dieser Republik drückt sich der Sport vor seiner sozialen Verantwortung oder Herausforderung, die ihm mehr oder weniger von anderen aufgedrängt wurden. Der Sportverein als Reparaturwerkstatt für erzieherische Fehlleistungen. Von vielen wird er als Allheilmittel gesehen und überfordert. Doch ohne Sport und seine ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer stünde es um den sozialen Frieden nicht nur in manchen Berliner Kiezen vielleicht noch schlechter als ohnehin. Die große Welt und somit die Vereinswelt ändern sich: jedes zweite Grundschulkind wird in einigen Berliner Bezirken im nächsten Jahr einen Migrationshintergrund haben, immer mehr Kinder leben an der Armutsgrenze, immer mehr ältere Menschen, die ihrer Einsamkeit entfliehen wollen und Anschluss im Sportverein suchen, leben in der Stadt und in der Republik. Und die wollen so lange wie möglich fit bleiben und für sich selbst sorgen.

Die Arbeit des Vereins wird als selbstverständlich hingenommen. Oft wissen Mitglieder gar nicht, was in ihrem Klub außer der von ihnen selbst betriebenen Sportart noch so alles angeboten wird. Oder gar mit welchen Problemen sich Vereinsvorstände herumschlagen müssen, die nicht gerade auf Tausende von Euros auf dem Vereinskonto zurückgreifen können. Nur wenn der eigene persönliche Umfeldfriede gestört wird, dann schreckt mancher aus seiner wohl organisierten Bewegungs-Behäbigkeit auf. Man sollte meinen, dass das Kapitel „Kinderlärm“ endlich geschlossen wäre: Der Deutsche akzeptiert aber immer noch eher Straßenlärm oder donnernde Rasenmäher als die Geräuschkulisse spielender Kinder. Der Verein und diejenigen, die unentgeltlich dafür arbeiten, sind keine Selbstverständlichkeit. Darüber sollten alle einmal nachdenken - ob sie nun selbstverständlich zu „ihrer Sportstunde“ eilen, oder sich über die „lauten Kinder“ auf dem Bolzplatz aufregen. Unterstützung ist gefragt, Verständnis und auch ein Dankeschön. Vereinsleben ist in der krisengeschüttelten Gesellschaft ein Stück Lebensqualität. Das merken viele erst dann, wenn es plötzlich keinen Verein mehr gibt. Aber das ist undenkbar.


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