Der Patient Schulsport ist auf dem Wege der Besserung

 

Der Patient Schulsport, der seit Jahren am Tropf hängt und ums Überleben kämpft, darf auf eine bessere Zukunft hoffen. Silberstreife

am Horizont wurden jedenfalls beim ersten Schulsport-Forum des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) in Münster in Westfalen sichtbar. Der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), Manfred von Richthofen, teilte mit, dass das DSB-Präsidium in seiner Sitzung am 31. Januar dieses Jahres die seit Jahren geforderte Schulsportuntersuchung in Auftrag geben wird. Mit ersten Ergebnissen, der „wirklichen Wahrheit“ – wie es der frühere langjährige Vorsitzende des Deutschen Sportlehrerverbandes, Hansjörg Kofink, formulierte - wird bereits Ende des Jahres 2004 gerechnet. Dann sollen Fakten auf dem Tisch liegen, die deutlich machen, an welchen Schulen die vorgeschriebenen drei wöchentlichen Sportstunden nicht gegeben werden, damit schnellstens Abhilfe geschaffen werden kann. Bei der Untersuchung werden auch viele weitere Details zum Sportunterricht in Schulen abgefragt. Ein rundes Gesamtbild soll die Grundlage für eine Erneuerung des Sportunterrichts bilden, der nach Ansicht des DSB-Präsidenten Manfred von Richthofen die einzige Chance bietet, um alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen und für ein lebenslanges Sporttreiben zu motivieren.

Der DSB-Präsident sagte bei dem Diskussionsforum vor Schulsportexperten und Sportjournalisten, dass die seit vielen Jahren geforderte Schulsportuntersuchung jetzt endlich in Auftrag gegeben werden kann, weil neben dem Deutschen Sportbund die deutschen Bewerberstädte für die Olympischen Sommerspiele 2012 die Hälfte der Kosten in Höhe von 125.000 Euro übernehmen. Die zweite Hälfte trägt der DSB. Nach von Richthofens Einschätzung hat die Bewerbung von fünf Städten für Olympia 2012 für einen Ruck in der Sportlandschaft gesorgt. Schon jetzt sei der Sport der Sieger und mit ihm die gesamte Gesellschaft. Der Chef des deutschen Sportdachverbandes wiederholte in Münster die Forderung, die er bei der NOK-Mitgliederversammlung in Hamburg, bei der die Entscheidung über eine deutsche Bewerbung getroffen wurde, gestellt hatte: „Wer sich um Olympia bewirbt und gleichzeitig den Schulsport vernachlässigt, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Und wer etwas Gutes und Notwendiges für den Schulsport tut, der stellt Weichen für eine optimale Gesamtentwicklung in unserem Lande.“

Der DSB-Präsident war sich mit fast allen in Münster anwesenden Experten einig: Der Schulsport krankt. Es muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Von Richthofen: „Viele Kinder sind übergewichtig, weisen motorische Mängel auf, können beispielsweise nicht mehr rückwärts oder auf einem Bein laufen. Das sind Alarmzeichen, die wir ernst nehmen müssen und die uns zum Handeln herausfordern, bevor es endgültig zu spät ist.“ Hansjörg Kofink prangerte an, dass höchstens zwei wöchentliche Schulsportstunden in Deutschland im Schnitt Realität sind. Dazu komme, dass besonders in den ersten Schuljahren häufig Lehrkräfte im Schulsport eingesetzt würden, die dazu nicht ausgebildet seien. Dies wirke sich negativ in der gesamten Schulzeit und darüber hinaus aus.

„Bewegung in der Schule ist ein Ausgleich für das Sitzen am Nachmittag“, sagte Prof. Dr. Renate Zimmer von der Universität Osnabrück. Früher seien die Kinder nach dem Mittagstisch zum bewegungsreichen Spiel nach draußen geflüchtet. Heute werde oft zur Entspannung der Fernsehapparat eingeschaltet, danach gehe es an den Computer und schließlich müssten auch noch die Hausaufgaben im Sitzen erledigt werden. Die Vorsitzende des Bundeselternrates, Renate Hendricks, forderte, dass Schule mehr sein müsse als die Vermittlung von Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen und Naturwissenschaften: „Sport richtig unterrichtet und gelebt ist wichtiger Bestandteil des Erziehungsprozesses in einer Schule und dient der menschlichen und sozialen Entwicklung jedes Einzelnen und der Gemeinschaft. Sportliche Aktivitäten können zudem zum sozialen Zusammenhalt und zur gegenseitigen Toleranz verschiedener ethnischer und kultureller Minderheiten führen.“ „Die Bewegungswelt unserer Kinder wurde zur Sitzwelt“, konstatierte auch der Karlsruher Wissenschaftler Prof. Dr. Klaus Bös, der weiter feststelle: „Noch nie waren soviel Kinder im Sport organisiert, aber noch nie waren andererseits Kinder motorisch so auffällig.“ Ziel müsse sein, den Körper als Ressource ein Leben lang nutzen zu können. Sozialpädagogische Aspekte beleuchtete Prof. Dr. Dietrich Kurz (Bielefeld), nach dessen Meinung die Probleme des Lebens im Sportunterricht abgebildet sind. Sport leiste Sozialerziehung, hier könnten die Kinder die Regeln und Normen des sozialen Miteinanders lernen. Prof. Kurz: „Zudem ist die Schule auch heute wieder Erziehungsanstalt, weil dies das Elternhaus nicht mehr schafft.“ Der frühere Weltklasseläufer über 400 Meter, Dr. Harald Schmid, stellte in Münster die in Sportvereinen erprobte Suchvorbeugungs-Kampagne „Kinder stark machen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vor, die künftig auch auf Schulen ausgedehnt werden soll.

Ingo Weiss, der Vorsitzende der Deutschen Sportjugend und Beauftragte des Deutschen Sportbundes für den Schulsport, fasste den Grundtenor der Diskussion von Münster so zusammen: „Dem Schulsport geht es schlecht. Wir müssen das Krankheitsbild feststellen, um zu erkennen, ob es Fußpilz oder Masern ist.“ Dem widersprach allerdings heftig Klaus Paul, der Ministerialrat im Hessischen Kultusministerium, dem Bundesland, das seit einigen Wochen mit Ministerin Karin Wolff auch die Präsidentin der Kultusministerkonferenz stellt. Der Schulsport – so Paul – werde nur schlecht geredet. Sport sei immer noch das erklärte Lieblingsfach der Kinder und habe nach Deutsch und Mathematik den größten Raum auf der Stundentafel. Schlechte Zustände an einigen Orten dürften nicht auf die Allgemeinheit übertragen werden. Zudem gäbe es eine Reihe von Initiativen zum Schulsport. Wer hat Recht? Die Schulsportstudie soll – zumindest in Teilbereichen – die Erleuchtung bringen.