„Commodore“ Schümann ist am Müggelsee stets präsent

Der elfte Teil der Serie Stars und ihre Vereine: Einige der rund 70 Boote hatten auf der letzten Kreuz bei der Frühjahrsregatta des Yachtclubs Berlin-Grünau (YCBG) Probleme, ein Flaggensignal richtig zu deuten.

Wettfahrtleiterin Maria Halw war darüber zutiefst betrübt. Nur ungern disqualifizierte die 26-Jährige die Sünder. „Man weiß doch genau, wie blöd so etwas für einen Segler ist“, sagt die junge Mutter. Ihr sieben Monate junges Töchterchen Leona wurde derweil von der Großmutter betreut, damit Maria die erste Vereins-Regatta des Jahres 2009 durchführen konnte.

Ihr ehrenamtliches Engagement geht auf ein Erlebnis nach den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta zurück. Beim Empfang der Soling-Crew mit Jochen Schümann, Bernd Jäkel und Thomas Flach hatte das Mädchen kurz deren Goldmedaille anfassen dürfen. In diesem Moment träumte sie von einer ähnlich großen Karriere wie die der weltweit erfolgreichsten Crew, die zwischen 1985 und 1996 jedes Jahr mindestens einen großen Titel mit nach Hause brachte - darunter zwei Olympiasiege im Soling. „Leider hat es damit nicht geklappt“, sagt Maria Halw. Doch sei bei ihr „eine tiefe Verbundenheit“ mit diesem Verein und seinen derzeit rund 270 Mitgliedern entstanden, ein Drittel davon Kinder und Jugendliche.

„Es ist nicht entscheidend, wo man das Segeln lernt“

Rund 1.200 Segelvereine sind in Deutschland registriert, mehr als 120 in der Hauptstadt an Dahme, Spree, Havel und mit ihrer an Gewässern reichen Peripherie. Der YCBG ist weltweit eine der erfolgreichsten Adressen in diesem Sport, Schümann weltweit einer der erfolgreichsten Segler überhaupt. Dreimal gewann er Olympia-Gold, einmal Silber und zweimal mit der „Alinghi“ den „America´s Cup“ - 2007 als Sportdirektor des Schweizer Syndikats. Als Kind schaukelte er im selbst gebastelten „Optimisten“ auf den Wellen, später verbrachte er hier tausende Stunden im Finn-Dinghi und im Soling auf dem Wasser. Heute ist der 54-jährige Segelprofi mit Hauptwohnsitz im bayrischen Penzberg der allseits verehrte „Commodore“. Die höchste Auszeichnung, die ein Verein verleihen kann, äußerst selten ist und auf Lebenszeit vergeben wird. Im Vereinsheim würdigt eine eigens gebaute und an eine Kapitänskajüte erinnernde „Alinghi-Messe“ die sportlichen Verdienste des Ausnahmeseglers, der auf diese Weise beim YCBG ständig präsent ist.

„Es ist nicht entscheidend, wo man das Segeln lernt, sondern wie intensiv, mit welcher Einstellung, mit welchen Zielen und in welchem Umfeld“, lautet Schümanns Credo in Anspielung an sein eher niedliches Heimatrevier. Das Bootshaus steht nicht einmal direkt am See, sondern am Ufer der Spree. „Wir müssen erst einmal rund 700 Meter den Fluss entlang segeln, ehe der Müggelsee beginnt“, erklärt Dieter Giebels, der auf dem Gelände seit 1962 zuhause ist. Zu DDR-Zeiten arbeitete der 68 Jahre alte diplomierte Segeltrainer an dem früheren Leistungszentrum mit, „um Talente in die Weltspitze zu führen“. Nicht alles waren Eigengewächse. Begabte „Optimisten“ wurden auch aus anderen der reichlich vorhandenen Segel-Vereine zu den Meistermachern beim damaligen SC Berlin-Grünau delegiert. Bei den Olympischen Sommer-spielen 1976 in Montreal stellte der Verein die komplette DDR-Segelmannschaft.

Das Landesleistungszentrum als „Nebenmieter“

Nach der Wende haben sich die Strukturen stark verändert. Zunächst wollte der Verein nach seiner Neugründung im Jahr 1995 das Wasser-Grundstück vom Berliner Senat käuflich erwerben. Fast war man sich handelseinig, als das Land den Kaufpreis plötzlich verdoppelte. Im Ergebnis einigte man sich auf einen Pachtvertrag über zunächst 15 Jahre. Außerdem wurde das Grundstück geteilt und das Landesleistungszentrum als „Nebenmieter“ einquartiert. Der Verein war darüber keineswegs böse. Die Kosten für das dringend sanierungsbedürftige Dach zum Beispiel müssen jetzt nur zur Hälfte von den YCBG-Mitgliedern durch eine Umlage aufgebracht werden. „Wir pflegen ein freundschaftliches Verhältnis zum LLZ“, sagt Giebels, der bis 2007 ehrenamtlich als sportlicher Leiter tätig war.

Obwohl der YCBG nun nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt für die Ausbildung von Weltklasse-Seglern ist, lebt der leistungssportliche Gedanke am Müggelseedamm 72 weiter. Etwa 100 Mädchen und Jungen der Flatow-Schule - einer Eliteschule des Sports unter anderem mit der Schwerpunktsportart Segeln/Surfen - legen wöchentlich vom Steg ab. Betreut werden sie von ihrem Sportlehrer Steffen Kinzl, dem Vater von Weltklasse-Surferin Romy Kinzl, der zugleich Mitglied beim YCBG und der Verbindungsmann zwischen Schule und Verein ist. Drei, vier oder manchmal fünf Eliteschüler würden auf diese Weise dem Verein jährlich als Mitglieder zugeführt, schätzt Giebels. Stolz ist man, dass über ein Dutzend der eigenen Talente in der Obhut des LLZ-Personals trainiert und sich für Höheres empfehlen kann. Von den aktuell besten Nachwuchs-Surfern in Berlin zum Beispiel kommen derzeit fast alle aus den Reihen des YCBG, der sich seit Mitte der 90erJahre zudem um den leistungsorientierten Behindertensport verdient macht. Die Sonar-Crew mit Jens Kroker, Robert Prem und Siegmund Meinka holte 2008 bei den Paralympics die Goldmedaille.

Nur 35 Boots-Liegeplätze limitieren zusätzliche Einnahmen

„Unser Budget reicht, um die Kosten zu decken und den Jugendlichen ein einigermaßen vernünftiges Training zu garantieren“, fasst der stellvertretende Vorsitzende Bernd Jäkel die Situation nüchtern zusammen. Der 55 Jahre alte einstige Weltklasse-Segler aus dem einzigartigen Team mit Schümann und Flach lässt deutlich durchblicken, dass vor allem wirtschaftlich sehr schnell Grenzen erreicht werden. Beispielsweise ist der Verein mit seinen sechs gut ausgebildeten Übungsleitern und acht Trainingsgruppen lediglich in der Lage, absolute Anfänger mit Booten oder Surfbrettern aus eigenen Beständen auszurüsten. Wer leistungs-sportliche Absichten hegt und über das dafür nötige Talent verfügt, muss tief in die eigene Tasche greifen. Der monatliche Beitrag von 35 Euro pro Erwachsenem und 12 Euro für Jugendliche ist dabei die geringste Summe. Ausgaben für Material und die Reisen zu den zwingend notwendigen Regatten addieren sich schnell auf Summen zwischen 10.000 und 20.000 Euro pro Saison. Dabei ist noch nicht einmal der Kaufpreis für das eigene Boot eingerechnet.

„Als Student muss man da schon gut betucht sein oder einen wohlwollenden Sponsor haben“, weiß Jäkel. Weil die Verbandsförderung erst dann einsetzt, wenn ein Segler einen hohen Kaderstatus erreicht, sind die privaten Mühen und Aufwendungen bis dahin beträchtlich. „Leider gibt es in Deutschland zu wenige Unternehmen, die erfolgreiche Sportler auf ihrem Weg einerseits zu Höchstleistungen begleiten und ihnen andererseits eine berufliche Zukunft bieten wollen“, weiß Bernd Jäkel. Er selbst hatte Glück und war nach der Wende in den Genuss einer so genannten „Olympiastelle“ bei der damaligen Daimler-Benz AG gekommen.

Der Verein versucht, nach Kräften zu helfen, ist aber in seinen Möglichkeiten limitiert. Beispielsweise verfügt der YCBG über gerade einmal 35 Boots-Liegeplätze und kann keine zusätzlichen Einnahmen aus der Vermietung der beliebten „Parkplätze“ erzielen. Immerhin ist es gelungen, zwischen 30 und 40 kleinere Sponsoren zu finden, die meist selbst Segler sind oder deren Firmen in Verbindung zur Szene stehen. Für Heiko Seelig und Starboot-Europameister Robert Stanjek, zwei Kandidaten für die Olympischen Spiele 2012 in London, konnten eigene Patenschaften mit dem Energieunternehmen EWE und der Charter-Reederei Hanseatic Lloyd begründet werden. Trotz aller Bemühungen, Talente durch schweres Wasser zu lotsen, wandern Sportler immer wieder zu potenteren Vereinen ab. Surferin Romy Kinzl etwa startet heute für den Norddeutschen Regattaverein Hamburg, der frühere Jugendweltmeister Oliver-Tim Schliemann für Eckernförde.

Giebels und Jäkel wurmt dieser Aderlass, zumal der Weggang nicht immer mit einem besseren Coaching verbunden ist. „Leider gibt es im Segeln keine Ablösesummen. Warum sagt nicht mal einer der gut situierten Vereine: Ihr macht eine gute Jugendarbeit, ihr habts nicht so dicke, lasst uns eine Partnerschaft eingehen“, fragt Jäkel. „So etwas wäre eine faire Lösung und würde uns alle weiterbringen.“

Ein Regattaverein par exzellence

Gelegenheiten für solche Diskussionen gibt es in den kommenden Monaten wieder reichlich. Trotz allen sportlichen Ehrgeizes gilt der Verein, der seit 1930 insgesamt 103 deutsche Meisterschaften feiern konnte, mehr als 150 Medaillen bei Olympia, Welt- und Europa-meisterschaften gewann und rund 40 Olympiastarter hervorbrachte, als äußerst „geselliges Wesen“. Bis zu 15 Regatten veranstaltet der YCBG alljährlich und lädt sich damit so viel Arbeit auf wie kaum ein anderer im gesamten Bundesgebiet. „Das erfordert ein ungeheuer großes Engagement“, sagt Dieter Giebels, der als Wettfahrtleiter jahrelang mit gutem Beispiel voranging. In diesem Jahr sind die Fähigkeiten der Berliner sogar bei der Ausrichtung der Raceboard-WM im Juli in Rostock-Warnemünde gefragt. Im Herbst wird es auf heimischem Gewässer einmal die große „Optimisten“-Regatta mit etwa 200 Teilnehmern geben. Als Helfer mit von der Partie sein werden dann ebenfalls Jäkels Söhne Christian (30) und Matthias (32) sowie Olympia-Kandidat Heiko Seelig und YCBG-Mitglied Thomas Piesker, der mit 31 Jahren jüngste Bundestrainer im Deutschen Seglerverband.

Eine Serie von Andreas Müller