Blicke zurück und einer nach vorn

Christian Sachs, Leiter des Berliner Büros des DOSB, schaut kurz vor Weihnachten auf ein ereignisreiches Sportjahr zurück und lenkt zudem den Blick auf die Herausforderungen in der Zukunft.

Die Mitgliederversammlung des DOSB am3. Dezember 2022 in Baden-Baden zieht Bilanz und stellt Weichen für die Zukunft. Foto: DOSB/May
Die Mitgliederversammlung des DOSB am3. Dezember 2022 in Baden-Baden zieht Bilanz und stellt Weichen für die Zukunft. Foto: DOSB/May

wie war das Jahr eins nach dem schwierigsten Jahr in der Geschichte des DOSB? Eines mit wichtigen Neuanfängen, mit dem Versuch der Konzentration auf das Wesentliche und einem wiedererstarkten Zutrauen in die Kräfte des Sports. Ob es auch ein Schritt zu mehr Vertrauen war, wird letztlich die Zeit zeigen. Injurien zu heilen, dauert in der Regel einfach länger als ein Kalenderjahr.

Das neu in Weimar formierte Präsidium um Präsident Thomas Weikert setzte seine Ankündigung, den DOSB schnell handlungsfähig zu machen, noch im Januar um und bestellte Torsten Burmester zum neuen Vorstandsvorsitzenden. Im Sport verwurzelt, in der Politik sozialisiert, übernahm der ehemalige Handballer das Ruder auf der Brücke in der Otto-Fleck-Schneise, während sich das Team D auf eine maximal herausfordernde Olympiamission begab.

Olympische und Paralympische Winterspiele in Peking waren schon bei der Vergabe der XXIV. Winterspiele vor sieben Jahren schwierig. Kombiniert mit den Debatten um die Menschenrechtslage im Reich der Mitte, dem sich immer stärker herausbildenden Antagonismus zwischen den USA und China sowie der anhaltenden Pandemie mit Anti-Covid-Maßnahmen chinesischer Prägung, waren es insbesondere für die Athlet*innen und das Team um Chef de Mission, Dirk Schimmelpfennig, extrem herausfordernde Spiele.

Die sportliche Bilanz mit 12 Gold, 10 Silber und 5 Bronzemedaillen und Platz zwei in der Nationenwertung hinter Norwegen war top. Und auch das Auftreten von Mannschaftsleitung und Athlet*innen kam den Umständen entsprechend gut an. Viele internationale Kontakt wurden vom Präsidenten und Vize-Präsidentin Miriam Welte neu geknüpft. Doch für unsere vor Ort an Covid erkrankten Athlet*innen waren es sehr schwere Tage und für den Wintersport nach Sotschi und Pyeongchang bereits die dritten Spiele ohne echte Winter-Olympiabegeisterung. Die Vorfreude auf ein italienisches Wintermärchen in Mailand/Cortina 2026 war in vielen Gesprächen spürbar.

Und dann kam der 24. Februar und die Welt änderte sich. Putins Russland überfiel völkerrechtswidrig die Ukraine und seitdem kämpft ein Land und seine Bevölkerung in Europa ums Überleben. Bundeskanzler Olaf Scholz, der auch im Dezember 2021 ins hohe Amt gekommen war, nannte es eine „Zeitenwende“. Im Sport versuchen wir seitdem unsere Unterstützung zum Ausdruck zu bringen: Indem wir dafür werben russische und belarussische Athlet*innen und Funktionär*innen von internationalen Wettbewerben auszuschließen. Bei den Paralympics setzte auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS) im Konzert mit vielen anderen dieses Umdenken konkret um. Zudem hilft der Sport, indem sich Sportvereine und -verbände auf vielfältige und kreative Weise für ukrainische Sportler*innen und Geflüchtete engagiert. Als DOSB und in Kooperation mit der Deutschen Sporthilfe unterstützen wir solche Maßnahmen mit Mitteln eines Spendenfonds.

Die Entscheidung, die ureigene Funktion des nationalen und internationalen Sports, nämlich über Grenzen hinweg Kommunikation und Interaktion zu ermöglichen, auf Grund dieses Zivilisationsbruchs auszusetzen, stellt jedoch eine Zerrreißprobe für den Weltsport dar. Der Zeitpunkt für ein Zurück ist noch nicht gekommen. Doch die anlaufenden Qualifikationswettbewerbe für Paris 2024 machen das Dilemma immer sichtbarer. Athlet*innen werden für die Aktionen ihrer Regierung in Haftung genommen. Und das ist ganz sicher nicht im Sinne des Sports. In die Zukunft hat der DOSB und insbesondere der seit März dieses Jahres von Michaela Röhrbein geleitete Geschäftsbereich Sportentwicklung geblickt. Mit einem Positionspapier und dem gemeinsamen Werben mit der Deutschen Sportjugend für einen „Bewegungsgipfel“ der Bundesregierung ist Schwung in die Debatte gekommen, wie sich unsere Gesellschaft in Zukunft wieder mehr und nachhaltiger bewegen kann und sollte.

Am 13. Dezember fand der „Gipfel“ dann auch in der Berliner Max-Schmeling-Halle statt. Unter Beteiligung von acht Bundesressorts, zwei Landesministerkonferenzen, den kommunalen Spitzenverbänden und dem organisierten Sport verabredeten sich Politik und Sport darauf, einen gemeinsamen Arbeitsprozess zu beginnen, um Sport und Bewegung zu stärken. Uns gefällt dabei besonders, dass das über Jahrzehnte eingeübte Schubladendenken aller Beteiligten durch ein Miteinander abgelöst werden soll. Dass es dafür eines „langen Atems“ bedarf, ist zumindest den Beteiligten aus dem Sport völlig bewusst.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt lag im Geschäftsbereich Sportentwicklung und im Bereich politische Kommunikation darauf, den vereinsbasierten Sport im Bereich der dramatischen Entwicklung der Energiepreise zu unterstützen. Auf der Basis von gutem Datenmaterial dank der Mithilfe vieler Verbände und Vereine konnten wir gegenüber der Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene das Risiko für den durch die Pandemie ohnehin geschwächten Sport klar kommunizieren. In den nun beschlossenen Hilfsmaßnahmen ist der Vereinssport erfasst, und dennoch werden die steigenden Energiekosten, die wir mit einer Selbstverpflichtung zum
konsequenten Einsparen begleitet haben, eine enorme Belastung für den organisierten Sport darstellen. Die Folgen werden wir wohl erst in einigen Jahren bewerten können.

Umso wichtiger, dass das DOSB-Präsidium gerade in diesen schwierigen Zeiten vorgeschlagen hat, eine deutsche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in den kommenden zwei Jahren in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs vorzubereiten. Dieser Prozess hat das Potential, den Sport in Deutschland insgesamt aufzuwerten und weiterzuentwickeln. Die Mitgliederversammlung Anfang Dezember in Baden-Baden hat dem „Roadmap-Prozess“ seine hundertprozentige Unterstützung zugesagt.

Wie herausfordernd dieser Weg sein wird, lehrt uns sowohl der Blick auf die vielen gescheiterten Bewerbungsversuche der Vergangenheit - im Sommer haben wir an die bisher letzten Spiele in Deutschland vor 50 Jahren in München 1972 erinnert - als auch die Sportgroßveranstaltungen der Gegenwart. Während die „European Championships“ im Sommer in München uneingeschränkt positiv wahrgenommen und quasi als Aufforderung für eine neue Bewerbung interpretiert wurden, „floppte“ in der eindimensionalen und im Vergleich doch recht exklusiven deutschen Wahrnehmung die Fußball-WM in Katar.

Ein wenig mehr Gelassenheit bei gleichzeitiger Konzentration auf das Wesentliche hatte sich das Team Weikert schon vor einem Jahr vorgenommen, gut dass nach dem klaren Votum der Mitgliederversammlung Präsidium und die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen nun vier weitere Jahre Zeit haben, diesen Plan auch weiter umzusetzen.

(Autor: Christian Sachs, DOSB)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Die Mitgliederversammlung des DOSB am3. Dezember 2022 in Baden-Baden zieht Bilanz und stellt Weichen für die Zukunft. Foto: DOSB/May
    Die Mitgliederversammlung des DOSB am3. Dezember 2022 in Baden-Baden zieht Bilanz und stellt Weichen für die Zukunft. Foto: DOSB/May