Bei der Novellierung des Welt-Anti-Doping-Codes gibt es noch Kritikansätze

Die Flexibilisierung des Sanktionssystems, eine Verschärfung der Bestrafung von Dopingvergehen und eine Stärkung der Prävention sind die Kernsäulen der Neugestaltung des Welt-Anti-Doping-Codes.

Ein Fahrer verlässt die Doping-Kontrollstelle während der Tour de France. Copyright: picture-alliance
Ein Fahrer verlässt die Doping-Kontrollstelle während der Tour de France. Copyright: picture-alliance

Noch gibt es allerdings erhebliche Kritikansätze an den angedachten Neujustierungen, die bereits im November in Kraft treten sollen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hatte eine Expertenkommission eingesetzt, deren erster Entwurf Ende Januar an die internationalen Sportföderationen und andere Institutionen verschickt wurde. Nach einer bis Ende März gestalteten ersten Konsultationsrunde wird derzeit schon am dritten Entwurf gearbeitet, der erneut übermittelt werden soll, bevor dann die Endversion zur Beschlussfassung eingereicht wird.

Verschärfung der Sanktionen bei "missed tests" 

Wie der Sportrechtsexperte Dr. Christian Krähe (Konstanz) auf einer Veranstaltung in Berlin erläuterte, behalte die Novelle im Grundsatz die bisherige Höhe der Sanktionen bei, also: Bei einem Erstverstoß aktiver Art, bei Gebrauch oder versuchten Gebrauch und bei Besitz einer verbotenen Substanz oder Methoden soll nach wie vor die Regelsperre von zwei Jahren verankert sein. Allerdings werde es zu einer Verschärfung der Sanktionen bei den sogenannten „missed tests“, also bei gescheiterten Kontrollversuchen und bei Verstößen gegen die Meldepflichten, kommen - hier soll die Mindestsperre, die aber erst beim dritten Verstoß in Kraft tritt, von drei Monaten auf ein Jahr angehoben werden (der NADA-Code sieht im ersten Verstoß eine öffentliche Verwarnung vor. Beim dritten gibt es bereits jetzt eine Ein-Jahres-Sperre). Zukünftig sollen nach dem vorliegenden Entwurf auch eine reduzierte Sperre möglich sein und die Variante der Kronzeugenregelung stark ausgedehnt werden: Wenn ein Athlet oder ein anderer Sportmitwirkender die Aufdeckung von Dopingverstößen Dritter unterstützt, also der NADA, der Polizei oder Disziplinarinstanzen verwertbare Detailinformationen gibt, soll die anwendbare Sperrzeit bis zu maximal drei Viertel herabgesetzt werden können. Eine Verkürzung bis zur Hälfte soll eingeräumt werden, „wenn kein anderweitiges verlässliches Beweismittel für den Dopingverstoß existiert“ - also wenn ein Athlet Doping gesteht, ehe er kontrolliert wird. 

Regelsperre kann auf vier Jahre ausgedehnt werden

Rechtsanwalt Dr. Krähe schreibt in einer Ausarbeitung: „Eine Flexibilisierung der Dopingsanktionen ist in der Novelle auch in der entgegengesetzten Richtung vorgesehen: Die Regelsperrzeit von zwei Jahren kann bis auf das Doppelte, also bis zu vier Jahren, verlängert werden, wenn die Absicht einer Leistungssteigerung und erschwerende Umstände nachgewiesen werden, wie systematisches Doping oder Obstruktion zur Verhinderung der Aufdeckung von Dopingverstößen.“ Überdies werde eine Aussetzung der Sperre zur Bewährung gegen Geldauflage auch weiterhin nicht möglich sein; allerdings könnten zukünftig Geldbußen zusätzlich zur Sanktion der Sperre verhängt werden. Die Novelle will weiterhin die Unterwerfung von Personen des Athletenumfeldes unter die WADA-Bestimmungen festschreiben. 

So werden die nationalen Spitzenverbände aufgerufen, ein Regelwerk zu erlassen, das „Betreuern, Trainern, Managern, Teammitarbeitern, Funktionären, Ärzten oder paramedizinischem Personal“ eine Wettkampfteilnahme nur dann erlaubt, wenn sich diese zuvor einem Antidoping-Reglement unterworfen haben. Nötig sei hierfür eigentlich - so der Konstanzer Sportjurist - „ein Lizenzierungs- und Akkreditierungssystem“, das auch Ehepartner, Eltern, freie Agenten und etwa Hausärzte in die Antidoping-Maßnahmen mit einbeziehen müsste. Dies dürfte wohl kaum gelingen.

Präventionsprojekte in Schulen und Vereinen 

Stichwort: Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen: Den Signaturinstitutionen soll neu die Verpflichtung auferlegt werden, Präventionsprojekte im Interesse eines dopingfreien Sports durchzuführen; dabei sollte auch das Athletenumfeld mit einbezogen werden. Schulen, Sportvereine, aber auch die Medien sollten Zielgruppen werden. Allein die Finanzierung bleibt im Vagen.

Eine weitere wichtige Neuerung: Künftig sollen von staatlichen Gerichten oder anderen Justizbehörden in einem Urteil festgestellte Tatsachen als unwiderleglicher Beweis in einem Dopingverfahren vor der Sportgerichtsbarkeit zugrunde gelegt werden können - Ausnahme: Die Grundsätze „natürlicher Gerechtigkeit“ sind dabei verletzt worden. Dr. Krähe meldet hier Zweifel an: Wenn in einem Zollschnellverfahren ohne chemische Untersuchung der Besitz einer deklarierungspflichtigen Substanz mit Geldstrafe belegt wird, könnte dies nicht als Nachweis für den Besitz einer Dopingsubstanz gelten.

Athletenerklärung soll Sportler vertragsrechtlich an Code binden 

Zum Besitz verbotener Substanzen, bisher schon ein Dopingtatbestand, heißt es in dem Papier: „Die in der amtlichen Kommentierung hierzu angegebenen Musterfälle weisen nun die Beweislast dafür, dass der Besitz gerechtfertig war, dem Athleten zu. Wenn dieser zum Beispiel ein Medikament für einen Familienangehörigen besorgt und dann mit diesem Medikament angetroffen wird, so soll der Athlet, wenn er einer Sperre entgehen will, beweisen, dass dieses Medikament durch einen Arzt verschrieben worden ist.“ Außerdem soll es zukünftig ausreichend sein, einen Dopingverstoß festzustellen, wenn aus dem Profil einer Blut- oder Urin-Testserie Rückschlüsse gezogen werden können. Eine neue Beweisführungskette könnte auch eröffnet werden, wenn sich über das elektronische Datensystem ADAMS, das auch medizinische Grundinformationen enthält, Rückschlüsse auf eine Dopingvergehen konstruieren lassen, merkt Dr. Krähe an, der weiter sagt: „Bislang offenbar noch nicht überarbeitet ist die Athletenerklärung, welche als Anhang zum WADC geführt wird und den Athleten durch Unterzeichnung an die Bestimmungen des Codes vertragsrechtlich binden soll. Diese Athletenvereinbarung bedarf sicherlich ebenfalls einer gründlichen Überarbeitung zumal durch die Einführung des ADAMS-Datensystems der WADA eine Speicherung sensibler - vor allem medizinischer - Daten des Athleten vorgenommen wird, was datenschutzrechtlich ohne ausdrückliche Genehmigung des Athleten unzulässig sein dürfte.“

Rechtlicher Status des Codes bleibt offen 

Ebenfalls nicht gelöst werde in der Novelle die Problematik der Rechtsverbindlichkeit des Codes, wie Dr. Krähe ausführt. „Die WADA steht auf dem Standpunkt, dass der Code supranationales Recht enthält, also nationalen Rechtsvorschriften übergeordnet ist. Auf dieser Basis ist denn auch der Passus in der Einleitung zum Code verständlich - wenn auch nicht rechtsverbindlich –, wonach die Mindeststandards des Codes, von allen, auch staatlichen Gerichten, respektiert werden sollten. Mit dieser unverändert übernommenen Klausel korrespondiert die neue Vorschrift in Art. 22.2 der Novelle, die an die staatlichen Regierungen appelliert, die Schiedsgerichtsbarkeit als das bevorzugte Mittel zur Schlichtung von Doping-Streitigkeiten anzuerkennen. Diese Vorschrift entbehrt natürlich gerade in Deutschland nicht einer gewissen Pikanterie, als ja gerade diese Präferenz zugunsten der Sportschiedsgerichtsbarkeit im letzten Jahr einen der zentralen Streitpunkte im Rahmen der Diskussion um das Antidoping-Gesetz darstellte.“ 

Der rechtliche Status des Codes bleibt überdies offen, weil die UNESCO-Konvention gegen Doping im Sport, die in Deutschland seit 1. Juli völkerrechtliche Bindungskraft entfaltet, den Welt-Anti-Doping-Code zwar als Anhang führt, dieser aber - wie es österreichische Verfassungsrechtler beschrieben haben - damit keinen rechtlich verbindlichen Status hat. Dieses juristische Problem müsste nach deutscher Rechtslage noch geklärt werden.


  • Ein Fahrer verlässt die Doping-Kontrollstelle während der Tour de France. Copyright: picture-alliance
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