„Das System Sportverein ist unersetzbar“

Beim NRW-Sportkongress in Bochum erfahren 1.200 Teilnehmer viel über die Zukunft des ehrenamtlichen Engagements.

Der Sportkongress in Bochum hatte für die Teilnehmer viel zu bieten. Copyright: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann
Der Sportkongress in Bochum hatte für die Teilnehmer viel zu bieten. Copyright: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Werner Stürmann, Abteilungsleiter Sport im nordrhein-westfälischen Innenministerium, brachte in seinem Schlusswort das Ergebnis des zweitägigen NRW-Sportkongresses in Bochum auf den Punkt: „Alle wollen, dass die Vereine leben. Unsere Vereine können und leisten ungeheuer viel, denn sie sind nicht nur Sportanbieter, sondern auch wichtiger Teil des gesamtgesellschaftlichen Lebens. Voraussetzung für ihre Zukunftsfähigkeit aber ist, dass sie aufgeschlossen sind gegenüber neuen Gedanken und gesellschaftlichen Entwicklungen.“

Damit schloss Stürmann den Gesprächskreis, den tags zuvor sein Chef Landesinnen- und Sportminister Ingo Wolf geöffnet hatte. „In NRW gibt es rund 20.000 Sportvereine. Es gibt keine größere Kraft in diesem Bundesland, die so viele Menschen anspricht und zusammenführt“, sagte er und warb zugleich für alle Sportvereine in Deutschland. Denn: „Keine Organisation dringt so tief ein in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus. Es gibt keine größere Kraft für Gesundheit, für Integration, für den Zusammenhalt der Gesellschaft als den Sport. Darauf können die Vereine stolz sein. Und sie können zu Recht verlangen, dass diese Leistungen anerkannt und gewürdigt werden und dass ihnen von allen Seiten die notwendige Unterstützung gegeben wird.“

Der Kongress trug den Titel „Zukunft. Sport. Verein“. Walter Schneeloch, Präsident des Landessportbunds NRW und Vizepräsident Breitensport im DOSB, hatte eine noch griffigere Formulierung: „Zukunft braucht Herkunft.“ Soll heißen: Der Verein war und bleibt die Basis, auf der die Zukunft aufbaut. Solche Aussagen nahmen die rund 1.200 Kongressteilnehmer gerne zur Kenntnis. Manch einer wird sich in der Vergangenheit gefragt haben, ob sein Engagement in die in der Regel ehrenamtliche Vereinsarbeit noch Sinn macht und Zukunft hat. Spürbar war, dass Zweiflern die Grundsatzreferate und Diskussionsforen Mut machten und sie für die Zukunft motivierten. Das dürfte eines der wichtigsten Ergebnisse dieses Sportkongresses sein.

Zunehmende Zeitarmut

Aufregend war das Hauptreferat des Soziologen und Trendforschers Dirk Bathen „Neue Wege im Sport“. Bathen wollte keinen seiner Zuhörer umkrempeln. Eher wollte er aufmerksam machen auf zukunftsweisende Trends bei der Weiterentwicklung gesellschaftlicher Phänomene. Beispielhaft nannte er die zunehmende Zeitarmut einer Gesellschaft. Kollektive Ruhephasen, in denen man sich gemeinschaftlich regenerieren konnte, werden immer seltener. Die Folgen auch für die Sport: Probleme beim Teamsport, Zuwächse bei Individualsport, weniger Bindung an klassische Vereine, größerer Zulauf zu Kursangeboten. Wer kann da mithalten? Der Großverein mit hauptamtlichem Management, Trainern und Kursusbetreuern kann eher als Dienstleister in Konkurrenz zu kommerziellen Studios auftreten als der vergleichsweise kleine „Amateur“-Verein.

Bathen führte auch den Trend an, wie der Begriff „Gesundheit“ einem Veränderungsprozess ausgesetzt ist. In einer fitter werdenden alternden Gesellschaft wird Gesundheit nicht mehr als Gegensatz zu Krankheit definiert. Gesundheit hat beispielsweise auch etwas mit Ästhetik zu tun. Da kommt auf den Sport eine große Herausforderung zu. Überschrieben wurde dieses Themenfeld: So geht's nicht weiter – Der Wandel als Chance!

Überzeugung des Praktikers

Zweifel am Wert der (Sport)-Vereine hatte NRW-Sportminister Wolf schon in seiner Eröffnungs-ansprache vom Tisch gefegt. Er verwies auf das große Potenzial des Sportvereins bei der Erziehung von Kindern und Heranwachsenden, beim Verstehen und Zusammenführen von Menschen unterschiedlichster Herkunft, sowie bei der Aneignung und Einübung von zentralen Werten unserer Gesellschaft wie Fair Play, Teamgeist, Übernahme von Verantwortung und Leistungswillen.

Der Minister sprach aus der Überzeugung des Praktikers, der seinen eigenen Reifeprozess über viele Jahre hinweg als Hockey-Bundesligaspieler erfuhr und sich heute als Vater mit den Problemen seiner heranwachsender Kinder konfrontiert sieht. Wolf: „Wir können auf das Potenzial der Sportvereine auf keinen Fall verzichten.

Denn nicht nur die Gesellschaft würde ärmer werden. Auch der Staat müsste viele Leistungen aus Steuergeldern bezahlen, die heute völlig selbstverständlich die Gemeinschaft der Sporttreibenden im Verein erbringen.“ Den Wert des gemeinnützigen Engagements in den Vereinen bezifferte Wolf in NRW auf monatlich 121 Millionen Euro. „Ein solches System ist unersetzbar.“

Kritische Töne

Im Forum „Sportanlagen als Leuchttürme“ kamen aber auch kritische Töne auf. Ein großer und auch kommunal-politisch gewichtiger Verein wie der TV Jahn Rheine vermag Ansprüche bezüglich benötigter Sportstätten nachhaltig genug und erfolgreich zu formulieren und ist auf Grund auch seiner wirtschaftlichen Größe inzwischen relativ autark.

Kleinvereine, und sie stellen immer noch die Masse dar, sind jedoch von der Sportstätten-zuweisung ihrer Städte und Gemeinden abhängig. Und da die Haushalte nahezu aller Kommunen tief im Armutstal stecken, wird die Sportstättensituation immer kritischer.

So kritisch, dass auf der parallel zum Kongress verlaufenden Mitgliederversammlung des Landessportbunds NRW eine Erklärung des LSB zur Situation der kommunalen Finanzen in NRW“ abgegeben wurde. Deren Kernpunkt besagt, dass auch in finanziell schwierigen Zeiten die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Sport-Selbstverwaltung weiter bestehen muss und zwar getreu dem Grundsatz: „Nicht am, sondern mit dem Sport sparen.“ Schließlich sollen der Verein und der Sport ja eine Zukunft haben.

Der Verein muss Zukunft haben

Ein Kommentar von Hanspeter Detmer

Die 1.200 Teilnehmer am nordrhein-westfälischen Sportkongress in Bochum waren durchaus repräsentativ. Auffallend war in der Ruhrcongress-Halle der große Anteil jener Funktionsträger aus Vereinen und anderen Sportinstitutionen, die den Altersklassen Ü50 bis Ü70 zugerechnet werden müssen. Ist das die Zukunft des Sports?

Ja. Die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft hat nun mal zur Folge, dass die Alten immer mehr werden und es einfach zu wenig junge Erwachsene gibt. Die alternde Bevölkerung hat sich aber das Ziel gesetzt, so lange wie möglich physisch und dadurch auch psychisch fit zu bleiben, um nicht zu früh aufs Altenteil geschoben zu werden. Walter Schneeloch als Landessportbund-Präsident in NRW und Kongressgastgeber formulierte es so: „Vereine können Gesundheitsangebote bis hinein in den präventiven und Rehabilitationsbereich zu konkurrenzlos günstigen Bedingungen anbieten. Das ist ein Stück Zukunftssicherung.“ Um den richtigen Weg zu finden, bedarf es erfahrener Mitarbeiter, die auf dem Sportkongress viel Rückendeckung und Motivation erhielten.

Auf die Frage nach der Zukunft des Vereinssports könnte man aber auch mit einem vorsichtigen Nein antworten. Wo sind in den Mitgliederstatistiken die jungen Erwachsenen zwischen 20 und 35 Jahren zu finden? Auf diese Altersgruppe wirken sich die Veränderungen in der Arbeitswelt oder in den Ausbildungsprozessen extrem zu Ungunsten des Vereinssports aus. Der klassische Verein mit seiner Bodenhaftung tut sich schwer mit Dingen wie Individualität und Flexibilität. Und Funktionen, Ämter will keiner übernehmen.

Für „Verein, Sport, Zukunft“ – so das Motto des NRW-Sportkongresses, wird viel Kreativität verlangt. Wahl-Ämter werden immer schwerer besetzt werden können. Aber an der Projekt bezogenen Bereitschaft zum Engagement scheint kein Mangel zu herrschen. Lösen müsse man wird sich auch von dem Gedanken, dass Sportvereine Solidargemeinschaften sind. Immer häufiger wollen Mitglieder wie Kunden behandelt werden. Der gesellschaftliche Wandel muss von den Vereinen als Chance verstanden werden.

Die zukünftige Bedeutung des Sportvereins liegt u.a. im Gesundheitssektor oder in der Basis für spätere repräsentative internationale Erfolge. Hartmut Ostrowski formulierte es plakativ: „Der Breitensport ist das Gewächshaus des Spitzensports.“ Der Vorstandsvorsitzende des mächtigen Medienkonzerns Bertelsmann sieht aber einen noch gewichtigeren Grund, die Vereinsstrukturen zu erhalten. Nirgendwo lassen sich Probleme mit Migration und Integration einfacher bewältigen als mit Sport im Verein. Wenn es nicht gelingt, die vielen jungen Menschen in unserem Land mit Migrationshintergrund zu integrieren, wird die Gesellschaft vor große Probleme gestellt. Im Verein werden Werte wie Verantwortung und Verlässlichkeit, Teamgeist, Fairplay und Vertrauen erfahren und erlernt. Deshalb muss der Verein Zukunft haben.


  • Der Sportkongress in Bochum hatte für die Teilnehmer viel zu bieten. Copyright: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann
    Der Sportkongress in Bochum hatte für die Teilnehmer viel zu bieten. Copyright: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann