Damit aus quirligen Kids keine "Couchpotatoes" werden

Niemand wird als Bewegungsmuffel geboren. Die Wurzeln einer Couchpotatoe liegen viel mehr in der Kindheit.

Spaß am Sport im Kindergartenalter ist die beste Voraussetzung für lebenslanges Sporttreiben. Foto: picture-alliance
Spaß am Sport im Kindergartenalter ist die beste Voraussetzung für lebenslanges Sporttreiben. Foto: picture-alliance

Vor allem, wenn die Kleinen bereits in ihren frühen Jahren am Toben, Raufen, Klettern oder Purzeln gehindert worden sind. Dann verschwindet mitunter die Lust darauf, die Umwelt zu erforschen und sich auszuprobieren.

Verursacht werden kann dies durch überängstliche Eltern oder Tagesmütter. Ein weiterer Grund findet sich aber auch im ersten Kontakt mit einer Bildungseinrichtung: Dem Kindergarten. Und zwar, wenn der wöchentliche Sportkurs von unqualifiziertem Personal geleitet wird. "Empirische Befunde zeigen, dass Kinder im Kindergarten ihre motorischen Fähigkeiten deutlich verbessern, wenn sie beim Sport von fachlich qualifizierten Erzieherinnen angeleitet werden", sagt Robert Prohl, Leiter der Abteilung Sportpädagogik der Goethe-Universität in Frankfurt.

Bei einer Veranstaltung der der Frankfurter Bürgeruniversität informierte er, worauf es dabei ankomme: Die Angebote sollten vor allem an die Vorstellungswelt der Kinder angepasst werden, was von den Erzieherinnen natürlich viel Mut und Kompetenz erfordere, so Prohl. Aber warum? Kinder einfach drauf los spielen lassen, ein paar Bälle, Matten, Kästen und Seile freigeben - das kann doch jeder. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Plädoyer für fachlich qualifizierte Erzieherinnen

Das kreative Spiel einer Gruppe, mit Kids im Alter von drei bis sechs Jahren, braucht nämlich eine Erzieherin die Ruhe bewahrt, Gefahren einschätzen kann und unübersichtliche Momente entschärft. Wer mit Kindergartenkids trainiert benötigt nun mal das sportfachliche Handwerkszeug.

Da viele Erzieherinnen aber die Unruhe ihrer Zöglinge beim freien Spiel befürchten, verzichten sie lieber darauf. Der Turnalltag im Kindergarten ist meist geprägt von Kindern, die warten bis sie an der Reihe sind, während sie einem der Kameraden beispielsweise beim Balancieren zusehen. Da fällt jeder Spaßfaktor weg. Freude ist aber das einzige, was Kinder zu anhaltender Aktivität verleitet – Warten ist pure Langeweile.

So entstehen die Couchpotatoes von morgen, weil sie von Kindesbeinen an mit der Bewegung unangenehme Erinnerungen oder Gefühle verbinden. Sportpädagoge Prohl fordert deshalb, dass die zuständigen Sozialministerien deutlich mehr Ressourcen für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bereitstellen.

Etwa für den Main-Taunus-Kreis, wo 75 Prozent der Erzieherinnen keine bewegungspädagogische Qualifikation hätten. Schließlich sollten sich Kinder - laut des hessischen Bildungs- und Erziehungsplans – ihre Welt erobern. Das dies nur ungenügend gelinge, liege jedenfalls nicht an der Bereitschaft der Pädagogen sich weiterzubilden. Umfragen zu Folge, hielten die Erzieherinnen im Main-Taunus-Kreis die motorische Förderung der Kinder für wichtig und würden sich gerne fortbilden, so Prohl

Lust am Sport wird im Kindesalter geprägt

Ist die Lust am Sport erst einmal vergangen, bleibt der Spross in seiner weiteren Entwicklung weit unter seinen Möglichkeiten. Kinder, die zumindest bis zur Pubertät regelmäßig Sport treiben, schaffen sich eine Basis, die sie nie wieder verlieren. Während sich ein von je her träger Mensch mühevoll an Trainingserfolge herantasten muss, haben die ehemals aktiven Kids auch als Erwachsene die Nase vorn: Mit der Aktivität bilden sie in ihren Muskeln die so genannten Satellitenzellen. Diese schlummern zwar, wenn sie weniger gebraucht werden. Bei Bedarf lassen sie sich aber jederzeit aufwecken, und sind leistungsbereit.

"Als Erwachsene passt der Körper sich dann effektiver an das Training an", sagt Dietmar Schmidtbleicher, Leiter der Abteilung Bewegung und Trainingswissenschaften, "und ihre körperliche Entwicklung setzen diese Kids auf einem höheren Niveau fort, als untrainierte Jugendliche", so der Professor. Wer Kinder in Schule, Verein oder Kindergarten Schlange stehen lässt, anstatt sich Spielformen zu überlegen, die innerhalb der Bewegungszeit, alle Kinder aktivieren, nimmt ihnen also Chancen sich körperlich und geistig besser zu entwickeln.

Damit sich durch Bewegung besondere Effekte im Gehirn zeigen ist es wichtig, dass die jungen Aktiven miteinander sprechen, sich abstimmen, Pläne entwickeln, Gestalten und Bauen dürfen. Auf diese Weise entstehen viele Kombinationsmöglichkeiten, ein Ziel zu erreichen. Daraus lernt der Nachwuchs mehr, als wenn immer alles vorgegeben ist. Die produzierten Ergebnisse stärken das Selbstbewusstsein und sorgen dafür, dass der Schaffende Spaß empfindet. "In diesen Momenten schüttet der Körper Dopamin aus, ein Glückshormon, das den Lernprozess fördert", sagt Schmidtbleicher.

Sport als gute Voraussetzung fürs Lernen

In einem Gespräch mit dem Hirnforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm, eröffnen sich in diesem Zusammenhang sogar noch mehr positive Effekte. So würden sogar neue Nervenzellen gebildet und die Verbindungen der Nervenzellen untereinander verstärkt, wenn die sportliche Aktivität regelmäßig über Wochen und Monate ausgeübt werde. Vor allem im Hippocampus, dem Bereich, der für das Langzeitgedächtnis wichtig sei, würden die neuen Nervenzellen gebildet. Zudem schaffe der körperliche Ausgleich ein emotionales Gleichmaß und die Kinder seien aufmerksamer. "Das sind gute Voraussetzungen fürs Lernen", so der Professor. "Aber bei Bewegung, die Stress verursacht und unter Zwang stattfindet, werden die Zellen in dieser Region eher zerstört", sagt Spitzer. So könne sich das Langzeitgedächtnis eher verschlechtern. Auch er spricht sich – was kognitive Prozesse angeht - grundsätzlich für vielseitige und abwechslungsreiche Bewegung aus: "Wer auf dem Laufband vor sich hintrottet, kann sein Gehirn gleich an der Garderobe abgeben", sagt Spitzer.

Die Konsequenz dieser Erkenntnisse wäre, Kinder in allen Altersstufen und in allen Institutionen zum spaßigen Treiben zu ermuntern. Wobei die fachliche Kompetenz des betreuenden Personals enorm bedeutsam ist. Ganz gleich ob Erzieherin oder Tagesmutter – Kinder brauchen Erlebnisräume. Was aber tun, wenn die jungen Wilden sich verweigern, weil sie nicht den passenden Ausgleich finden, die richtige Ansprache fehlt oder bereits übergewichtig sind und ihnen jegliche Bewegung eher qualvolle Mühen verspricht? Dann wäre es angezeigt sich Hilfen zu suchen - bei qualifizierten Ansprechpartnern. So etwa in den Landessportverbänden oder bei der Deutschen Sportjugend.

Eine Chance für übergewichtige Kids sieht Sportwissenschaftler Schmidtbleicher in einem gezielten Krafttraining. Gemeinsam mit normalgewichtigen Kindern, könnten sie von ihrer Masse profitieren. "Weil sie ihr überschüssiges Gewicht tragen müssen, haben sie auch eine stärker ausgeprägte Muskulatur", sagt Schmidtbleicher. Wahrscheinlich können sie im direkten Vergleich mit den Klassenkameraden also mehr Gewichte stemmen. Für die meisten dicken Kinder ein ungewohntes Erfolgserlebnis.

Aber darin liegt wiederum die Stärke dieser Trainingsform. Denn hat man den Spaß erst einmal am Schopfe gepackt, mag man ihn nicht mehr loslassen. Und so könnte man die Kids langsam zu einem Kraftausdauertraining motivieren und somit den Fettzellen weiter zu Leibe rücken, so Schmidtbleicher. Aber auch hier geht nichts ohne die richtige Anleitung – und die will nun mal gelernt sein.

(Autorin: Yvonne Wagner)


  • Spaß am Sport im Kindergartenalter ist die beste Voraussetzung für lebenslanges Sporttreiben. Foto: picture-alliance
    Spaß am Sport im Kindergartenalter ist die beste Voraussetzung für lebenslanges Sporttreiben. Foto: picture-alliance