Dem Nachwuchs die Bälle zuspielen

Im Oktober erhält die Basketballakademie Ulm das „Grüne Band“. Laut Nationaltrainer Dirk Bauermann ein Signal, das Nachahmer anregen soll: „Wir brauchen engagierte Leute und ein Bekenntnis zur Nachwuchsarbeit.“

Gemeinsam mit dem Nachwuchs stark: Dirk Bauermann. Copyright: DBB
Gemeinsam mit dem Nachwuchs stark: Dirk Bauermann. Copyright: DBB

Die Weichen hierfür müssten an den Standorten der Profiklubs gestellt werden, betont Dirk Bauermann. Darüber und auch über seine neue Aufgabe beim FC Bayern München spricht der Meistercoach im Interview mit Frank Schneller und Iris Ludwig. Er beschreibt die Chancen des Nationalteams bei der am Samstag beginnenden WM in der Türkei, seine neue Aufgabe beim FC Bayern München sowie die Perspektiven seiner Sportart hierzulande generell.

Herr Bauermann, zunächst einmal ein Blick in die ganz nahe Zukunft – auf die WM in der Türkei: Ist Ihr Team gemessen an den letzten Auftritten gerüstet?

BAUERMANN: Wir können sehr zufrieden sein, das Team hat sich entwickelt. Einige sind halt im Vergleich zur EM jetzt auch 21 und nicht mehr 20 Jahre jung. Wir haben uns von Vorbereitungsturnier zu Vorbereitungsturnier gesteigert und wollen unser Minimalziel, den Sprung unter die letzten 16, angreifen. Zwar haben wir in den ersten beiden Spielen beim Supercup gegen Kroatien und Litauen nicht gezeigt, was wir können. Doch gegen den WM-Gastgeber Türkei hat die Mannschaft den größten Schritt nach vorne gemacht in diesem Sommer. Die Chemie in der Truppe stimmt. Wir haben Lehrgeld bezahlt, Erfahrungen gesammelt, dazugelernt und sind stabil. Nun müssen wir nur noch verinnerlichen, dass es bei diesem Turnier sehr körperbetont, vielleicht auch ruppig zugehen kann und dass wir auch in diesem Punkt mit der nötigen Robustheit und Körpersprache auftreten. Wir dürfen nicht immer nur die sein, die sich wehren. Wir müssen auch mal selbst Statements abgeben auf dem Feld.

Diese Rolle würde NBA-Star Dirk Nowitzki sicher am besten verkörpern, doch Deutschlands Vorzeige-Basketballer ist nicht mit dabei, ebenso wenig sein deutschstämmiger NBA-Kollege Chris Kaman ...

BAUERMANN: Richtig, wir hätten sie gerne dabei gehabt, wissen nun aber auch schon seit geraumer Zeit, dass sie es nicht sind und haben das Team entsprechend eingestellt. Eine WM ist eine große Bühne, ein sensationeller Event, um die anderen Spieler sich weiter entwickeln und reifen zu lassen. Keiner kann sich verstecken. Ohne Dirk haben die jüngeren Spiele mehr Minuten auf dem Feld, mehr Würfe – das kommt ihnen auch perspektivisch zugute. Das Turnier in der Türkei ist nämlich andererseits trotzdem so etwas wie eine Zwischenstation auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2012 in London. Das ist das noch größere Ziel, Olympia toppt alles.

Insofern ist es für Sie als Bundestrainer womöglich sogar eine positive Fügung, dass die NBA-Profis nicht dabei sind und ihre anderen Spieler dadurch zwangsläufig noch wettbewerbsfester werden.

BAUERMANN: Moment, also wir haben schon alles daran gesetzt, diese Spieler dabei zu haben. Man darf nicht vergessen: Auch wegen ihnen haben wir die WM-Wildcard bekommen. Und nun sind sie nicht dabei. Aber Dirk beispielsweise nach seinem Entschluss noch einmal umstimmen zu wollen, hätte sicher eher kontraproduktiv gewirkt. Das sollte man nicht tun und auch mit Blick auf 2012 lieber Respekt vor seiner Entscheidung haben. Und den habe ich zu 100 Prozent, keine Frage. Also betrachte ich die Situation mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Diesen einen Großen, dem man nur den Ball geben muss, und es passiert etwas Gutes - diesen Supermann haben wir nun nicht. Und natürlich würden meine Jungs in jedem Spiel auch an der Präsenz Dirks wachsen. Ohne ihn aber müssen sie die Verantwortung auf die eigenen Schultern nehmen, sie verteilen. Das sehe ich wiederum positiv. 2011 aber sind Dirk und Chris ja wieder dabei, wenn es um die Olympia-Qualifikation geht und sie zu einem in der Zwischenzeit  weiter gereiften Team stoßen. Also, die Perspektiven sind gut.

Bildlich gesprochen kann Ihre Auswahl das zarte Pflänzchen gießen, dass da heißt: Aufschwung des Basketball hierzulande. Die Stimmungslage rund um die Nationalmannschaft ist gut. Das ließ sich auch in den Abschlusstests gegen Puerto Rico feststellen, die sie mit 73:63 und 97:74 gewonnen haben. Dazu hat das sehr medienträchtige Projekt Bayern München, bei dem Sie ja entscheidend mitwirken, nicht nur in der Basketballszene mächtig aufhorchen lassen – es tut sich also was, oder?

BAUERMANN:Ja, absolut. Wir wissen, dass wir mit der DBB-Auswahl in der Türkei viel für unseren Sport tun können durch positive, beherzte Auftritte und freilich auch gute Resultate. Und das Projekt FC Bayern in einer Medienstadt wie München ist eine riesige Chance für den Basketball hierzulande, ich sage sogar, es birgt eine sensationelle Perspektive europaweit.

Sie sprachen aber nach der Vorstellung als Trainer des FC Bayern, mit dem Sie in kurzer Zeit, nämlich in nur einer Saison, den Aufstieg von der 2. in die 1. Bundesliga schaffen sollen, auch von einem Risiko für alle Beteiligten. Das Projekt „dürfe nicht scheitern“.

BAUERMANN:So ist es auch. Es ist ein Super-Projekt, aber gleichzeitig mit Risiken verbunden, insbesondere für mich als Bundestrainer und alle Spieler, die jetzt nach München in die 2. Liga wechselten. Es ist auch für mich kein leichter Gang. Unsere Verweildauer in dieser Liga sollte, nein: darf nur eine Saison sein. Sonst müssen wir die Sache abhaken.

Ist das einzig gültige Ziel, der Aufstieg, von Ihnen mitgebracht und dann festgesetzt worden, oder sind die Verantwortlichen des FC Bayern, allen voran Uli Hoeneß, mit dieser Prämisse zu Ihnen gekommen und haben sich eine Erfolgsgarantie abgeholt?

BAUERMANN:Es war von Anfang an eine beiderseitige Prämisse. Das Thema Basketball muss ankommen, der Verein, also die große Mehrheit der Mitglieder, hat es absolut befürwortet. Von daher gab es gar keine Diskussion, sondern eine klare Vereinbarung: Der Auftrag lautet Aufstieg. Ich selbst hätte keine andere Denkweise akzeptiert. Mittelmäßigkeit ist keine Option in diesem Fall. Zumal die Marke Bayern München dahinter steht. Wir sind zum Erfolg verpflichtet, es ist aber auch alles darauf ausgerichtet, wir haben personell die Weichen entsprechend gestellt, den Etat unserem Ziel angepasst. Unsere Transfers waren schon perspektivisch angelegt, wir haben die Pflöcke bereits für ein erstes Jahr 1. Bundesliga eingeschlagen. Man kann nicht groß denken und klein handeln.

Klingt teuer – zuletzt unterschrieb auch noch Ihr Nationalmannschaftskapitän, Steffen Hamann, bei Ihrem neuen Arbeitgeber. Nicht der einzige mit Länderspielerfahrung, der erst einmal eine Liga tiefer steigt ...

BAUERMANN: Einen Kader aus jungen und erfahrenen Spielern, die den Druck aushalten, kriegt man nicht umsonst. Denn wir haben nicht nur das Scheckbuch rausgeholt, mir waren auch charakterliche Eigenschaften bei den Neuverpflichtungen sehr wichtig. Jeder der Spieler, der letzte Saison noch erstklassig war, nahm Einbußen in Kauf, alle stehen voll hinter dem Projekt und sind bereit, anzupacken, in Vorleistung zu treten. Das heißt schon was. Es muss und es wird fluppen.

Die Basketballer werden sicher gejagt und bisweilen angefeindet wie die Kollegen Fußball-Profis.

BAUERMANN: Und das ist doch genau der Kick. Wir werden dadurch nur noch stärker, noch abgehärteter. Die Rolle, in die wir uns begeben, bringt automatisch eine große Portion Motivation mit sich. Zudem ist ein wichtiges Pfund, das für uns spricht, dieser Verein mit seinen überragenden Strukturen. Stärkere gibt es ja überhaupt nicht, nirgends. Darin sah und sehe ich ja auch die unfassbar große Chance für unseren Sport. Und, natürlich in den Personen, die hinter und zu diesem Projekt stehen. Glauben Sie mir, ich habe im Basketball schon etliche hervorragende Funktionäre kennen gelernt  – auch in der Wirtschaft. Leute mit hohem fachlichen und menschlichem Niveau, aber Uli Hoeneß hat diesbezüglich noch einmal einen ganz eigenen, mir weniger bekannten Level rübergebracht: Seine Authentizität, seine Menschlichkeit, seine Begeisterung und sein Herzblut haben mich total überzeugt.

Ist es nicht schwierig, gerade jetzt, da in München Aufbau-Arbeit betrieben wird, so lange mit der Nationalmannschaft unterwegs und beschäftigt zu sein?

BAUERMANN: Es ist generell keine Ideal-Lösung. Aber in diesem speziellen Falle beim FC Bayern geht das. Es wurde bestens vorgearbeitet, alles ist gut durchorganisiert.

Sie haben sich vor einem Dreivierteljahr in den Räumen des DOSB mit Ihren Bundestrainer-Kollegen Heiner Brand und Uwe Krupp getroffen und unter anderem auch über die Nachwuchssituation im Handball, Eishockey und Basketball gesprochen. Sie alle drei mahnten zu mehr Engagement im Jugendbereich, wie auch in der Talentförderung. Die Resonanz auf diese Dreierrunde war beträchtlich. Auch in der jeweiligen Szene der drei Ballsportarten. Hat sich etwas getan aus Ihrer Sicht?

BAUERMANN:Ja, das muss ich sagen. Im Basketball sind wir seitdem schon ein Stück weiter in Deutschland und ich schließe nicht aus, dass auch dieses Treffen seinerzeit mitgeholfen hat, die entscheidenden Leute für diese Themen noch mehr zu sensibilisieren. Ich bin froh über die jüngsten Veränderungen. Wenn man Kritik übt, muss man umgekehrt auch erwähnen, dass jetzt zum Beispiel mehr investiert wird jetzt in die Nachwuchsstrukturen der Vereine und dass in der Beko Basketball Bundesliga nunmehr fünf von zwölf Spielern pro Team Deutsche sein müssen. Im letzten Jahr gab es einen Anteil deutscher Spieler von knapp 20, eher 15 Prozent. Das war natürlich nicht gut für unseren Sport. Die Anreize der jungen Spieler, die hohe Trainingsumfänge und Entbehrungen auf sich nehmen, um international spitze zu sein, werden dadurch entkräftet. Die Chance ist sehr gering – und darum setzen junge Spieler eben meist andere Prioritäten, studieren lieber oder konzentrieren sich auf die Ausbildung. Nun hat sich die Anzahl also erhöht – und diese Spieler sind nicht nur Staffage oder Poster-Boys. Das ist gut so. Ab 2012 wird es dann laut Beschluss den sechsten deutschen Spieler geben. Das sind richtige Impulse, Zeichen in die richtige Richtung.

Es gibt jedoch schon einige Länder, bei denen zwei einheimische Spieler in der Starting Five Pflicht sind.

BAUERMANN:Ja, in Russland, Israel und der Türkei. In Spanien müssen auf dem Zwölfer-Spielberichtsbogen sechs Spanier stehen. Man muss aber bedenken: In solchen Ländern stellt sich die Situation komplett anders dar, da haben Präsidenten, Mäzene und Sponsoren den unbedingten Willen, die eigenen Jungs auf dem Feld zu haben. Ich war ja Coach in Griechenland, dort wollen sie Griechen spielen sehen – die müssen aufs Feld. Das hat auch was mit Nationalstolz zu tun. Das ist ja bei und mit uns Deutschen nicht so ausgeprägt ...

Sie hatten ja sogar mittelfristig eine noch deutlichere Verschiebung zugunsten deutscher Spieler pro Kader – acht zu vier – gefordert, sind aber nun erst einmal zufrieden?

BAUERMANN: Sagen wir so: Die Chance, es noch besser zu machen, bleibt bestehen. Womöglich ungenutzt. Dennoch: Ich denke, dass ein Kompromiss getroffen wurde, der als Teilerfolg beschrieben werden kann und der unsere Sportart weiterbringt. Zumal: Auch an den einzelnen Standorten wird ja mitunter viel getan. Es ist anerkennenswert, was beispielsweise in Ludwigsburg, Oldenburg oder auch in Ulm mit der Basketball-Akademie geschieht.

Die Ulmer haben für ihre Talentförderung gerade das „Grüne Band“ gewonnen.

BAUERMANN: Sehen Sie, das sind gute Signale und es ist auch wichtig, dass eine entsprechende Würdigung solcher Bemühungen stattfindet. Ich denke dabei an den Nachahmungseffekt. Wir brauchen engagierte Leute, gute Konzepte und ein Bekenntnis zur Nachwuchsarbeit. Ich wiederhole es aber auch gern noch einmal: Gerade an den Standorten der Profiklubs müssen die Weichen gestellt werden. Die Klubs müssen sich in die Pflicht nehmen. Das Sichten, Finden und Entwickeln von Talenten ist elementar. Ich bin ganz sicher, dass es für uns alle nicht weitergeht, wenn der Profisport hier nicht in die Verantwortung geht. Der Profisport hat die personellen und strukturellen Möglichkeiten, Jugendarbeit auf hohem Niveau auszuüben. Diese Chance sollte nicht ungenützt bleiben.

Wie sinnvoll und realitätsnah sind zudem Sport-Internate?

BAUERMANN:Wir müssen es schaffen, in Deutschland schulische und sportliche Ausbildung miteinander zu vereinen, das sind hier aber ja oft noch konkurrierende Systeme. Man tut sich ja schon schwer, Kinder für Stadtmeisterschaften vom Unterricht freizustellen. Ganz abgesehen von länger dauernden Nationalmannschaftslehrgängen. Aber das muss man verknüpfen. Das ist hier oft sehr schwer. Gelöst werden kann dieses Problem nur über Systeme wie Internatsstrukturen oder eben die Zusammenarbeit mit den Eliteschulen des Sports. Das sind die Anknüpfungspunkte, aber auch die Probleme im Sinne einer durchdringenden Förderung, wobei das sicher kein Basketball-Phänomen, sondern eine sportartübergreifende Aufgabe ist, die sich uns stellt.

Verändert sich Ihre Perspektive auf diese Themen, wenn Sie aus der Rolle des Bundestrainers in die des Vereinstrainers des FC Bayern schlüpfen?

BAUERMANN: Ganz im Gegenteil. Wenn es uns gelingt, in München einen Basketball-Erstliga-Standort einzurichten, werden wir eine entsprechende Philosophie verfolgen. Das meine ich ja unter anderem auch, wenn ich von der großen Chance spreche, die Spitzenbasketball unter dem Dach des FC Bayern für die Sportart insgesamt darstellt. Erfolg im hier und jetzt schließt Erfolg in Sachen Nachwuchsentwicklung und perspektivisches Arbeiten keineswegs aus.

Herr Bauermann, vielen Dank für das Gespräch, viel Erfolg bei der WM und anschließend mit dem Projekt FC Bayern.

Zur Person: Seit 2003 ist Dirk Bauermann Basketball-Nationaltrainer der Männer. Als Spieler in Krefeld aktiv, schlug er verletzungsbedingt früh die Trainerlaufbahn ein. Nach Ausbildungsjahren in den USA wurde er 1989 Headcoach in Leverkusen und dort bis 1998 siebenmal Meister und viermal Pokalsieger. 1994 war er zudem Interims-Nationalcoach. Ab 1998 übernahm er Jobs in Belgien, Griechenland, Hagen und Bamberg. Dort holte er von 2001 bis 2008 zwei weitere Meistertitel. Als Bundestrainer war er unter anderem 2005 EM-Zweiter und 2007 Fünfter. Nach der diesjährigen WM startet er parallel zu seinem Job als Nationalcoach mit den Basketballern des FC Bayern München in der zweiten Liga zu einer viel beachteten Mission: den sofortigen Aufstieg ins Oberhaus mit anschließender Etablierung zur Topmarke.


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