Der „Energie-Sheriff“ als Jobmotor

Die Kosten für Gas, Strom, Wasser und Abwasser explodieren. Andreas Müller schreibt am Beispiel des Sportvereines TV 08 Dienheim, wie Sportvereine und Verbände damit umgehen können.

Dr. Lukas Antonietti
Dr. Lukas Antoinetti

Die große Verblüffung ist Jens Prüller aus dem Ressort Sportinfrastruktur beim Landessportbund Hessen deutlich anzumerken. Angesichts explodierender Kosten für Strom, Gas, Wasser und Abwasser legte man im LSB-Quartier in Frankfurt am Main bereits vor zwölf Jahren das Programm „Umweltmanagement für Sportanlagen“ auf. Seither wurden reichlich 1.500 Vereine aus dem Hessischen und gut 300 Sportvereine aus Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen oder Bayern vor Ort beraten, wie sie ihre Sportanlagen effizient managen können, um die Energiekosten in möglichst engen Grenzen zu halten.

Vor drei Jahren dann wurde diese Pionierarbeit im organisierten deutschen Sport verfeinert. Gemeinsam mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt werden seither in Wochenlehrgängen sogenannte Umwelt- und Klimaschutzberater ausgebildet, die in ihren Vereinen und Verbänden als Fachleute nach dem Rechten sehen und ihr Wissen im täglichen Sportbetrieb multiplizieren sollen. Etwa 40 dieser Spezialisten haben bisher an solchen Kurse teilgenommen und sind inzwischen - etwa bei Großvereinen im brandenburgischen Eberswalde oder im fränkischen Nürnberg - als Energieberater tätig. Rund 60 weitere sollen nach den drei Kursen im Dezember 2010 und im Laufe des kommenden Jahres hinzukommen.

In Mannschaftsstärke zum LSB-Kurs für Umwelt- und Klimaschutzberater

„In welche Richtung die Dienheimer diese Idee drehten und welche Qualität sie dabei erreicht haben, dafür gibt es momentan bundesweit nichts Vergleichbares. Das ist wirklich beispielhaft“, sagt Jens Prüller. Statt lediglich einen Energiebeauftragten ausbilden zu lassen und dann in dem 820 Mitglieder großen Turnverein (TV) 08 Dienheim wirbeln zu lassen, gingen die Rheinhessen vor den Toren von Mainz weit darüber hinaus starteten eine konzertierte Aktion. Nicht nur, dass sich gleich zwei TV-Mitglieder, der promovierte Geo-Wissenschaftler Lukas Antonietti und der Diplom-Ingenieur Peter Hendler als allererste Umwelt- und Klimaschutzberater nennen durften, der Verein aus der 2.300 Einwohner zählenden Gemeinde am Rheinufer schickte gleich ein halbes Dutzend seiner Leute zu den Lehrgängen und weiß heute mit Peter Hendler sogar einen Mann in seinen Reihen, der nach einem Jahreskurs bei der Industrie- und Handelskammer soweit qualifiziert ist, dass er für Gebäude einen offiziellen Energiepass vergeben darf.

Statt es bei Einzelkämpfern zu belassen, gründete der TV 08 Dienheim ein „Energieteam 21“ mit acht qualifizierten und engagierten Männern. Sie kommen einmal wöchentlich zusammen und arbeiten ihr Pensum ab, das mittlerweile beträchtlich ist. Der Hintergedanke dabei ist, gegen jedwede Vergeudung von Energie vorzugehen und über diesen Einspareffekt in Kooperation mit dem Jobcenter vor Ort zugleich neue Arbeitsplätze zu schaffen. „Da gibt es ein riesiges Potenzial, das wir bis jetzt nur erahnen können. Da könnte von den Sportvereinen eine gewaltige Lawine losgetreten werden“, sagt der TV-Vorsitzende Hartmut Bräumer. Er zeigt sich überzeugt, das Beispiel Dienheim auf viele weitere Sportvereine in unterschiedlichsten Städten und Gemein-den übertragen zu können. Der 55 Jahre alte frühere Banker ist der geistige Vater dieser ganz praktischen Verbindung von geldwerten Einsparungen, die vor allem jenen Vereinssportlern zugute kommen sollen, die diese Reserven aufdecken und dafür arbeiten. Ein erster Erfolg kann sich bereits sehen lassen. Den Männern aus dem Energieteam, zum überwiegenden Teil auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, eröffnen sich auf diesem Wege neue berufliche Perspektiven. Sie sind in Abstimmung und mit Unterstützung des Jobcenters in Sachen Energiemanager inzwischen als Minijobber unterwegs, während für Lukas Antonietti aus dem Ansatz sogar eine Vollzeitstelle wuchs. Im Jahre 2006 wurde zunächst als Umwelt-Beauftragter bei seinem Sportverein angestellt. Inzwischen nennt sich der von Hartmut Bräumer salopp „Energie-Sheriff“ titulierte Spezialist offiziell Energie-Hausmeister. Eine bisher unbekannte Berufsbezeichnung, welche die innovativen Dienheimer sogleich patentrechtlich schützen ließen. „Schade nur“, sagt Lukas Antonietti, „dass wir unser gesamtes Konzept nicht schützen lassen können.“

„Die Heizung lief immer volle Lotte und kein Schwein kümmerte sich darum“

Längst gehört der Vergangenheit an, dass zum Beispiel in der Dienheimer Siliussteinhalle „die Heizung immer volle Lotte lief und sich kein Schwein darum kümmerte“, wie Hartmut Bräumer berichtet. Vor vier Jahren lag der Stromverbrauch bei der kommunalen Sportstätte noch bei rund 30.000 Kilowattstunden, dank des Einsatzes des „Energieteams 21“ wurde er auf knapp 23.000 Kilowattstunden gedrückt. Bei Gas wurden zwischen Oktober 2005 und Oktober 2006 reichlich 245.000 Kubikmeter verbraucht, im folgenden Abrechnungsjahr nur noch etwas mehr als 155.000 Kubikmeter und dann wieder über 200.000, weil die Heizung in den beiden Weihnachtswochen „auf Höchststufe“ lief und in den Winterferien „voll an“ war, wie ein Protokoll zeigt. Allein diese wenigen Zahlen illustrieren, welche Reduzierungen in nur einer einzigen Sporthalle.

Dessen ungeachtet wollte die Verbandsgemeinde Nierstein-Oppenheim mit ihren insgesamt elf Gemeinden und zirka 30.000 Einwohnern das Modell aus dem Sportverein nicht sofort für sich nutzbar machen. Es dauerte bis zum September vorigen Jahres, ehe ein offizieller Vertrag mit dem TV 08 zustande kam. Der Kontrakt sieht vor, dass der Sportverein sprich: das Energieteam fortan die Einsparpotentiale bei sämtlichen sechs Grundschulen samt deren Turnhallen und öffentlicher Einrichtungen wie des Schwimmbades, des Feuerwehr- und Verbandsgemeindehauses aufdeckt und die Kosten für Gas, Strom und Wasser nach Kräften zu reduzieren hilft. Vereinbart ist, dass zwei Fünftel der gesparten Kosten ins Säckel der Verbandsgemeinde zufließt. Ein Fünftel verbleibt dem Sportverein für die Neuanschaffung von Sportgeräten, die restlichen zwei Fünftel sollen dem Energieteam als Personalkosten zugute kommen.

„In Dienheim wird im besten Sinne des Wortes Energie entwickelt“

Bei geschätzten 700.000 Euro, die der Verbandsgemeinde jährlich an Energiekosten entstehen, könnte der TV 08 schnell profitieren. Mit Spannung wird gerade die erste Jahresabrechnung und mithin der erste Scheck erwartet. Nur zu verständlich ist der Wunsch von Bräumer, Antonietti und ihren Mitstreitern, mit ihrem Engagement demnächst ebenfalls die Verwaltung des Kreises Mainz-Bingen zu überzeugen, in deren Hoheitsgebiet zum Beispiel sämtliche weiterführenden Schulen und deren viel genutzte Sportstätten in Dienheim und dem Verbund der umliegenden Gemeinden liegen. Mit Hilfe eines Vertrages den Aktionsradius auf diese Gebäude auszudeh-nen, das ist erklärtermaßen „der nächste Schritt“, wobei die Energie- und Umweltprotagonisten aus dem Vereinssport wissen: Einen Vertragsabschluss mit dem Kreis werden sie umso näher kommen, desto überzeugender die Einsparpolitik gegenüber ihrer Verbandsgemeinde ausfällt.

„Es ist ein großes Verdienst dieses Vereins, dass er sich beim Thema Energie und Umwelt derart viel Kompetenz aneignete und mit so viel Engagement dabei ist. In Dienheim wird im besten Sinne des Wortes Energie entwickelt“, lobt Andreas Klages, stellvertretender Direktor des Geschäftsbereichs Sportentwicklung beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Die Initiative führe „viele sympathische Momente“ zusammen und sei wert, weit über die Grenzen Rheinhessens hinaus bekannt gemacht zu werden und Nachahmer zu finden. „Es gilt, die Erfahrungen dort auszuwerten und dieses Beispiel zu multiplizieren.“ Eine erste Möglichkeit wurde Hartmut Bräumer von Seiten des DOSB bereits Ende vorigen Jahres anlässlich eines Fachtagung eingeräumt, auf der er das Energie-Projekt seines Vereins erläuterte. „Primär gilt es, das Verhalten der Nutzer zu optimieren“ Damit die Potenziale für die Umwelt, die kommunale Verwaltung vor Ort und den Sportverein TV 08 Dienheim möglichst ausgeschöpft werden, haben die „Dienheimer Energetiker“ ein umfassendes Voraussetzungsgefüge geschaffen. „Primär gilt es, das Verhalten der Hallennutzer zu sensibilisieren und zu optimieren“, sagt Hartmut Bräumer.

Zunächst wurde penibel der Ist-Zustand in sämtlichen Räumlichkeiten eruiert, für die der TV vertragsgemäß die Verantwortung übernahm. Danach wurden sämtliche Mitglieder der Abteilungen und alle Übungsleiter darauf hingewiesen, was zu tun und was tunlichst zu lassen sei. „Wir haben Schulungen mit allen Hallennutzern gemacht. Aus manchen Gruppen haben wir später gehört, wie froh sie sind, dass es auf einmal beim Training in der Halle nicht mehr so warm ist und sie endlich gescheit Sport treiben können“, sagt Lukas Antonietti. Was ihm besonders wichtig ist: Die Männer vom Energieteams bleiben am Ball. Auch wirken sie nachhaltig, indem sie den Einsparpotenzialen immer ausgereifter und professioneller nachgehen können. Jeder aus dem Team kennt sein ihm hauptsächlich zugewiesenes Objekt immer besser und kann von Monat zu Monat immer aussagekräftiger belegen, ob und wie sich der Verbrauch in die gewünschte Richtung entwickelt. Dies alles erfolge „immer in Kooperation mit den Sportlern, Schülern und Lehrern“, sagt Deutschlands erster Energie-Hausmeister. Und auch seine „normalen Hausmeisterkollegen“ in den jeweiligen Gebäuden in Dienheim und Umgebung seien – soweit vorhanden – „natürliche Partner“ im Ringen um einen vernünftigen, sparsamen und sinnvollen Einsatz von Energie. „Wir wollen alle gemeinsam am selben Strang ziehen.“

„Raumoptimierung“ gehört selbstverständlich zum Gesamtkonzept

Was nicht heißen soll, dass die Dienheimer beim richtigen Umgang mit Energie ausschließlich auf Überzeugung setzen. Bei Zuwiderhandlungen, Fehlverhalten und Versäumnissen sei ebenso vorgesehen, dass Sündern mal eine „Gelbe oder Rote Karte gezeigt“ wird oder dass sie – vorübergehend - Trainingszeiten in der betreffenden Halle verlieren. Bisher jedoch habe es noch keine derart drakonische Maßnahme gegeben. Zur Disziplinierung gehöre nach dem Verständnis von Hartmut Bräumer ebenso, auf bauliche Mängel zu achten und auf die Relationen zwischen der Zahl der Trainierenden und dem Platzgebot. Die sinnvolle Aufteilung ihrer unterschiedlichen Gruppen auf die vorhandenen Sportstätten fassen die Dienheimer unter dem Begriff „Raumoptimierung“ zusammen. Manchmal muss auch etwas investiert werden, um anschließend langfristig und kontinuierlich sparen zu können. In der Siliussteinhalle etwa ist die etwa 120 Quadratmeter große Bühne, die nur ein paar Mal im Jahr für Veranstaltungen genutzt wird, kurzerhand mit einer Trennwand vom Saal separiert worden. Damit mutierte die Bühne zum kleinen Turnsaal. „Das ist doch für eine kleine Gymnastikgruppe völlig ausreichend“, befinden die Männer des TVEnergieteams. „Sechs oder zehn Sportlerinnen brauchen doch nicht die ganze Halle. Für sie genügt ein kleinerer Raum, und dort brauchen sie weniger Licht.“ “

Andreas Müller

 


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