Bundeskanzlerin fordert „schonungslose Aufklärung“ und Chance für Neustart

Die Dopingbekenntnisse zahlreicher Radprofis hat im politischen Berlin eine Fülle von Positionierungen zur Folge gehabt.

 

Bundeskanzlerin Merkel verlangt Aufklärung in Sachen Doping. Copyright: picture-alliance/dpa
Bundeskanzlerin Merkel verlangt Aufklärung in Sachen Doping. Copyright: picture-alliance/dpa

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) forderte eine „schonungslose Aufklärung“ - den Dingen müsse konsequent auf den Grund gegangen werden, erklärte sie. „Die bisherigen Geständnisse und Ermittlungen reichen nicht aus, um reinen Tisch zu machen“, sagte die Regierungschefin. Ein „Abgrund“ habe sich aufgetan: „Im Radsport hat es offensichtlich ein bislang unvorstellbares Ausmaß an systematischer und fortgesetzter Manipulation gegeben“, merkte die Kanzlerin an. Alle Doping-Sünder hätten nun die Chance, „sich ehrlich zu machen und das Schweigekartell zu brechen und ihrem Sport die Chance auf einen sauberen und manipulationsfreien Neustart zu geben“.

Innenminister Schäuble setzt Task-Force ein 

Auch Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble zeigte sich alarmiert von den bisherigen Dopinggeständnissen aus der Radsport-Szene. „Ich bin erschüttert, dass in einem solchen Maße flächendeckend gelogen und betrogen worden ist“, erklärte der CDU-Politiker, der bekannt gab, er habe eine „Task Force“ eingesetzt, die nun prüfen solle, ob bei den Vorgängen direkt oder indirekt öffentliche Gelder missbraucht worden sind. „Meine große Sorge ist jetzt, dass die Dopingenthüllungen nicht auf den Radsport begrenzt bleiben“, merkte Dr. Schäuble an. Zugleich warb er für eine rasche Verabschiedung des aktuellen Gesetzentwurfs, der Rechtsverschärfungen im Kampf gegen Doping vorsieht. Der Minister: „Doping ist eine Seuche, die wir entschieden bekämpfen müssen.“ 

SPD-Fraktionschef Dr. Peter Struck verlangte eine vollständige Aufklärung der Manipulationen im Radsport. „Alle, die mit Doping in Verbindung waren, müssen jetzt auspacken“, forderte Struck. Zugleich befürwortete er eine Amnestie für geständige Sportler, die sein Fraktionskollege Dr. Peter Danckert ins Gespräch gebracht hatte. Allerdings müsste für die Zukunft „eine Regelung geschaffen werden, die durch härtere Strafen abschreckend wirkt“. Hingegen erklärte Unions-Fraktionschef Volker Kauder, eine Amnestie helfe nicht wirklich weiter, „da die meisten Sportler überhaupt keiner Strafe unterworfen sind“. Der CDU-Politiker plädierte für ein Auftrittsverbot für Doping-Sünder. Das sei „die stärkste Strafe für einen Sportler".  

Besonderes Augemmerk auf ziel- und zweckgerichtete Mittelverwendung

Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Steffen Kampeter, und der für Sport zuständige Unions-Obmann im Haushaltsausschuss, Norbert Barthle, begrüßten die Einsetzung einer Sondereinheit des Bundesinnenministeriums, die einen etwaigen Missbrauch von Steuergeldern für Dopingzwecke im deutschen Sport überprüfen soll. „Es ist dem Steuerzahler weder zu vermitteln noch zuzumuten, derartige kriminelle Machenschaften durch seine Steuergroschen zu unterstützen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Diese Gelder sind sinnvoller in den - glücklicherweise weit
überwiegenden - sauberen Bereichen des Sports angelegt. Die betroffenen Sportverbände sind gehalten, alles zur raschen und umfassenden Aufklärung beizutragen, damit sich der ohnehin schon entstandene Schaden in Grenzen hält.“ Der Haushaltsausschuss werde „ein besonderes Augenmerk auf die ziel- und zweckgerichtete Mittelverwendung“ im Sport richten.

Ähnlich argumentierte der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Peter Danckert (SPD): „Die Haushälter meiner Fraktion sind fest entschlossen, als allerletztes Mittel die Spitzensportförderung für die Spitzenverbände auszusetzen, die keine effiziente Dopingbekämpfung durchsetzen.“ Daneben müssten Sportpolitiker sich auch Gedanken machen, nach welchen Kriterien künftig der Spitzensport gefördert werden soll - die absoluten Leistungsvorgaben in den Förderrichtlinien des Bundes könnten so nicht weiter Bestand haben. Dr. Danckert: „Wir dürfen keine Topleistungen fordern, die international vermeintlich nur mit Doping erreicht werden. Saubere Leistungen unserer Athleten dürfen eigentlich nicht mehr mit Mittelentzug bestraft werden, die  nicht so erfolgreichen Verbänden drohen.“ 

"Organisierter Sport kann Problem alleine nicht lösen"

„Die Anstrengungen des organisierten Sports allein reichen nicht“, unterstrich der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus Riegert. „Der Staat muss mit seinen Ermittlungsbehörden in den Fällen eingreifen, in denen kriminelles Unrecht geschieht. Er ist in der Lage, die hinter dem dopenden Sportler verdeckt arbeitenden organisierten Netzwerke aufzudecken und zu zerschlagen. Genau hier greifen die von uns geplanten und vom Kabinett bereits im März verabschiedeten Regelungen zur Strafverschärfung für banden- und gewerbsmäßiges Dopen sowie zur Besitzstrafbarkeit bei nicht geringen Mengen bestimmter gefährlicher Dopingsubstanzen. Die Regelungen haben eine wirksamere Strafverfolgung des Handelns mit gefährlichen und häufig verwendeten Dopingmitteln zum Ziel. So können auch die Hintermänner und Strukturen wirksam zerschlagen und bestraft werden.“  

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Dagmar Freitag, sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sieht nach den aktuellen Dopingbekenntnissen den Beweis erbracht: „Doping im Radsport gab und gibt es flächendeckend.“ Endlich sei der „Mantel des Schweigens abgelegt“ und Doping gestanden worden, „wenn auch ausschließlich für Zeitpunkte und Zeiträume, die mittlerweile der Verjährung unterliegen“. Ernüchternd sei „die Kapitulation vor der Macht des Dopingnetzwerkes“: „Der Sport - und nicht nur der Radsport - kann, entgegen immer wieder aus dem organisierten Sport geäußerten Behauptungen, das Problem nicht allein lösen.“ Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung sei „ein erster, lange überfälliger Schritt zu einer effektiveren Bekämpfung von Doping“, unterstrich die Abgeordnete aus Iserlohn - und merkte an: „Sollte sich aufgrund möglicher weiterer Enthüllungen herausstellen, dass die jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht weit genug gehen, werden wir die Initiative zu weiteren gesetzlichen Regelungen ergreifen.“ Ihr Appell: „Alle am Spitzensport Beteiligten müssen endlich ihrer moralischen Verpflichtung nachkommen und ihren finanziellen Beitrag zu einer funktionsfähigen Nationalen Antidoping-Agentur leisten. Nur dann kann sie die Arbeit leisten, die wir einfordern.“

Wie kann humaner Spitzensport aussehen? 

Für die FDP-Fraktion akzentuierte deren sportpolitischer Sprecher Detlef Parr, oberstes Ziel der Antidoping-Politik müsse es sein, den kriminellen Doping-Drahtziehern das Handwerk zu legen. „Die Kernfrage ist jedoch: Welchen Sport wollen wir? Der Fetischismus, immer nach neuen Weltrekorden und Bestleistungen zu gieren, ist der falsch Weg.“ Deshalb sollte der Deutsche Bundestag mit einer Generaldebatte ein Signal setzen, wie zukünftig ein humaner Spitzensport in Deutschland aussehen und wie die „Abkehr vom Grundsatz des absoluten Anspruchs von „Schneller - höher - weiter““ eingeleitet werden könne. Besonderes Augenmerk müsse auf die Strafverfolgung der Drahtzieher und des Umfeldes der Aktiven gerichtet werden, meinte Parr: „Dazu gehört auch die Überprüfung des Medikamentenversandhandels, über den Dopingmittel offensichtlich leicht und unkontrolliert beziehbar sind.“ Es sei daneben auch erforderlich, entschieden Doping im Freizeitsport zu bekämpfen. „Die aktuellen Todesfälle bei den Marathonläufen sind ein Alarmsignal“, erklärte Parr. „Zigtausende Freizeitsportler sollen angeblich regelmäßig Anabolika konsumieren. Die Dunkelziffer ist hoch.“  

Winfried Hermann, Sportsprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, brachte zum Ausdruck: Enthüllung und Aufklärung stünden erst am Anfang: „Andere Sportarten sollten jetzt ebenfalls zur Aufklärung beitragen. Nur dann ist ein Neuanfang für den Hochleistungsport wirklich glaubwürdig.“ Nunmehr sei offensichtlich, „dass über Jahre hinweg das Dopingkontrollsystem nicht effektiv war. Zahl und Qualität der Dopingkontrollen waren nicht ausreichend, hier besteht auch weiter dringender Handlungsbedarf bei der finanziellen Ausstattung von Dopinganalytik und Antidoping-Forschung.“ Zum Ausdruck komme - so Hermann -, dass in den aufgedeckten Feldern „von den verantwortlichen Personen die ethischen Grundsätze des Sports ignoriert worden sind“: „Sogar Mediziner haben Dopingpraktiken gefördert, unterstützt oder abgesichert.“ Der Gesetzgeber müsse endlich die „notwendigen Konsequenzen“ ziehen und ein geeignetes Instrumentarium zur Dopingbekämpfung schaffen. Hermann verwies auf den von seiner Fraktion gestellten Antrag „für eine moderne Dopingbekämpfung“. Nötig sei ein „Gesamtkonzept, das sowohl die bestehenden Gesetzeslücken beim Sportbetrug durch Doping schließt als auch einer umfassenden Gesundheitsprävention Rechnung trägt“.


  • Bundeskanzlerin Merkel verlangt Aufklärung in Sachen Doping. Copyright: picture-alliance/dpa
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