Baldé: "Ich sehe meine Behinderung als Chance"

Alhassane Baldé kam als Kind nach Deutschland. Aus Afrika, ohne Deutschkenntnisse, querschnittsgelähmt. Heute ist er Spitzensportler, Motivationstrainer, einfach eine selbstbewusste Person.

Alhassane Baldés erklärtes Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2012. (Foto: LSB NRW | Andrea Bowinkelmann)
Alhassane Baldés erklärtes Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2012. (Foto: LSB NRW | Andrea Bowinkelmann)

Auf Ihrer Website schreiben Sie: „Ich habe als behinderter Mensch mit Migrationshintergrund im Rollstuhl Erfahrungen gesammelt, die mich früh haben reifen lassen.“ Was waren das für Erfahrungen?

Alhassane Baldé: Das sind mehrere Punkte. Ich bin als Fünfjähriger nach Deutschland gekommen, ich konnte die Sprache nicht, bin aber eigentlich sehr schnell in alles hereingewachsen. Meine Behinderung war mir nie so präsent, das ist das Erstaunliche.

Alhassane Baldé

Der Rollstuhlrennfahrer wurde 1985 in Guinea geboren, einem Land „der vierten Welt“, wie er sagt. Ab dem achten Brustwirbel querschnittsgelähmt, hätte er dort kaum überlebt, deshalb kam er mit Fünf nach Deutschland, zu seinem Onkel. Baldé betreut Großkunden bei der Zentralen Auslands und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn, eine besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, zudem ist er als freier Motivationstrainer tätig. In der kommenden Saison will er sich unbedingt für die paralympischen Spiele in London qualifizieren - 2004 in Athen und 2008 in Peking war er dabei, nun hätte er am liebsten eine Medaille. Die Qualifikation läuft über die Weltrangliste und ist ein sehr hohe Hürde in der attraktiven, teils von Profis betriebenen paralympischen Disziplin.


Wie meinen Sie das: nicht präsent?

Es war nicht so, wie man vielleicht vermutet bei jemanden mit Migrationshintergrund, der auch noch aus Afrika kommt und im Rollstuhl sitzt. Ich habe immer versucht alles das zu machen, was die anderen Kinder und Jugendlichen in meinem Alter gemacht haben, auch im Sport: ich habe Tennis gespielt und Fußball und bin Wasserski gefahren. Indem ich so viel ausprobieren konnte, habe ich gemerkt: Ich empfinde meine Behinderung letztlich nicht als Handicap, sondern als Chance: Ich kann Dinge und Menschen erreichen, die ich als Nichtbehinderter vielleicht nicht hätte erreichen können. Deshalb habe ich auch mit dem Motivationstraining angefangen. Das hat weniger mit dem Sport zu tun als mit den positiven Erfahrungen meiner Kindheit.

Keine Ausgrenzung wegen Ihrer Herkunft?

Viele Leute fragen mich, ob ich nicht gehänselt worden sei, aber so etwas war nie ein Thema. Erst mit zunehmendem Alter habe ich bemerkt, dass doch gewisse Barrieren bestehen.

Welche?

Was die Behinderung angeht, ist das immer noch das ein oder andere Alltägliche. Und unterschwellig bemerke ich an Äußerungen oder im Verhalten mancher Menschen eine gewisse Distanz, eine Abwehrhaltung. Oder auch Irritation: dass ich als Schwarzer so gut, so normal Deutsch spreche.

Kränkt Sie das?

Nein, ich kann das nachvollziehen. Nach außen erscheint das als bemerkenswert. Ich sag den Leuten halt immer, dass es das für mich überhaupt nicht ist. Ich bin hier aufgewachsen, ich fühle mich deutsch, ich spreche die Sprache. Meine Familie hat da ganz andere Sachen durchgemacht.

Ihr Onkel hat Sie adoptiert, als Sie hierher kamen.

Er und meine Tante. Mein Onkel stammt auch aus Guinea und lebt seit Ende der Siebziger Jahre in Deutschland. Er hat im Studium seine deutsche Frau kennengelernt, und die beiden haben uns – ich habe noch zwei Mischlingsgeschwister – den Weg geebnet. Sie haben es geschafft, sich in einem ganz anderen Umfeld zu etablieren, von ganz unten sozusagen. Mein Onkel ist heute Controller bei der ARAG, er hat die Rassismus-Barrieren hinter sich gelassen. Das bewundere ich, und das hat mir erst die Möglichkeiten eröffnet, die ich hatte.

Außer Ihrer Familie und Ihrem Selbstvertrauen hatten Sie in dem Unternehmer Errol Marklein einen Mentor, der Ihnen auch Ihren ersten Rennrollstuhl geschenkt hat. Können Sie sich in Migranten mit Behinderung hineinversetzen, die schwer Zugang finden zum organisierten Sport?

Ganz ehrlich, ich kann das schwer beurteilen. Ich kenne keine Betroffenen. Ich kann mir vorstellen, dass es für Migranten in Problembezirken schon schwierig ist, Spitzensport zu machen, weil es da kein Umfeld gibt. Um nach oben zu kommen, braucht man einfach ein Top-Umfeld.

Integration: Woran denken Sie bei dem Begriff?

In erster Linie denke ich: vielschichtig. Man sollte diesen Begriff nicht inflationär benutzen. Ich sehe Integration als Chance, als Perspektive, als Möglichkeit und finde es schade, wenn sie schwarzweiß ausgelegt wird: als gelungene oder misslungene Integration. Das ist mir zu einfach. Integration ist für mich ein Zusammenspiel von vielen Menschen und Einflüssen. 

Fühlen Sie sich von dem Begriff persönlich gemeint?

Ich kenne meine Wurzeln und würde sie niemals verleugnen. Aber ich finde es schön, Verschiedenes zu verbinden und zu wissen: Ich stamme aus Guinea, ich habe dorthin gute Kontakte, ich habe da meine Familie. Und gleichzeitig zu wissen: Ich bin hier aufgewachsen, ich durfte das Bildungssystem genießen, ich kann meinen Sport ausüben und hatte viele Möglichkeiten, die ich in Guinea nicht gehabt hätte – dort hatte ich gar keinen Rollstuhl, ich hätte wahrscheinlich nicht mal überlebt. Die Integration von Behinderten ist in Deutschland sehr weit fortgeschritten. 

Seit einiger Zeit heißt es in Bezug auf Menschen mit Behinderung eher „Inklusion“. „Integration“ bezieht sich nun im politischen Sprachgebrauch verstärkt auf Migrantinnen und Migranten. Wo liegt für Sie der Unterschied?

Inklusion kommt mir modisch vor. Ich würde das nicht trennen. Ich finde, Inklusion ist ein Bestandteil von Integration, eine Phase am Ende eines umfassenden Prozesses. 

Es gibt nicht sehr viel Migranten in der paralympischen Leichtathletik, bei internationalen Wettkämpfen ist das vielleicht anders. Achten Sie darauf, tauschen Sie sich aus mit entsprechenden Athleten? 

Nein, das ist kein Thema. Ich erlebe es so: Wenn man für ein Land startet, dann ist die Hautfarbe oder die Tatsache eines Migrationshintergrunds egal. Dann ist es dieses Land und Punkt. 

Stellt der Sport die Frage von Integration nicht oder gibt er die Antwort?

Ich würde es so ausdrücken: Er trägt zu Integration bei, weil Menschen sich zugehörig fühlen. Sie sehen sich als Teil der Mannschaft, von etwas Ganzem. 

Als Motivationstrainer gehen Sie einen Schritt weiter: Sie nehmen nicht Teil, Sie lenken. Wie ist das nun mit den Erfahrungen, in welcher Form geben Sie die weiter?

Ich mache das ja erst seit diesem Jahr und Sport und Arbeit gehen vor. Aber ich betreue grundsätzlich Privatleute wie Unternehmen und Organisationen und biete eben an, was die Kunden wollen. Bisher werde ich als Gastredner gebucht, aber zurzeit plane ich einen Kurs mit Azubis, mit denen will ich Fußball spielen. Sie sollen sehen, dass ein Rollstuhlfahrer das ganz normal kann. Außerdem kann ich ihnen so vermitteln, was all das Ausprobieren in der Kindheit für mich bedeutet hat. Deshalb mache ich das Motivationstraining: So etwas finde ich cool.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Alhassane Baldés erklärtes Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2012. (Foto: LSB NRW | Andrea Bowinkelmann)
    Alhassane Baldés erklärtes Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2012. (Foto: LSB NRW | Andrea Bowinkelmann)