Es gilt das gesprochene Wort!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bin gern der Einladung gefolgt, im Rahmen eines Arbeitskreises auf dem diesjährigen Westfalentag über "Heimat und Fremdheit dargestellt am Beispiel von Zuwanderern in Deutschland" zu sprechen. Das Thema der Zuwanderung und damit auch der Integration der Zuwanderer ist hochaktuell: Am 24. September - also in wenigen Tagen - nimmt der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat seine Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz auf.
Bei aller politischen Vorsicht, die nach dem bisherigen Werdegang des Zuwanderungsgesetzes angezeigt ist, sehe ich Chancen für einen politischen Kompromiss, so dass dieses in seiner Bedeutung herausragende Gesetzesvorhaben zu einem guten Ende gebracht werden kann.
"Zuwanderung" ist in Deutschland immer eine Realität gewesen. Diese Aussage lässt sich mit einer Vielzahl von Statistiken belegen. Ich möchte Ihnen nur einige Kernzahlen vortragen. Seit Kriegsende sind weit über 20 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen und haben sich hier dauerhaft niedergelassen. Zu ihnen gehört die große Gruppe der Vertriebenen und Aussiedler. Bis Ende 1950 fanden 12,7 Millionen Vertriebene Aufnahme in der Bundesrepublik in folgenden Jahrzehnten kamen 4,3 Millionen Aussiedler nach Deutschland.
Mitte der 50er Jahre begann die Arbeitsmigration mit der so genannten Anwerbung von Gastarbeitern. Zwischen 1955 und 1973 wurden 14 Millionen Arbeitnehmer angeworben, von denen 11 Millionen wieder gingen. Diejenigen, die blieben, holten ihre Familien nach.
Die Bundesrepublik hat sich überdies mit dem Grundgesetz und durch internationale Abkommen zur humanitären Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden verpflichtet. Von den 3 Millionen Asylbewerbern seit Anfang der 50er Jahre wurden rund 300.000 als Asylberechtigte anerkannt.
Vertreibung, Flucht, Arbeitsmigration und Familienzusammenführung sind damit die Hauptgründe für Zuwanderung.
Ihr Land- Nordrhein-Westfalen- ist traditionell ein Einwanderungsland. Selbst im Landesdurchschnitt fällt der Anteil der an der Bevölkerung mit über 11 % im Vergleich zum Bundesdurchschnitt 2 Prozentpunkte höher aus. In diesen Statistiken sind nicht die eingebürgerten Zuwanderer enthalten. Gar nicht erst erfasst sind die Kinder, die seit dem 1. Januar 2000 nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht - obwohl ihre Eltern eine andere Staatsangehörigkeit haben - als deutsche Staatsbürger auf die Welt kommen.
Die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sie ist viel vielschichtiger geworden im Vergleich zu den 60er Jahren als noch fast ausschließlich Menschen aus den Hauptanwerbestaaten Türkei, Jugoslawien, Griechenland, Italien und Spanien zu uns kamen. Heute leben hier in Nordrhein-Westfalen Menschen aus weit mehr als 100 Ländern.
Auch für die Gruppe der Spätaussiedler gilt, dass ich ihre Zusammensetzung stark verändert hat. Während rund 20 % einen Status als Spätaussiedler haben, reisten in den letzten Jahren 80 % als Familienangehörige ein. Diese Gruppe hat ganz andere Lebenslagen als die Aussiedler, die noch in den vorhergehenden Jahrzehnten zu uns kamen.
Wenn man das Thema Heimat und Fremdheit diskutieren will, muss man also wissen, dass nur ganz wenige Länder der Welt mehr Zuwanderung zu verzeichnen haben als wir in Deutschland. Auch wird die ethnische Zusammensetzung der in Deutschland lebenden Zuwanderer immer heterogener. Eine große Gruppe bilden immer noch die Gruppe der rd. 2,5 Millionen türkischen Migranten in Deutschland. Aber gerade der Anteil der Migranten aus den Ländern, in denen nie Arbeitskräfte angeworben wurden, nimmt am stärksten zu. In den deutschen Großstädten - und dies betrifft Nordrhein-Westfalen in einem besonderen Maße - wird sich der Prozess der ethnischen und sozialen Heterogenisierung beschleunigen. Die sozialen Unterschiede zwischen den Migranten übertreffen heute schon die soziale Ungleichheit innerhalb der deutschen Bevölkerung um ein vielfaches.
Hinzu kommt, dass die islamische Kultur für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung sich als sehr fremde Kultur darstellt. Es leben aber mittlerweile 3 Millionen Muslime in Deutschland und ein gutes Viertel davon in Nordrhein-Westfalen.
Die große Zahl der Zugewanderten - ob Spätaussiedler oder Arbeitsmigranten mit ihren Angehörigen - löst Ängste und Verunsicherungen aus. Bei Einheimischen, aber auch bei den Zugewanderten, die schon lange bei uns leben. Es besteht Skepsis gegenüber den Sitten und Gebräuchen, die Menschen anderer Kulturen nach Deutschland bringen. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit - wie wir sie gerade gegenwärtig erfahren müssen - kommt die Angst um den eigenen Arbeitsplatz hinzu.
Dem steht gegenüber das Gefühl bei vielen Zuwanderern, dass sie nicht als gleichwertige Mitbürger akzeptiert sind. Ihnen fällt es schwer, sich mit der deutschen Gesellschaft zu identifizieren, da sie ihre eigenen kulturellen Werte nicht widergespiegelt sehen.
Es gibt viele Studien und Zahlen zur Situation der Ausländer in Deutschland. Ich möchte vor dem Hintergrund des mir gestellten Themas die Ergebnisse einer Studie zitieren, die sich mit der Heimatverbundenheit der Ausländer beschäftigt. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat gerade eine derartige empirische Untersuchung der Öffentlichkeit vorgestellt.
Danach zeigt sich, dass auch von denjenigen Ausländern, die eine feste Bleibeabsicht haben - und das sind die meisten - kaum jemand ausschließlich Deutschland als seine Heimat empfindet. Am ehesen wird eine deutsche Heimatverbundenheit von Jugoslawen und Griechen empfunden, am wenigsten von Türken.
Insgesamt stellt die Studie eine starke Ambivalenz bezüglich der kulturellen Identität bei den Ausländern fest. Auch bei fester Bleibeabsicht und hoher Zufriedenheit mit der Situation in Deutschland wird die Verbundenheit mit dem Heimatland nicht aufgegeben. Der größte Teil der Ausländer hält an Politik, Religion und Sprache des Heimatlandes fest.
Man kann diesen Befund im Sinne des Vortragsthemas auch so formulieren, dass das Gefühl der Fremdheit sowohl bei der einheimischen Bevölkerung als auch bei den Zuwanderern vorhanden ist.
Für die Zuwanderungspolitik bedeutet dies: Zuwanderung wird künftig in größerem Umfang nur möglich sein, wenn es uns gelingt, die Menschen, die neu in unser Land kommen, auch in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die erfolgreiche Integration ist damit eine zentrale Herausforderung für die kommenden Jahrzehnte. Erfolgreiche Integration bedeutet Eingliederung auf allen gesellschaftlichen Ebenen - in sozialer, kultureller, wirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht. Der Schlüssel hierfür sind die sprachlichen Fähigkeiten und eine gute Ausbildung.
Aber zu einem Gelingen der Integration müssen die Einheimischen ebenso wie die Zuwanderer wechselseitig beitragen. Integration ist kein einseitiger Vorgang, bei dem die Anpassungsleistung allein von den Zuwanderern zu erbringen wäre. Selbst wenn sich die Aufnahmegesellschaft mit der Integration ändert, bleibt es dabei, dass es um die Aufnahme in eben sie geht. Während von den Einheimischen vorrangig die Anerkennung von Andersartigkeit verlangt wird, geht es bei den Migranten um eine Eingliederung, zu der wie gesagt das Erlernen der deutschen Sprache, aber auch die Anerkennung des Grundgesetzes und der Rechtsordnung gehören.
Wir dürfen die Menschen bei diesem Prozess allerdings nicht alleine lassen. Der Integrationsprozess benötigt die Unterstützung des Staates, der die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, die Integrationsmaßnahmen fördern und die Segregation verhindern muss.
Die Bundesregierung hat diese Herausforderung aufgenommen. Die Koalitionsvereinbarung spricht in diesem Zusammenhang vom "Jahrzehnt der Integration". Die Neuausrichtung in der Integrationspolitik hat zum Inhalt, so wenig Unterschiede wie möglich zwischen den einzelnen Zuwanderergruppen zu machen oder zu sehen. Eine erfolgreiche Integrationspolitik darf nicht zulassen, dass in der Gesellschaft Ausländer gegen Aussiedler ausgespielt werden und Polarisierungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den unterschiedlichen Gruppen von Migranten entstehen. Integration muss als Chancengleichheit organisiert, und zwar egal welchen Migrationshintergrund der einzelne hat.
Integrationspolitik ist Aufgabe des Staates und der Bürgergesellschaft. Viele Integrationsleistungen werden heute ehrenamtlich erbracht. Integration ist ein gutes Beispiel für die viel beschworene Bürgergesellschaft. Bei der Bewältigung der täglichen Probleme, die mit Zuwanderung und Integration natürlich auch verbunden sind, haben traditionell die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen und privaten Initiativen eine entscheidende Rolle. Der Staat hat darauf zu achten, dass Integrationspolitik in allen Politikbereichen stattfindet angefangen von der Aus- und Berufsbildungspolitik über die Arbeitspolitik bis zu Bereichen wie der Städtebauförderung und Sozialpolitik. Nordrhein-Westfalen gehört zu den Ländern, die das Thema Integration zur obersten politischen Priorität erklärt haben.
Der Bund hat im Bereich der Gesetzgebung bereits entscheidende Schritte zur Verbesserung der Integration eingeleitet.
Ein wichtiger Schritt, um die Identifikation der Ausländer mit der deutschen Gesellschaft zu verbessern, war die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Seit dem 1. Januar 2000 sind die Einbürgerungsfristen von 15 Jahren auf acht Jahre verkürzt worden. Die Kinder ausländischer Eltern erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch bei Geburt, wenn die Eltern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Schon weit über 500.000 Ausländer haben sich nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts einbürgern lassen.
Ein weiterer Schritt soll durch die Reform des Ausländerrechts erfolgen. Das Zuwanderungsgesetz enthält auch Neuregelungen zur Integration. Es stellt erstmals einen Zusammenhang zwischen Migration und Integration her. Bei Ersteinreise wird hier ein Rechtsanspruch der Ausländer auf Sprachförderung begründet. Außerdem soll die Sprachförderung der Spätaussiedler an die Integrationsmaßnahmen für Ausländer angepasst werden. Künftig sollen für beide Zuwanderungsgruppen gleiche Kurse angeboten und eine gemeinsame Beschulung durchgeführt werden.
Der nach dem Zuwanderungsgesetz vorgesehene Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von gleicher Dauer. Darüber hinaus sollen in einem Orientierungskurs Kenntnisse der Rechtsordnung,der Kultur und der Geschichte in Deutschland vermittelt werden. Der Kurs dauert bei ganztägigem Unterricht längstens sechs Monate.
Außerdem soll mit dem Zuwanderungsgesetz auch den gestiegenen Anforderungen an die Integration der Aussiedler Rechnung getragen werden: danach sollen nichtdeutsche Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern künftig nur noch dann in den Aufnahmebescheid einbezogen werden, wenn sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen und diese nachweisen.
Der Bund stellt im erheblichen Umfang finanzielle Mittel zur Förderung von Integrationsmaßnahmen zur Verfügung. Im Haushaltsjahr 2003 sind dies insgesamt 625 Millionen Euro. Diese Mittel sind für die Sprachförderung, soziale Beratung und Betreuung, die berufliche und gesellschaftliche Integration vorgesehen.
Auch hier sind im Rahmen der Reform des Zuwanderungspolitik Konzepte für neue Förderstrukturen ausgearbeitet worden. So empfiehlt es sich, die Beratungseinrichtungen für Aussiedler, Ausländer und Jugendliche in einheitliche Migrationsdienste zusammenzulegen. Dies entspricht nicht nur der Intention des Zuwanderungsgesetzes, sondern führt auch zu Synergieeffekten.
Aus der Vielzahl der vom Bund geförderten Projekte möchte ich einige nennen, die hier in Nordrhein-Westfalen durchgeführt werden. Derzeit werden hier insgesamt 217 Projekte mit einem Gesamtzuwendungsvolumen in Höhe von über 5,7 Millionen Euro gefördert davon allein in Westfalen 54 gemeinwesenorientierte Projekte. Hier ist insbesondere das Projekt "Integration durch Sport" zu nennen, das das BMI seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Landessportbund NRW durchführt und sehr erfolgreich Aussiedler und seit kurzem auch ausländische und benachteiligte deutsche Jugendliche in das örtliche Wohnumfeld integriert.
Außerdem wird in Warendorf die dortige Volkshochschule seit dem 01. November 2001 bis zum 31. Oktober 2004 im Rahmen des Projekts "Ost-West-Integration" gefördert. Im Mittelpunkt dieses Projektes steht die schnelle Reaktion auf die Entwicklung von Zuzugsschwerpunkten in besonders betroffenen Regionen. Zudem sollen Aussiedler an die Angebote der Volkshochschulen zur beruflichen, allgemeinen und politischen Bildung herangeführt werden.
Darüber hinaus erproben wir in Modellprojekten neue Wege der Integrationsarbeit.
An insgesamt sechs Standorten wird Modellhaft der Aufbau kommunaler Netzwerke in der Aussiedlerarbeit gefördert. Eine weitere Verbesserung der Integration soll durch Integrationsverträge erreicht werden. Neun Modellversuche (Kontraktmodelle) sind bereits angelaufen. Mit Integrationsverträgen sollen Rechte und Pflichten der Aussiedler geregelt werden. Hier geht es darum, den Grundsatz "Fördern und Fordern" durchzusetzen, deshalb sind die genannten Vereinbarungen das Modell der Zukunft.
In Westfalen werden folgende Kontraktmodelle gefördert:
* "Kontraktmodell für die Integration von Zuwanderern im kommunalen Netzwerk Recklinghausen <Bonus>" der Otto-Benecke Stiftung in Recklinghausen.
* "Kontraktmodell zur Integration von Spätaussiedlern sowie von jüdischen Emigranten" der Stadt Dortmund.
Integrationsförderung bedeutet auch Hilfe in schwierigen sozialen Problemlagen. Hierzu gehören die Drogen- und Kriminalitätsprävention. Die bestehenden Drogenberatungsstellen sind in aller Regel nicht auf Migranten eingestellt. Die Erfahrungen aus den z.Zt. 12 modellhaft durchgeführten Maßnahmen zur Drogenprävention sollen den Regeldiensten helfen, spezielle Angebote für die Aussiedler und sonstige Zuwanderer zu entwickeln.
Ich möchte Sie abschließend auf ein hier in Iserlohn durchgeführtes Projekt aufmerksam machen: Das Bundesinnenministerium fördert im Stadtteil Heide-Hornbruch von Iserlohn das Projekt "Kommunale Delinquenz- und Suchtprophylaxe und mobile Jugendarbeit" des Internationalen Bundes. Mittels aufsuchender Jugendsozialarbeit wird seit dem 01. Juli 2003 das Projekt mit den folgenden Zielen gefördert:
* Unterbinden delinquenten Verhaltens bei jugendlichen Aussiedlern
* Abbau von Stigmatisierungsprozessen durch Bewohner und soziale Kontrollinstanzen
* Bewirken einer Verbesserung der sozialen und materiellen Situation Einzelner
* Einstellungs- und Verhaltensänderungen bei den Jugendlichen. Dies ist ein Beispiel ganz konkreter Sozialarbeit. Die Überwindung derartiger sozialer Problemlagen, die Prävention vor einem sozialen Abstieg mit der Verfestigung sozialer Schwierigkeiten, die Vermeidung eines dauerhaften Verbleibs in einem Minderheitenstatus - auch dies sind zentrale Anliegen der Integrationsanstrengungen.
Die Wahrung kultureller Eigenheiten ist mit unserem Verständnis von Integration vereinbar und durchaus gewollt. Wir wollen aber auch, dass sich Migranten nicht fremd fühlen in unserer Gesellschaft. Sie sollen Deutschland als neue Heimat empfinden können. Integrationspolitik muss daher auch Angebote zur Identifikation mit unserer Gesellschaft machen.
Kontakt:
Bundesministerium des Innern
E-mail:poststelle(at)bmi.bund.de
Internet:http://www.bmi.bund.de