Drei Bundestrainer, drei Teamsportarten, eine Fußballfachzeitschrift - und trotzdem ging es in Frankfurt, nahe der DFB-Zentrale, nur am Rande um „König Fußball“. Auf Einladung des Hamburger Journalisten Frank Schneller und des kicker trafen in einem Konferenzraum des DOSB die drei Nationaltrainer Heiner Brand (Handball), Dirk Bauermann (Basketball) und Uwe Krupp (Eishockey) zu einer ausführlichen Gesprächsrunde zusammen. Im Austausch über Sorgen und Nöte, aber auch über zuletzt positive Ansätze in ihren Sportarten, waren sich die Bundestrainer in Gegenwart vom gastgebenden und aufmerksam zuhörenden DOSB-Leistungssportdirektor Dr. Ulf Tippelt vor allem in einem Punkt einig: Ohne die massive Mithilfe ihrer Profi-Ligen, wird es in Zukunft schwer, sich nachhaltig am Markt zu positionieren oder gar vergleichbare Erfolge wie den WM-Titel 2007 im Handball zu erreichen. „Die Profiklubs müssen in die Verantwortung und tragende Rollen übernehmen“, so das Trainertrio unisono. Sie hätten die besten Voraussetzungen an ihren Standorten und dürften den Verbänden vor allem die Nachwuchsförderung überlassen. Zudem müssten sie den Mut aufbringen, auch deutschen Talenten unter den höchstmöglichen Wettkampfbedingungen Einsatzzeiten zu gewähren.
Talentförderung werde sich lohnen, sagten die drei Frontmänner ihrer Sportarten, die Vereine müssten das erkennen und Geduld aufbringen, wenn es darum geht, in die Strukturen zu investieren. Und auch für die Jugendlichen und Eltern müsse es Signale geben, dass sich entbehrliches Training und Zeitaufwand hinsichtlich ihrer Chance, später einmal an die Leistungsspitze zu gelangen, lohnen. Schließlich, so der Tenor des Gipfeltreffens, müssten auch schulische und berufliche Ziele mit den – Stichwort duales System – sportlichen Ambitionen einhergehen, da diese in Deutschland einen hohen Stellenwert hätten.
Das Treffen in Frankfurt verdeutlichte, dass die drei Chefcoaches auch ihren Status einsetzen, um auf Missstände und Verbesserungsmöglichkeiten hinzuweisen. Am Beispiel des Handballs wurde dabei deutlich, dass auch große Erfolge nicht automatisch das Ende aller Sorgen bedeuten. Schon gar nicht, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht. Heiner Brand sagte: „Auch als wir Weltmeister wurden, habe ich davon gesprochen, dass Verbesserungen und Fortschritte immer nur in Kooperation mit der Liga möglich sind.“ Und das, so Brand, gelte sicher für alle drei Sportarten. Basketball-Bundestrainer Dirk Bauermann konnte da nur zustimmen und beschrieb die Lage wie folgt: „Im Basketball haben wir das Problem des unglaublich großen amerikanischen Spielermarktes. Im letzten Jahr gab es in der BBL einen Anteil deutscher Spieler von knapp 20, eher 15 Prozent.“
„Deutschen-Quote“ für längere Einsatzzeiten junger Talente
Ähnliche „Zustände“ herrschen auch in der deutschen Eishockey-Profiliga. Zwar sei der Anteil an deutschen Spielern in der DEL laut Nationalcoach und Ex-NHL-Star Uwe Krupp inzwischen recht groß, allerdings werde damit das Kernproblem nicht im Geringsten gelöst: „Wir haben immer noch 13 Ausländer pro Mannschaft“, so Krupp, der weiter ausführte “wenn du mit diesen Spielern und zumeist nur drei Blöcken spielst, bleiben gerade mal zwei oder drei Deutsche übrig. Unter denen musst du dann diejenigen suchen, die als Leistungsträger oder Schlüsselspieler bei uns im Nationalteam auf dem Eis stehen.“
Mehr Einsatzzeiten auf höchstem Niveau für junge deutsche Ausnahmetalente - diese Forderung wurde von allen drei Bundestrainern wiederholt vorgetragen. Als Mittel der Wahl gilt ihnen dabei eine vernünftige Quotierung. Und auf diesem Feld herrsche noch großer Gestaltungsspielraum bei den Verantwortlichen der Profiligen. Im Basketball gab es zuletzt immerhin einen Fortschritt: „Der neue Quotenbeschluss mit sechs Deutschen unter zwölf Spielern ab 2012 ist in jedem Falle besser als der Ist-Zustand“, so Bauermann, der die Änderungen dennoch für unzureichend hält: „Ein erster Schritt ist gemacht, wir haben einen Kompromiss. Die Chance, es noch besser zu machen, aber blieb ungenutzt.“
Für den Handball konnte Brand der Argumentation nur zustimmen: „Ich sehe auch bei uns die Möglichkeit einer noch besseren Entwicklung, wenn wir eine vernünftige Quote bekämen, so wie sie sich Dirk in der BBL vorstellt.“ Und auch Uwe Krupp könnte sich für die DEL eine ähnliche Lösung vorstellen, wenn auch unter bestimmten Bedingungen: „Ich bin schon auch für eine Quotierung, aber sie muss in Relation stehen zu der Anzahl der Spieler, die nachrücken.“ Schließlich solle auch für deutsche Talente in erster Linie die Leistung zählen: „Ich habe ehrlicherweise ein Problem mit einer Strukturbildung, nach der ein deutscher Spieler automatisch spielt. Für mich stimmt Quotierung nur dann, wenn sie trotzdem ein knüppelhartes Auswahlverfahren verlangt.“
Ohne Vereine und Ligen keine verbesserte Talentfördeurng
Wer wie Krupp über viele Jahre im nordamerikanischen Profi-Eishockeygeschäft tätig war, dabei als einziger Deutscher den Stanley Cup gewann und auch die dortige Nachwuchsarbeit hautnah miterleben konnte, weiß die deutschen Verhältnisse realistisch einzuordnen: „Wir haben deutschlandweit rund 35.000 Eishockeyspieler, da muss man mich aber schon mit hinzuzählen. Allein die Provinz Ontario in Kanada hat über 300.000 Nachwuchsspieler“, so Krupp, der damit zum Austausch über eine optimale Talentförderung überleitete. Auch hier sahen die Gesprächsteilnehmer Vereine und Ligen in der Verantwortung: „Das Sichten, Finden und Entwickeln von Talenten. Ich bin ganz sicher, dass es für uns alle nicht weitergeht, wenn der Profisport hier nicht in die Verantwortung geht“, so Bauermann, der im Namen aller unterstrich: „Wo es Profisport gibt, finden sich auch personelle und strukturelle Möglichkeiten für eine Jugendarbeit auf hohem Niveau.“
Die Interessen der Vereine wurden zwar von allen Seiten anerkannt - so betonte Heiner Brand vor allem den wirtschaftlichen Druck und das damit verbundene Streben nach kurzfristigem Erfolg –, dennoch sparte auch Brand nicht an Kritik: „Ich hatte 2007/2008 bei den vier deutschen Champions-League-Teilnehmern Hamburg, Kiel, Flensburg und Gummersbach weniger als zehn Prozent deutsche Spieler. Und auf den zentralen Positionen im Rückraum war es praktisch nur Pascal Hens vom HSV.“ Ein Kernproblem für alle deutschen Teamsportarten, insbesondere für das Eishockey: „Die Wettkampf-Kultur und Mentalität, die muss man haben, die Verantwortung auf höchstem Niveau. Ich wäre schon sehr, sehr glücklich, wenn wir überhaupt deutsche Spieler in leistungstragenden Positionen bei ihren Klubs hätten.“
Erfolge der Nationalteams helfen auch den Ligen
Fortschritte seien allerdings durchaus zu erkennen. So stellte Uwe Krupp in erster Linie die Förderverpflichtung der DEL-Vereine für eine bessere, gemeinsame Nachwuchsförderung heraus: „Die ist nicht mehr freiwillig, da herrscht ein gewisser Druck, bis hin zum Lizenzentzug. Das ist eine gute Maßnahme.“ Am Ende, so Heiner Brand, würden auch die Profiligen von einer verbesserten Talentförderung und den damit verbundenen besseren Chancen der deutschen Auswahlteams profitieren: „Wenn eine unserer Nationalmannschaften Erfolg hat, dann hat auch die Sportart ein gutes Standing. Davon profitiert die Liga, davon wiederum die Basis. Das haben wir 2007 nach dem WM-Erfolg gemerkt, also muss es im Sinne aller sein, vernünftige Lösungen für die Nationalmannschaften zu finden.“
Dass die Erfolge der Nationalteams nicht allein am Leistungsstand der jungen Talente hängen, veranschaulichte wiederum Uwe Krupp, der die zu geringen Vorbereitungszeiten kritisierte: Der DEL-Spielplan steht nun mal lange vorher und auch die Multifunktionsarenen sind zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Da kann Elton John dann eben nicht am Dienstag auftreten, er muss Samstag spielen. Und wenn Elton John kommt, hat der Uwe Krupp eben zwei, drei Tage weniger Vorbereitung. Das ist die Realität.“
Heim-WM als große Chance für das deutsche Eishockey
Übrigens auch im Vorfeld der Heim-WM 2010, was angesichts der Wirkung nach großen Turniererfolgen - wie nach der Fußball-WM im eigenen Land 2006 und dem WM-Heimerfolg der Handballer 2007 - besonders kritisch gesehen wurde: „Mir bleiben zur Vorbereitung einer WM oft zwei, drei Tage. Und ich kämpfe wirklich darum, dass ich einen Tag mehr bekomme“, so Krupp, für den eine gelungene WM im eigenen Land von hohem wert für das Eishockey bedeutet. Heiner Brands Erfahrungen aus dem Handball, hätten sich die Verantwortlichen da gerne frühzeitig zu Herzen nehmen dürfen: „Die WM 2007 hat uns natürlich einen enormen Schub gegeben“, so der Weltmeistertrainer, der zudem einen klaren Zusammenhang zwischen Erfolg, Medien-Präsenz und TV-Quote herstellte: „Natürlich sind das mediale Interesse und Sendezeiten in den Öffentlich-Rechtlichen ganz wichtige Faktoren. Wenn die großen Sender eine Sportart pushen, hat man eine Chance. Ansonsten ist es als Randsportart schwer, etwas zu steuern.“
Die Handball-WM 2007 bezeichnete Uwe Krupp denn auch als Vorbild: „Heiner beschreibt das sehr gut: Wie das bei der Handball-WM abgelaufen ist, das ist die Fahrplan für unsere WM“, Krupp ist sich dabei aber durchaus bewusst, dass am Ende allein der sportliche Erfolg, der Schlüssel zum Interesse der deutschen Sportfans ist. Große Siege, aber auch interessante Persönlichkeiten - so könnte es für die drei in Deutschland beliebtesten Mannschaftssportarten hinter dem Fußball funktionieren. Dirk Bauermann fand zu diesem Thema den passenden Schlusssatz: „Wir brauchen Gesichter! Die Ligen, die Nationalmannschaften, unsere Sportarten. Und dafür brauchen wir TV-Zeiten.“
Partner statt Konkurrenten: „Es gibt keinen Futterneid“
Eine Konkurrenzsituation war in der Runde übrigens nicht auszumachen. Im Gegenteil: Man könne in vieler Hinsicht voneinander lernen und sogar von Erfolgen der vermeintlichen Konkurrenten profitieren. Über den Tellerrand zu schauen ist für die Teamsport-Bundestrainer eine Selbstverständlichkeit. Eishockey-Coach Uwe Krupp machte denn auch eindrucksvoll deutlich, dass man an einem Strang ziehen müsse: „Ich bin absoluter Fan, ich finde Handball und Basketball super, verfolge das sehr genau und lebhaft – und freue mich riesig, wenn die Kollegen Erfolg haben.“ Dirk Bauermann konnte das nur bestätigen: „Es gibt keinen Futterneid. Im Gegenteil – wir unterstützen uns gegenseitig, wenn ich an die letzten Olympischen Spiele denke. Meine Jungs haben jedes Tor bejubelt, als hätten wir uns gerade fürs Viertelfinale qualifiziert.“
Ähnliche Nöte und Sorgen, aber auch die jeweils realistisch hoch gesteckten Ziele verbinden eben. Und vielleicht helfen die jüngsten Achtungserfolge der Basketballer und die Siege der Handballer am Ende auch den deutschen Eishockey-Cracks dabei, die entscheidenden Prozente Leistung bei ihrer Heim-WM freizusetzen – und für eine positive Überraschung zu sorgen. Vielleicht sogar mit Brand und Bauermann als Fans auf der Tribüne. Darüber, so das Trio bei der Verabschiedung, müsse unbedingt noch telefoniert werden.
Hinweis des Redakteurs: In der "Verlängerung" hier auf der Website wird es demnächst weitere Einzelheiten und viele weitere Zitate vom Bundestrainergipfel geben.