Berliner Sport übernimmt Kitas mit eigener Trägergesellschaft
Davor lagen Konzeptpräsentationen in über 200 Berliner Kindertagesstätten, anstrengende Diskussionen mit Eltern und Erziehern und zähe Verhandlungen mit Politik und eigenen Funktionsträgern. Im Ergebnis heißt es: "Wir sind nicht nur für die Kinder verantwortlich, sondern auch für das Personal. Es gibt teilweise Investitionsbedarf. Und man hat auch Risiken zu bedenken, etwa dass die Zahl der Kinder nicht zu stark rückläufig im Einzugsbereich einer solchen Einrichtung ist."
Warum halsen sich Sportjugend und Landessportbund dann solche Einrichtungen auf? "Wir können nicht dauernd über Bewegungsmangel und Entwicklungsstörungen klagen und nichts unternehmen. Wir fühlen uns da schon in die Pflicht genommen", sagt Brandi, der aber das Kita-Engagement noch ganz anders begründen kann - mit dem Erfolg des 1999 gestarteten Programms: "Kleine kommen ganz groß raus." Mit der AOK Berlin unterstützte die Sportjugend die Zusammenarbeit zwischen Sportvereinen und Kitas. Der Erfolg war riesig. Mittlerweile arbeiten 80 Kindertagesstätten mit 70 Sportvereinen zusammen. Nachweislich hat sich die motorische, gesundheitliche und geistige Entwicklung der beteiligten Kinder verbessert. Und für die Vereine gab es noch einen positiven Nebeneffekt: Die Mitgliedszahlen von Vorschulkindern sind von 13.000 auf über 23.000 gestiegen.
"Wir können nicht dauernd über Bewegungsmangel und Entwicklungsstörungen klagen und nichts unternehmen. Wir fühlen uns da schon in die Pflicht genommen."
Qualität und ein eigenes Profil sollen die "Bewegungs-Kindergärten" haben. Deshalb "wollen wir maximal 17 Kitas mit nicht mehr als 3.000 Plätzen übernehmen", betont Brandi, der auch auf wirtschaftliche Aspekte hinweist. Finanziert wird jeder Kita-Platz mit 78 Prozent Zuschüssen vom Senat, 13 Prozent durch Elternbeiträge und neun Prozent durch die freien Träger. Leere Kassen und nicht in erster Linie wirklich Einsicht machten diese "Übernahme" möglich. Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatte eine Expertenkommission zur Staatsaufgabenkritik unter der Leitung des Staatsrechtlers und ehemaligen Verteidigungsministers Rupert Scholz Reformvorschläge für die öffentliche Verwaltung und für die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen vorgelegt. Dabei waren auch die Kindertagesstätten ein Thema: So kamen nun zwei Drittel der staatlichen Kitas an die Träger der Jugendhilfen, ein Drittel sollen mehrere bezirksübergreifende eigene Landesbetriebe übernehmen.
Während über das Berliner Schulgesetz überall gestöhnt wird, leistet der Senat mit seinem "Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt" Pionierarbeit auf diesem Gebiet, was der Bandwurmtitel nicht unbedingt vermuten lässt. Experten der Freien Universität haben dargestellt, wie innovative Bildung aussehen kann. Das Programm, das künftig in der Stadt realisiert werden soll, umfasst sieben Bildungsbereiche: Naturwissenschaftliche und technische Grunderfahrungen, mathematische Grunderfahrungen, Musik, bildnerisches Gestalten, Kommunikation/Sprache, Schriftkultur und Medien, soziale und kulturelle Umwelt sowie den Bereich Körper, Bewegung und Gesundheit.
Das Hauptaugenmerk: Körper, Bewegung und Gesundheit
"Natürlich werden wir die anderen Bereiche nicht vernachlässigen, aber unser Hauptaugenmerk gilt natürlich 'Körper, Bewegung und Gesundheit'. Und dieses spezielle Profil möchten wir mit Sprachförderung verknüpfen", sagt Brandi. Dass die Kooperation mit Sportvereinen noch weiter intensiviert werden soll, versteht sich fast schon von selbst.
Auch auf gesunde Ernährung, mit frisch gekochten Mahlzeiten, wird in den "Bewegungskindergärten" Wert gelegt. Doch da droht schon wieder Ungemach von Seiten der Politik: Die Finanzierungsbedingungen für Mittagessen in den Kitas sollen sich drastisch verschlechtern. Das würde bedeuten: Ein eigener Koch ist kaum noch zu bezahlen, und gelieferte Fertigware wäre die Alternative. Nun hat gerade auf diesem Sektor die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, mit der Plattform "Ernährung und Bewegung" auf Bewegungsmangel und falsche Ernährungsgewohnheiten von Kindern und ihren Familien reagiert. Gerade in Kindertagesstätten und Schulen soll für gesunde Ernährung etwas unternommen werden. Das hat sich offensichtlich bis ins Berliner Abgeordnetenhaus noch nicht herumgesprochen.
Trotzdem ist Heiner Brandi optimistisch. "Wir hoffen, dass wir im Laufe des Jahres alle Erwartungen, vor allem auch die der Eltern, erfüllen können", sagt Brandi. Am 1. Januar 2005 war Premiere: Die ersten fünf Einrichtungen in den Bezirken Spandau, Mitte und Neukölln wurden übernommen. Ab April gehören zwei weitere Kitas in den Stadtteilen Wedding und Neukölln dazu, die restlichen bis zum Jahresende. Und die kleine Klientel scheint sehr zufrieden: Beim Abholen am Nachmittag erfahren Eltern von waghalsigen Nilüberquerungen, Dschungelabenteuern und dem komischen Bären, der gerne Karotten isst und im Stehen einschläft, wenn er sich entspannt. Und dass man sich selbst wie ein Gummibärchen fühlt, weil man schon ganz schön springen kann.
Link zur Plattform "Ernährung und Bewegung", der Initiative des Verbraucherschutzministeriums