Auslandsexperte Fickert über die Situation in Mali

Der Fußball-Experte Joachim Fickert hat sein Einsatzgebiet Mali wegen eines Militärputsches vorübergehend verlassen müssen. Im Interview mit DFB.de spricht er über die Situation dort und sein Projekt.

Joachim Fickert (vorne) will bald nach Mali zurückkehren, um sein erfolgreiches Projekt zu Ende zubringen. Foto: privat
Joachim Fickert (vorne) will bald nach Mali zurückkehren, um sein erfolgreiches Projekt zu Ende zubringen. Foto: privat

DFB.de: Herr Fickert, Mali galt für fast zwei Jahrzehnte in der Region als Vorzeigedemokratie. War dies in Ihrer Arbeit vor Ort auch zu spüren? Wie haben Sie Mali vor dem Putsch erlebt?

Joachim Fickert: Mali war auf einem guten Weg, und ich hoffe, dass das Land diesen fortsetzen wird. Das gilt für die Politik, den Sport im Allgemeinen und den Fußball im Speziellen. Der Fußball-Verband in Mali war demokratisch organisiert, für die Fußballprojekte war dies sehr förderlich. Ich arbeite seit 1983 in verschiedenen Ländern in Sachen Fußball. Dabei war ich selten in einem Land, wo es möglich war, so viele Dinge in so kurzer Zeit voranzutreiben. Das lag vor allem an der guten Zusammenarbeit mit dem Sportministerium, dem Nationalen Olympischen Komitee und dem Fußball-Verband. Schon nach kurzer Zeit in Mali wurde mir mit dem Posten des Technischen Direktors eine maßgebliche Rolle im Verband übertragen.

Was waren in dieser Funktion Ihre Aufgaben? Welche Prioritäten haben Sie gesetzt?

Wenn man so will, war ich der Matthias Sammer von Mali. Ich habe mich darum gekümmert, wer die Nationalmannschaften trainiert und habe ein Konzept für die nachhaltige Arbeit im Verband erstellt und umgesetzt. Ich finde, dass wir sehr viel erreicht haben. Zu großen Teilen ist dies darauf zurückzuführen, dass wir in den insgesamt sieben Jahren, in denen ich dort mit Unterbrechungen gearbeitet habe, mehr als 1400 Trainer aus- und weitergebildet haben. Es gibt kein anderes Land in Afrika, das sich in so vielen Kategorien für die Endrunde der afrikanischen Meisterschaften qualifiziert hat. Die U 17 war unter den besten acht Nationen Afrikas, die U 19 ebenfalls. Besonders bemerkenswert sind die Erfolge der Frauen-Nationalmannschaft, die ebenfalls unter die besten acht Afrikas gekommen ist. In einem Land, dessen Bevölkerung 95 Prozent muslimisch ist.

Beim Afrika-Cup in Gabun wurde die Nationalmannschaft zu Beginn des Jahres Dritter. Wie haben Sie während des Turniers die Stimmung in Mali erlebt?

Die Malier sind ein sehr stolzes Volk, der Afrika-Cup war im Land ein gewaltiges Ereignis. Platz drei war ein großer Erfolg, wobei man nicht vergessen darf, dass Mali über eine ganze Reihe von Spielern verfügt, die bei großen Vereinen in Europa eine wichtige Rolle spielen: Seydou Keita, Frédéric Kanoute, Mohamed Sissoko, Mahamadou Diarra. Das Turnier war großartig, die Menschen in Mali haben nach den Siegen auf der Straße getanzt und die Sorgen des Alltags vergessen. In Mali ist es wie überall auf der Welt: Erfolge der Nationalmannschaft haben Einfluss auf den Nationalstolz und das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl.

Wie sah Ihre Zusammenarbeit mit Trainer Alain Giresse aus?

Giresse ist der dritte Nationaltrainer, seit ich in Mali bin. Mit keinem seiner Vorgänger war die Zusammenarbeit ähnlich gut. Wir kommen blendend aus, haben immer konstruktiv diskutiert und ins in allen Dingen abgesprochen. Mit ihm war die Zusammenarbeit immer positiv, ich hoffe sehr, dass er sein Engagement fortsetzt.

Aufgrund der Unruhen mussten Sie das Land vorzeitig verlassen. Wie haben Sie die vergangenen Wochen in Mali erlebt?

Für mich war es keine ganz neue Erfahrung. Ich war zuvor schon zweimal dabei, als in einem Land geputscht wurde. Im Kongo gab es drei Monate lang eine Ausgangssperre, auch in Kambodscha habe ich einen Putsch erlebt. Der Putsch in Mali war insofern besonders, weil er sehr überraschend kam und die Menschen sich überhaupt nicht auf die Situation vorbereiten konnten.

Es gab also im Vorfeld keinerlei Anzeichen?

Nein. In Mali waren Ende April Neuwahlen anberaumt. Der alte Präsident hatte zwei Mandate hinter sich und sich nicht wieder zur Wahl gestellt. Aus meiner Sicht sprach viel dafür, dass sich die demokratische Entwicklung, die in Mali bereits zwei Jahrzehnte andauert, fortsetzt. Tja, bis dann am 21. März eine unterrangige Gruppe der Militärs den Putsch durchgeführt hat. Die Aktion ist aus Enttäuschung und Zorn entstanden. Die Regierung hatte es versäumt, die Lage im Norden des Landes transparent zu machen. Es gibt dort große Probleme und einige militante Rebellen-Gruppen. Immer wieder gab es dort furchtbare Gräueltaten. Ende Januar wurden beispielsweise 90 Soldaten von Rebellen die Kehle durchgeschnitten. Die Regierung hat darüber geschwiegen, aus welchen Gründen auch immer. Die Familien, Freunde und Bekannten der Opfer waren natürlich aufgebracht, auch über das Verhalten der Regierung. Damals gab es die erste Unruhe, seither hat es wohl geschwelt.

Welche Einblicke haben Sie in die Situation im Norden des Landes, wie tief sind Ihre Kenntnisse von den Verhältnissen vor Ort und den Tuareg-Rebellen?

Die Tuareg sind ein Volk, das schon lange nach Unabhängigkeit strebt und sein eigenes Land haben will. Seit 60 Jahren bewegen sie sich als Nomaden in Mali und in einigen Anrainerländern. Sie sind aber nicht das einzige Problem im Norden Malis. Es gibt dort einige islamische Fundamentalisten, die die Scharia als Rechtssystem einführen und einen Gottesstaat ausrufen wollen. Auch Al-Qaida hat dort Einfluss und will vor der Tür Europas eine Basis finden. Mir hat mal ein Malier gesagt, dass der Westen einen Fehler macht, wenn er glaubt, Europa nur am Hindukusch verteidigen zu müssen. Eine vierte Gruppe, die im Norden Malis Probleme macht, sind Drogenbarone. Das Land ist extrem groß und dünn besiedelt und hat sich mit dieser Struktur als idealer Umschlagplatz für Drogen etabliert. Die Situation ist also sehr komplex.

Wie haben Sie Ihre persönliche Sicherheitslage empfunden. Konnte sich der Technische Direktor des Malischen Fußball-Verbandes in Mali frei bewegen?

Seit zwei Jahren war es mitunter kritisch. Ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen durfte man sich nicht bewegen. An Spaziergänge am Abend oder Fahrten auf eigene Faust war nicht zu denken. Im Norden gab es schon seit Monaten die "rote Zone", in die kein Weißer oder generell kein Europäer mehr rein sollte. Im November wurde in Timbuktu ein Deutscher ermordet, einige Franzosen wurden dort geradezu hingerichtet. In Bamako war es auch gefährlich, aber viel weniger als im Norden. Dennoch: Vorsichtig musste ich natürlich sein. Aber ich will das relativieren: Wenn ich mich nachts in Hamburg, Berlin, München oder sonst einer großen Stadt bewege, dann gibt es auch dort Viertel, die ich eher meide.

Welche Maßnahmen haben Sie konkret zu Ihrem Schutz ergriffen?

Ich habe im Wesentlichen das umgesetzt, was die Deutsche Botschaft empfohlen hat. Dass man nicht regelmäßig zur selben Uhrzeit die Wohnung verlässt, dass man auf dem Weg zur Arbeit immer andere Routen wählt, dass man darauf achtet, dass das Auto nicht zugeparkt werden kann und immer der Weg in mindestens eine Richtung offen ist.

Hat sich Ihre Tätigkeit in Mali auf die Hauptstadt Bamako konzentriert? Oder haben Sie versucht, Trainer und Fußballer auch in anderen Regionen zu erreichen?

Wir waren überall, auch im Norden. Das war ein ganz spezielles Anliegen des Präsidenten. Er wollte, dass wir dorthin gehen, wo die Tuaregs leben, um ihnen zu zeigen, dass sie wichtiger Bestandteil Malis sind. Wir waren in Kidal, wir waren in Gao, wir waren in Timbuktu. Über mehrere Wochen. Wir waren im ganzen Land, haben den Auf- und Ausbau des Fußballs vorangetrieben und dabei gute Ergebnisse erzielt. Aber noch mal: Das war nur möglich, weil wir gut unterstützt worden sind. Der Sport dient dort nicht vornehmlich der Politik, er dient vornehmlich den Menschen.

Wie haben Sie bei den Reisen in den Norden die Tuareg erlebt?

Fickert: Die Tuareg sind zu ganz großen Teilen ganz vernünftige Menschen. Die meisten haben sich wunderbar in die Gesellschaft in Mali integriert und identifizieren sich mit dem Land Mali. Dass viele sich von den Rebellen distanzieren, zeigt ja schon die Tatsache, dass fast 200.000 Malier aus dem Norden in die benachbarten Länder geflohen sind. Meine Wahrnehmung ist, dass die meisten Tuareg gar nicht die Bestrebungen haben, einen autonomen Staat zu gründen. Die Probleme, die es jetzt gibt, gehen zu großen Teilen von den ehemaligen Söldnern Gaddafis aus. Nach dem Sturz kamen sie nach Mali und haben dort die Unruhen angeheizt. Einige Tuareg haben sich mit Geld und Waffen auf deren Seite ziehen lassen, aber das ist eine kleine Minderheit.

Haben Sie Situationen erlebt, die Sie als bedrohlich empfunden haben?

Ja, schon. In meinen letzten Tagen in Bamako konnte ich fünf Tage lang das Haus nicht verlassen, jede Nacht waren Schüsse zu hören. Und ich hatte immer vor Augen, mit welcher Brutalität die Rebellen im Norden zum Teil vorgegangen sind. Das lässt einen schon zusammenzucken und auf jedes Geräusch achten. Bis heute hat mich dies nicht losgelassen. Ich schlafe sehr schlecht, habe nachts häufig Alpträume. Mich wundert das selber, weil ich dachte, dass ich nach den Erfahrungen aus meiner Zeit in Kongo, als beim Putsch allein in der Hauptstadt Brazzaville 10.000 Menschen ermordet worden sind, abgehärtet bin. Im Vergleich dazu war der Putsch in Mali viel harmloser, und dennoch: Diesmal hat es mich offensichtlich mehr mitgenommen.

Umso richtiger war, dass Sie ausgereist sind. Wie lief Ihre Ausreise ab?

Fickert: Die Botschaft hat sich vorbildlich um die Deutschen in Mali gekümmert, wir waren täglich in Kontakt und über das Internet und per Telefon gut informiert. Die Botschaft hat schließlich entschieden, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als das Land zu verlassen. Die Rebellen sind binnen einer Woche 1000 Kilometer nach Süden vorgedrungen. Sie hätten in zwei, drei Tagen in Bamako sein können. Es haben ja nicht nur die Deutschen das Land verlassen, Belgier, Franzosen, alle anderen sind ebenfalls gegangen. Und nicht nur die Fußballtrainer. Experten aus allen Bereichen haben Mali verlassen.

Ihr Projekt wäre regulär im April ausgelaufen. Ist Ihre Arbeit in Mali also weitgehend getan?

Ja. Ziel der Projekte ist es immer, nachhaltig zu arbeiten. Nach Ende des Projektes sollen Strukturen geschaffen sein, die den Fußballsport im jeweiligen Land dauerhaft auf eine gute Basis stellen. In Mali ist dies gelungen. Mein Nachfolger ist eingearbeitet, die Menschen, die mit mir im Projekt gearbeitet haben, werden die Arbeit fortsetzen. Sowohl, was die praktische Arbeit auf dem Spielfeld betrifft als auch, was die Verwaltung, die ganze Administration betrifft. Es ist gewährleistet, dass das, was wir begonnen haben, auch weitergeführt wird. In Mali hat das geklappt, dafür kann ich nur dankbar sein und den Verantwortlichen des Fußball-Verbandes gratulieren.

Wie geht es für Sie weiter? Kehren Sie noch einmal nach Mali zurück?


So wie es aktuell aussieht, werde ich bald nach Mali zurückkehren und das Projekt abwickeln. Ich rechne damit, dass ich in den nächsten zwei, drei, vier Wochen wieder nach Bamako fliegen kann. Im Moment geht das noch nicht, aber die Situation scheint sich zu beruhigen. Der Druck aus Europa und die Reaktionen der Anrainerstaaten haben die Putschisten zu vielen Zugeständnissen gezwungen. Ich bin optimistisch, dass ich die Chance bekomme, das Projekt zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen und die Dinge zu erledigen, die noch zu erledigen sind.

Hintergrund:
Seit 1983 ist Joachim Fickert als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball in der ganzen Welt unterwegs. Als Auslandsexperte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat er in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in etlichen Ländern Trainer geschult, Spieler ausgebildet, Horizonte erweitert und Strukturen geschaffen.

Seit viereinhalb Jahren lebt und arbeitet er in Mali, als Technischer Direktor ist er dort eine Art Matthias Sammer. Kurz vor Ende des Langzeitprojektes musste Fickert das Land vorübergehend verlassen - nach einem Militärputsch war die Lage in Mali undurchsichtig. Vom Norden her rückten Rebellen und ehemalige Gaddafi-Soldaten bedrohlich nah an die Hauptstadt Bamako heran.

(Quelle: DFB.de / Steffen Lüdeke)


  • Joachim Fickert (vorne) will bald nach Mali zurückkehren, um sein erfolgreiches Projekt zu Ende zubringen. Foto: privat
    Joachim Fickert (vorne) will bald nach Mali zurückkehren, um sein erfolgreiches Projekt zu Ende zubringen. Foto: privat