Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis

Der Kommentar von Heike Kübler, Leiterin des Bundesprogramms Integration, beschäftigt sich mit einem neuen Verständnis von Sport und Integration.

Heike Kübler, Leiterin des DOSB-Bundesprogramms „Integration durch Sport“, Foto: Rimbach
Heike Kübler, Leiterin des DOSB-Bundesprogramms „Integration durch Sport“, Foto: Rimbach

Das Jahr 2023 ist noch jung und wir wollen neue Wege gehen. Zeit für ein kurzes Innehalten. Wir leben in einer Welt, in der die Krisen nicht nur immer schneller – fast atemlos – aufeinanderfolgen, sondern sich zunehmend überlappen und zum Teil wechselseitig verstärken. Eine Pandemie seit 2020, mit vielen Tausenden Toten, heftigen gesellschaftlichen Verwerfungen und durch Bewegungs- mangel verursachten drastischen Folgen für die Gesundheit besonders von Kindern und Jugendlichen. Der Klimawandel, dessen Auswirkungen für Natur und Menschen uns durch Dürren, Überflutungen, Stürme und Eisschmelze weltweit vor Augen geführt werden; schließlich der Krieg in der Ukraine mit all seinem menschlichen Leid, den Millionen von Geflüchteten, sowie der durch den Krieg hervorgerufenen Energiekrise samt galoppierender Inflation, die auf vielfältige Weise die soziale Schieflage in Deutschland verschärft.

Zugleich, auch das sollte erwähnt werden, hat die Gesellschaft in den vergangenen Jahren wichtige positive Impulse zum Umgang mit Vielfalt erfahren. Durch die Geschlechter-, Identitäts- und MeToo- Debatten sowie die Black-Lives-Matter-Demonstrationen, die nach dem gewaltsamen Tod des schwarzen US-Bürgers George Floyd in Minneapolis von den USA den Weg nach Europa und Deutschland fanden und hier nachhaltige Diskussionen – ja, und auch Veränderungen – in Hinblick auf Diskriminierung und Rassismus nach sich gezogen haben.

Wandel und Zerrüttungen sind offensichtlich und sie werden Organisationen, Projekte und Menschen gleichermaßen betreffen und verändern. Wir müssen uns verändern. Überall. Das gilt auch für das Bundesprogramm „Integration durch Sport“, das im Herbst dieses Jahres auf eine 34-jährige Geschichte blicken wird und mit seinem Anliegen so tief in die Gesellschaft reicht wie nur wenige Initiativen. Wenn man also darüber nachdenkt, wie das Bundesprogramm in die Zukunft zu führen ist, landet man unweigerlich bei der Frage nach gesellschaftlicher und gleichberechtigter Teilhabe. Zugang zu Sprache, Bildung, Gesundheit, Arbeit und Wohnen – und immer mehr: zu gesunden Lebensmitteln, Energie und Begegnungen auf Augenhöhe. Nichts anderes ist „Integration“. Die Gesellschaft wird sich vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Entwicklungen entlang dieser Fragen sortieren, immer stärker.

Das ist eine große Herausforderung, und sie bietet dem Bundesprogramm die Gelegenheit, sich an seine Wurzeln zu erinnern. Gegründet wurde es als Initiative, die sowohl der Integration von Zuge- wanderten dienen sollte als auch von Menschen, die in sozial prekären Verhältnissen leben und denen die gesellschaftliche Teilhabe erschwert ist. Gerade der letzte Aspekt ist in den vergangenen Jahren in der praktischen Arbeit wie in der Außenwahrnehmung und -darstellung verloren gegangen.

Integration ist soziale, politische und wirtschaftliche Partizipation. Wenn das ganz oben auf der Agenda steht, löst sich die Frage auf, wer eigentlich durch die Programmarbeit angesprochen wird. Nicht per se der Mensch mit Zuwanderungsgeschichte, sondern jener, dem hinreichende Sprachfertigkeiten, Ausbildung, soziale Kontakte und Unterstützung fehlen. Aus dieser Perspektive löst sich die Vorstellung von Innen und Außen auf, zumindest jene, die sich allein an der bisher gängigen Kategorie der Herkunft orientiert. Das Bundesprogramm kann vor dem Hintergrund von rund 22 Millionen Menschen in Deutschland mit persönlicher oder familiärer Zuwanderungsgeschichte und der zunehmenden sozialen Herausforderungen durch materielle Ungleichheit zu einer Neudefinition von „Integration“ beitragen und seiner Stimme und seiner Erfahrung zugleich deutlich mehr Gewicht verleihen.

(Autorin: Heike Kübler)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Heike Kübler, Leiterin des DOSB-Bundesprogramms „Integration durch Sport“, Foto: Rimbach
    Heike Kübler, Leiterin des DOSB-Bundesprogramms „Integration durch Sport“, Foto: Rimbach