Das Warum als Grundlage für eine Olympia-Bewerbung

Eine Olympiabewerbung muss in der heutigen Zeit die Interessen und Bedürfnisse möglichst großer Teile der Bevölkerung vereinen.

Die European Championships haben die Bewerbung Deutschlands um Olympische und Paralympische Spiele neu entfacht. Foto: picture-alliance
Die European Championships haben die Bewerbung Deutschlands um Olympische und Paralympische Spiele neu entfacht. Foto: picture-alliance

Ist Deutschland reif für eine erneute Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele? Kaum eine Frage diskutierte Sportdeutschland in den vergangenen Tagen und Wochen intensiver und kontroverser. Die beeindruckenden Bilder von begeisterten Fans an urbanen Sportstätten und Sportler*innen aus ganz Europa, die sich mit Superlativen über die Stimmung bei den European Championships in München überboten, haben einmal mehr gezeigt: Sportliche Großveranstaltungen ausrichten, ein guter und begeisternder Gastgeber sein - das kann Deutschland. Also wäre es doch nur ein logischer Schritt, würde sich der Deutsche Olympische Sportbund erneut um das größte aller Sportereignisse bewerben.

Doch der Sache mit der Bewerbung, das haben nicht zuletzt sieben erfolglose Anläufe gezeigt, kann und darf man gerade in der heutigen Zeit nicht allein mit sportlicher Logik und Emotionalität begegnen. Dass die deutsche „Sportfamilie“ Olympischen und Paralympischen Spielen im eigenen Land größtenteils positiv gegenübersteht und vor allem die vielen, weit über den Sport hinaus wirkende Vorteile sieht, liegt in der Natur der Sache. Und dass der Gedanke an einen olympischen Wettkampf vor heimischer Kulisse bei jeder Sportlerin und jedem Sportler besondere Emotionen hervorruft, ist ebenfalls leicht nachvollziehbar.

Ebenso verständlich ist es jedoch auch, dass viele, selbst sportbegeisterte Menschen Olympischen und Paralympischen Spielen aktuell kritisch gegenüberstehen. Zu tief sind die Spuren, die Jahre lange Diskussionen über fehlende Nachhaltigkeit, den scheinbar immer weiterwachsenden Gigantismus der Spiele, erfolglose Bewerbungsversuche und manchmal nur schwerlich nachvollziehbare Vergaben der Spiele hinterlassen haben.

Deshalb tun Präsidium und Vorstand des DOSB, die längst kein Geheimnis mehr um den Plan einer erneuten, anders aufgesetzten Bewerbung machen, sehr gut daran, bei ihren vorbereitenden Planungen vor allem auf Aufklärung, Transparenz, Information und Partizipation in möglichst allen Bereichen der Gesellschaft zu setzen. Nur so können, gerade außerhalb der Sportwelt, Bedenken abgebaut werden. Bedenken, die - bei allen zu Recht kritisierten Punkten - ab und an auf Vergangenem, auf fehlenden Informationen beruhen. Auf Entscheidungen und Fehlern, aus denen die Sportverbände inzwischen Konsequenzen gezogen haben. Längst ist noch nicht überall bekannt, dass das IOC den Bewerbungsprozess um die Spiele inzwischen deutlich verändert hat, dass Nachhaltigkeit und Menschenrechte bereits eine weitaus größere Rolle spielen als bei den Vergabeprozessen der vergangenen Jahrzehnte. Ein erster Fingerzeig: Die kommenden Spiele finden in Frankreich, Italien, den USA und Australien statt. Gut vorstellbar, dass sie ähnlich beeindruckende Bilder liefern wie zuletzt die European Championships in München. Es dürften zumindest deutlich andere werden als beispielsweise die von den jüngsten Winterspielen in Peking.

Eine Olympiabewerbung muss in der heutigen Zeit die Interessen und Bedürfnisse möglichst großer Teile der Bevölkerung vereinen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns zunächst mit dem Warum, also der Frage des Nutzens und der Ziele von Olympischen Spielen in den unterschiedlichsten Bereichen unserer Gesellschaft beschäftigten. Erst dann kommen das Wann und Wo mit Ort und möglichem Ausrichtungsjahr. Ebenso unabdingbar ist zudem ein nachhaltiger Ansatz. Die Zeiten von gigantischen Neubauten, deren Nachnutzung kaum darstellbar ist, sollten endgültig vorbei sein. So gesehen ist es das richtige Zeichen, wenn DOSB-Präsident und Vorstandsvorsitzender unisono sagen, bei einer erneuten Bewerbung bestenfalls auf 100 Prozent bestehende Sportstätten zurückgreifen zu wollen.

Doch würde ein solcher Ansatz nicht die Auswahl der Ausrichterstädte einschränken? Gibt es in Deutschland noch eine Stadt, die derzeit über alle Fazilitäten verfügt, die man zur Ausrichtung moderner Olympischer und Paralympischer Spiele benötigt. Das wird der DOSB im kommenden Jahr genauestens analysieren. Vielleicht lohnt es sich aber auch jetzt schon einmal darüber nachzudenken, ob nicht eine Austragung in zwei oder mehreren Städten eine Lösung für die Zukunft sein könnte. Denn auch wenn bestehende Regularien und der ewige, aber längst nicht mehr überall umgesetzte Traum von einem einzigen olympischen Dorf noch dagegensprechen: In einem ergebnisoffenen Dialogprozess sollten selbst solche Gedanken erlaubt sein.

(Autor: Stephan Brause, Leiter des Exekutiv-Büros im DOSB)


  • Die European Championships haben die Bewerbung Deutschlands um Olympische und Paralympische Spiele neu entfacht. Foto: picture-alliance
    Olympische Ringe vor dem Münchner Olympiastadion mit einem Plakat zu den European Championships Foto: picture-alliance