Bach: Schlagkräftiges Team - brillante Spiele

Thomas Bach (li.), Präsident des DOSB und IOC-Vizepräsident, nimmt in einem Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) zu aktuellen Fragen und Problemen rund um die Spiele Stellung.

Thomas Bach (li.) und Michael Vesper, DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission, beim Einkleidungstermin für die Deutsche Olympiamannschaft Ende Juni in Mainz. Foto: picture-alliance/Jan Haas
Thomas Bach (li.) und Michael Vesper, DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission, beim Einkleidungstermin für die Deutsche Olympiamannschaft Ende Juni in Mainz. Foto: picture-alliance/Jan Haas

SID: "Immer wenn Olympia ansteht, stellt sich die Frage: wann endlich wieder in Deutschland nach München 1972? Bis zu den nächsten Spielen könnten exakt 50 Jahre vergehen. Mehr noch, wenn Winterspiele 2022 kein Thema werden ..."

Thomas Bach: "Über eine mögliche Münchner Bewerbung für 2022 müssen wir nicht vor Ende 2013 entscheiden. Es hängt von den Umständen ab. Die Fragen sind: Wer bekommt international den Zuschlag für die Sommerspiele 2020? Mit welcher innenpolitischen Unterstützung durch Amtsträger und Regierungen können wir rechnen? Ist eine breite Zustimmung der Bevölkerung sicher? Und wer trägt die Kosten für Bewerbung und Organisation der Spiele? Klarheit gibt es da wohl erst 2013. Da wir bereits ein gutes Konzept haben, reicht uns auch die Zeit zwischen der Entscheidung über die Sommerspiele 2020 und die spätere Abgabe der ersten Interessensbekundung gegenüber dem IOC gut aus."

"Aber nicht nur Winterspiele stehen zur Diskussion?"

"Deutschland ist in der komfortablen Lage, Olympische Spiele im Sommer wie im Winter ausrichten zu können. Das muss in die Überlegungen Ende nächsten Jahres einbezogen werden. Wir freuen uns in diesem Zusammenhang über das große Interesse von Berlin und Hamburg."

"Deutschland ist also mindestens noch zehn weitere Jahre Gast statt Gastgeber der Spiele. Wie stehen in London die Erfolgsaussichten, nachdem die Medaillenausbeute seit der Vereinigung ab 1992 stets geringer wurde? 2008 in Peking war die deutsche Mannschaft mit 16 Siegen und 41 Medaillen immerhin Fünfter der Nationenwertung. Ganz vorn lag erstmals China (51 Gold) vor den USA (36), Russland (23) und Großbritannien (19). Was erwarten Sie diesmal."

"Der Maßstab ist Peking. Ich erwarte den härtesten Wettbewerb der olympischen Geschichte. Ein oder zwei Siege mehr oder weniger könnten fünf oder sechs Plätze ausmachen. Was die Leistungsfähigkeit dieser Mannschaft betrifft, bin ich sehr zuversichtlich. Wir sind breit aufgestellt, vielleicht sogar am breitesten von allen Nationen, und haben ein schlagkräftiges Team."

"Warum wird der Kampf um die Medaillen diesmal noch deutlich härter?"

"Die starken Nationen haben mehr Geld und Know-How in den Leistungssport investiert als jemals zuvor. In China, den USA, Russland, aber vor allem in Japan und Südkorea sind aus deutscher Sicht unvorstellbar hohe Summen zur Verfügung gestellt worden. Unsere Konkurrenten greifen mit hohen Investitionen vor allen Dingen bei unseren Stärken an: im Bereich der Trainer, der Sportwissenschaft, der Sportgeräte und der Sporttechnik. Nie war bei anderen Nationen so viel Geld und Know-how im Spiel. Und erfreulicherweise können immer mehr Nationen Medaillen gewinnen."

"Immer mehr Nationen motivieren ihre Athleten mit immer höheren Prämien, bis in die sechsstelligen Dollarsummen für Gold. Reicht es da aus, dass in Deutschland seit Jahren 15.000 Euro Prämie für den Olympiasieg gezahlt werden?"

"Unser Sportsystem ist nicht darauf ausgerichtet, dass ein Olympiasieg eine lebenslange Versorgung garantiert. Wir wollen Athleten die duale Karriere ermöglichen - Erfolg in Sport und Beruf. Das wird von einer großen Mehrheit der Athleten mitgetragen. Die Athleten betreiben ihren Sport aus Leidenschaft. Wenn jemand Leistungssportler wird, um durch einen Olympiasieg ausgesorgt zu haben, dann würde ich ihm - flapsig gesprochen - eher empfehlen, zur Lotto-Annahmestelle zu gehen. Wer im Moment des Matchballs an eine Prämie denkt, verschlägt ihn."

"Wie kann Deutschland angesichts der Anstrengungen anderer künftig mithalten. Reichen die 130 Millionen, die die Bundesregierung 2012 für den Spitzensport gab? Was muss darüber hinaus getan werden?"

"Wir hatten in der Förderung gute Steigerungsraten in den letzten Jahren. Aber wenn wir den Anspruch aufrecht erhalten wollen, in der Weltspitze mitzumischen, müsste das fortgeschrieben werden. Außerdem wollen wir eine Initiative zur effektiveren Sportförderung starten. Wenn wir die finanzielle Basis nicht verbessern, besteht die Gefahr, dass wir mittelfristig nicht mehr in der internationalen Spitze mithalten können."

"In etlichen Teamsportarten ist dies offenbar schon jetzt der Fall. Neun von zwölf Mannschaften sind im Ballsport gescheitert, Fußballer, Handballer, Basketballer und Wasserballer sogar komplett. Nachdem bisher 428 Athleten das kleinste Team seit der Vereinigung darstellten, sind es deswegen jetzt nur 392 ..."

"Unser Team wird kleiner, aber nicht minder schlagkräftig sein. In einigen Sportarten sind deutliche Verbesserungen gegenüber Peking festzustellen, gerade auch in der Leichtathletik oder bei den Ruderern und im Radsport. Im Kanu ist das extrem hohe Niveau gehalten worden. Und mit Ausnahme von Hinrich Romeike, der 2008 in Hongkong im Vielseitigkeitsreiten überraschend Gold im Einzel und mit der Mannschaft gewann, sind viele Olympiasieger von Peking wieder dabei. Schwimmerin Britta Steffen, im Fechten Britta Heidemann und Benjamin Kleibrink, Gewichtheber Matthias Steiner, Triathlet Jan Frodeno, Judoka Ole Bischof oder Lena Schöneborn im Modernen Fünfkampf. Dass Teamgröße nichts über Leistungsstärke aussagt, sehen Sie auch an China, das gerade mal 396 Athleten nach London schickt."

"Noch einmal kurz zurück zu den Ballsportarten. Ihr Scheitern bringt neun Mannschaften um das Erlebnis Olympia. Aber andererseits hätte wohl nur ein Team eine Medaille gewinnen können?"

"Von den nicht qualifizierten Mannschaften hätten nur die Fußball-Frauen eine realistische Medaillenchance gehabt. Aber es muss in den Ballsportarten eine Aufarbeitung der verpassten Qualifikation geben. Die Ligen müssen sehen, dass auch sie etwas davon haben, wenn eine starke Nationalmannschaft und Olympiamannschaft antritt. Ich wünsche mir, dass am Ende dann das Projekt Olympia-Qualifikation steht und sich daran alle orientieren."

"Sie sind dafür, dass auch im Fußball die Besten der Sportart bei Olympia antreten, also nicht wie bisher nur Mannschaften, in denen bei den Männern höchstens drei Spieler über 23 Jahre alt sind?"

"Diese Lösung ist insoweit ein akzeptabler Kompromiss, als die A-Nationalmannschaften im Durchschnitt immer jünger werden. Als Fußballfan darf man von einer vollkommenen Freigabe träumen, weil es aus meiner Sicht sowohl für den Fußball als auch für die Olympischen Spiele positiv wäre. Dem Stellenwert der Fußball-Weltmeisterschaft würde es nicht schaden, im Gegenteil, es wäre auch ein weiteres weltweites Schaufenster für den Spitzenfußball. Spieler wie Messi, der 2008 Olympiasieger geworden ist, sind auch gern dabei, weil sie das besondere olympische Flair schätzen."

"Bei der Fußball-EM gab es die Diskussion um das Mitsingen der Spieler bei der Hymne. Wie sehen Sie dies bei Siegerehrungen in London?"

"Die Situation auf dem Siegertreppchen bei Olympia ist nicht vergleichbar mit der Zeremonie vor Fußball-Länderspielen. In dieser hochemotionalen Stimmung reagiert jeder Athlet auf eigene Weise. Ich würde Athleten für einen der schönsten Momente ihres Lebens nicht gern festgefügte Regieanweisungen geben. Aber dass sich unsere Aktiven in London als "Wir für Deutschland" verstehen, als Botschafter unseres Landes, steht für mich fest."

"IOC-Präsident Jacques Rogge hat sich gegen den Vorschlag einer Schweigeminute für die Opfer des Attentats vor 40 Jahren bei Olympia 1972 in München ausgesprochen. Wie sehen Sie das?"

"Das lässt sich nicht auf die Frage einer Schweigeminute bei der Eröffnungsfeier verengen. Es geht darum, dass der Opfer würdig und angemessen gedacht wird. In Übereinstimmung mit dem Nationalen Olympischen Komitee von Israel ist das IOC zu der Überzeugung gelangt, dass dies am besten in einer ausschließlich den Opfern des Attentats von 1972 gewidmeten feierlichen Zeremonie am 6. August in London geschieht. Wir als DOSB haben am 5. September in Deutschland zwei Gedenkveranstaltungen, eine Kranzniederlegung am Ort der Geiselnahme in München und eine Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck, am Ort der Ermordung der Geiseln und des Polizeibeamten. Darüber hinaus wirken wir in partnerschaftlicher Abstimmung mit dem israelischen NOK an zwei weiteren Gedenkveranstaltungen in Israel mit."

"Alle Länder werden diesmal Frauen zu Olympia entsenden, erstmals ist Saudi-Arabien mit zwei Athletinnen vertreten. Ein wichtiger Schritt für die Entwicklung?"

"Das ist ein ganz wichtiger Schritt, den wir vor allen Dingen Jacques Rogge zu verdanken haben. Er hat diese Gespräche mit großer Beharrlichkeit zum Erfolg geführt. Das wird eine ebenso große Wirkung haben wie die Tatsache, dass bei der Eröffnungsfeier eine Sportlerin aus Katar die Fahne ihres Landes tragen wird."

"Die Sicherheit und der Verkehr werden im Vorfeld der Spiele als Probleme angesehen. Blicken sie London auch mit Sorge entgegen?"

"Es werden brillante Olympische Spiele in einer der faszinierendsten Städte der Welt, mit einem sportbegeisterten Publikum. Mein Freund Sebastian Coe hat ein gutes Konzept, eine Verbindung aus Tradition und Innovation, das wird auch bei der Jugend Begeisterung auslösen."

"London hat die Ausgaben für Sicherheit zuletzt deutlich erhöht. 2005 gab es einen Terroranschlag mit 52 Toten, 2011 Jugendkrawalle auf den Straßen. Sehen Sie in diesem Bereich Anlass zur Sorge?"

"Die Sicherheit ist bei allen Großveranstaltungen - egal, ob in Sport, Kultur oder Politik - ein Thema, unabhängig vom Austragungsort. Ich habe da großes Vertrauen in die gute Zusammenarbeit der Behörden. Und was den Terroranschlag angeht: Hier lässt die Vergangenheit nicht auf Gefahren für die Zukunft schließen."

"Eine ganz andere Gefahr für den Sport ist Doping. Hier gibt es Fortschritte, doch der Kampf wird offenbar in etlichen Teilen der Welt nicht so intensiv geführt wie in Deutschland und anderen Nationen. Was ist zu tun?"

"Es gibt in London mehr Kontrollen als jemals zuvor, auch deren Qualität ist noch einmal stark verbessert. Wie zuvor werden alle Medaillengewinner getestet. Darüber hinaus werden zielgerichtet im Vorfeld Proben in Training und Wettkampf genommen. Ähnlich wie vor Peking, als dann eine ganze Reihe Athleten nicht teilnehmen durfte. Es gibt weiter verfeinerte Methoden, auch die größere Zahl an Blutkontrollen spielt eine Rolle. Die Hemmschwelle für die Athleten wird sehr hoch sein, zumal die Proben für acht Jahre für mögliche weitere Tests eingefroren werden. Der Kampf gegen Doping hält stets neue Herausforderungen bereit. Doch zu Ende sein wird er nie."

"In Deutschland wurde zuletzt wieder der Ruf nach einem Anti-Doping-Gesetz laut? Ist es aus Ihrer Sicht nach wie vor nicht notwendig?"

"Wir haben gerade in den letzten Wochen gesehen, wie gut wir in Deutschland mit unserem integrierten System aus staatlichen Gesetzen und Sportgerichtsbarkeit leben. Außerdem haben wir mit dem Arzneimittelgesetz praktisch ein Anti-Doping-Gesetz, mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Nationale Anti Doping Agentur und die im Sport verbotenen Substanzen. Im Übrigen haben wir Entscheidungen der Sportgerichte schneller als von ordentlichen Gerichten, das spricht auch für unser bestehendes System."

"Werden Sie in London wieder Chef der Disziplinarkommission sein, die bei Dopingfällen zusammentritt? Und welche Aufgaben haben Sie über die Position des IOC-Vizepräsidenten hinaus noch?"

"Ich gehe davon aus, dass der IOC-Präsident mich wieder mit dem Vorsitz der Disziplinarkommission betraut. Darüber hinaus bin ich Mitglied der täglichen Koordinierungsrunde, in der die Spiele organisatorisch gesteuert werden. Vor allen Dingen freue ich mich aber, für unsere Olympiamannschaft da sein zu können."

"Zum Schluss noch ein Thema, das Sie gern meiden. IOC-Präsident Jacques Rogge hat Ihnen in einem SID-Interview bestätigt, dass Sie alle Eigenschaften besitzen, um im September 2013 sein Amtsnachfolger werden zu können. Bleibt es dabei, dass Sie über eine Kandidatur als IOC-Präsident weiterhin nicht öffentlich reden?"

"Es ehrt den deutschen Sport und auch mich, dass der Präsident das so sieht. Aber es ändert nichts daran, dass es noch mehr als ein Jahr bis dahin ist. Es wäre nicht fair gegenüber dem IOC und dem Präsidenten, jetzt schon eine Personaldiskussion um die Nachfolge loszubrechen. Die volle Konzentration richtet sich jetzt auf erfolgreiche Olympische Spiele in London."

(Quelle: SID)


  • Thomas Bach (li.) und Michael Vesper, DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission, beim Einkleidungstermin für die Deutsche Olympiamannschaft Ende Juni in Mainz. Foto: picture-alliance/Jan Haas
    Thomas Bach (li.) und Michael Vesper, DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission, beim Einkleidungstermin für die Deutsche Olympiamannschaft Ende Juni in Mainz. Foto: picture-alliance/Jan Haas