Wir haben mit dem DOSB-Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester darüber gesprochen, wie er den Tag damals erlebt hat, wie der DOSB reagiert hat, wie ukrainische Sportler*innen in Deutschland unterstützt werden und wie sich der DOSB in der aktuellen Diskussion über die Wiederzulassung von russischen und belarussischen Athlet*innen verhält.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat sich vergangenen Freitag zum ersten Mal gejährt. Wie haben Sie den 24. Februar 2022 erlebt?
Ich war sprachlos und konnte es nicht fassen. Auch wenn man rückblickend sicherlich zu einer anderen Bewertung kommt, war es für mich an diesem Tag unbegreiflich, dass es mitten in Europa zu so einem eklatanten Bruch des Völkerrechts kommen kann.
An diesem Tag hatte ich einen Termin mit Donata Hopfen im Berliner Büro und ich weiß noch genau, wie schockiert wir beide waren. Wir haben dann sofort vereinbart, dass wir gemeinsam agieren wollen.
Wie hat der DOSB reagiert?
Am Tag nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben wir zusammen mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) den Überfall auf das Schärfste verurteilt und Russland aufgefordert, die kriegerischen Handlungen einzustellen. Unseren Mitgliedsorganisationen hatten wir empfohlen, die Teilnahme an Wettkämpfen und Trainingsmaßnahmen in Russland und den Kriegsgebieten auszusetzen und haben Unterstützung bei der Ausreise von deutschen Athlet*innen aus Russland geleistet. Wenige Tage später haben wir dann, auch nach internationaler Abstimmung mit befreundeten Nationalen Olympischen Komitees (NOKs), gefordert, russische und belarussische Athlet*innen und Funktionär*innen von Wettkämpfen und Funktionen bis auf Weiteres auszuschließen.
Gleichzeitig haben wir unbürokratisch und unmittelbar Hilfe organisiert. Wir haben gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe einen Hilfsfonds ins Leben gerufen und rund 300.000 Euro an Spenden gesammelt.
Wie wurden die Spenden eingesetzt?
Wir haben durch diese Spenden mehr als 70 Projekte von Vereinen und Verbänden unterstützen, die ukrainische Sportler*innen in Deutschland aufgenommen haben, im Breitensport und im Leistungssport. Unter anderem konnten so auch ukrainische Turner*innen, Sportgymnast*innen, Radsportler*innen, Handballer*innen, Boxer*innen oder auch Sportakrobat*innen ihr Training an Bundesstützpunkten und Olympiastützpunkten fortsetzen.
Hinzu kommt, dass auch das Bundesprogramm Integration durch Sport noch einmal zusätzliche Mittel des Bundes erhalten hat, um in dieser Situation zu helfen, mit dem Netzwerk an Stützpunktvereinen und dem Know-How, das hier vorhanden ist.
Es war und ist für mich äußerst beeindruckend, wie groß die Hilfsbereitschaft im deutschen Sport in solchen Situationen ist und welche Kraft der Sport entwickeln kann.
Das IOC und internationale Verbände suchen mittlerweile nach Wegen, russische und belarussische Athlet*innen wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu lassen. Wie ist die Haltung des DOSB dazu?
Aus unserer Sicht ist jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, Athlet*innen mit russischem oder belarussischem Pass wieder zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen. Die kriegerischen Handlungen haben sich in den vergangenen Wochen weiter verschärft, insbesondere auch die Angriffe auf die Zivilbevölkerung.
Allerdings wird die Diskussion nun international geführt. Das Wesen des Sports ist es, Brücken zu bauen, die Mission der Olympischen Bewegung ist es, Menschen im friedlichen Wettstreit zusammenzubringen. Hinzu kommt, dass in anderen Teilen der Welt die derzeitige Lage anders bewertet wird. In einem sogenannten Consultation Call des IOC am 19. Januar hat sich eine Mehrheit der Nationalen Olympischen Komitees dafür ausgesprochen, eine Wiederzulassung zu prüfen. Athlet*innen sollen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion, sexueller Orientierung oder Herkunft, an Wettkämpfen teilnehmen können und nicht für die Handlungen ihrer Regierungen bestraft werden.
In diesem Call haben wir unsere Haltung klar zum Ausdruck gebracht und gesagt, dass wir uns eine Wiederzulassung – sollte sie denn beschlossen werden – nur unter ganz strikten Voraussetzungen vorstellen können.
Welche wären das?
Es müsste beispielsweise eine echte Neutralität gewährleistet sein, d.h. es dürften wirklich keine Flaggen, nationale Symbole oder Farben getragen und Hymnen gespielt werden. Hier bleibt abzuwarten, wie so etwas gewährleistet werden könnte. Szenen wie in PyeongChang, Tokio oder Peking dürfen in Paris nicht vorkommen. Zudem müsste gewährleistet sein, dass keine Athlet*innen aus Russland oder Belarus starten, die den Krieg aktiv unterstützen. Dann gibt es noch die Frage der Doping-Tests: alle Athlet*innen, die starten dürfen, müssen ausreichend getestet sein. Und unsere Athlet*innen müssen wissen, wie die Qualifikationswege zu den Olympischen Spielen in Paris sind und sie müssen sich darauf verlassen können, dass diese auch so bleiben.
Und was am wichtigsten ist: die Unterstützung der ukrainischen Athlet*innen muss ausgebaut werden, damit sie sich auf Wettkämpfe und auf die Olympischen Spiele angemessen vorbereiten können. In Deutschland trainieren beispielsweise aktuell um die 40 ukrainische Athlet*innen an Bundes- und Olympiastützpunkten. Deren Unterstützung werden wir fortsetzen und ich bin dankbar, dass uns das BMI nun signalisiert hat, diese Aktivitäten künftig unbürokratisch mit Bundesmitteln zu fördern.
Insgesamt gibt es noch sehr viele offene Fragen, die es seitens des IOC und der internationalen Verbände zu klären gilt.
Was sagen Sie zu den Aussagen der zwei UN-Sonderberichterstatterinnen, die das IOC dazu aufrufen, russische und belarussische Athlet*innen nicht weiter zu diskriminieren?
Man muss sich mit diesen Argumenten auseinandersetzen. Wir befinden uns in einem Spannungsfeld, in einem Dilemma, das sich nicht auflösen lässt. Auf der einen Seite stehen individualisierte Menschenrechte, die universell sind und für jeden einzelnen Menschen gelten. Auf der anderen Seite stehen politische Entscheidungen und eine moralische Überzeugung, den russischen Staat als Aggressor vollständig auf allen Feldern zu isolieren. Und dazwischen steht der Sport, der jedem einzelnen Athleten und jeder Athletin gerecht werden möchte, gleichzeitig jedoch nicht isoliert und losgelöst von der Realität handeln kann.
Wie geht der DOSB mit diesem Spannungsfeld um?
Gerade weil die Situation derart komplex ist, haben wir uns in den vergangenen Wochen intensiv damit beschäftigt. Wir haben uns von Expert*innen beraten lassen, aus der Politik, von Völkerrechtler*innen und Menschenrechtsexpert*innen. Und wir werden diese Beratungen, diesen Austausch in den kommenden Wochen auch mit unseren Mitgliedsorganisationen, mit Athlet*innen und auch Wirtschaftspartnern führen. Wir brauchen ein umfassendes Meinungsbild des deutschen Sports um eine Position des DOSB formulieren zu können.
Hinter der sich dann alle vereinigen können?
Das wäre zwar schön, aber das wird bei diesem Thema kaum möglich sein. So vielfältig wie die Meinungen in der Gesellschaft sind, sind sie auch im Sport. Wir sind nicht so naiv zu glauben, eine Position finden zu können, die alle handelnden Personen im organisierten Sport vereint. Unser Anspruch ist es, eine Position zu formulieren, die mit unseren Werten, mit den Werten des Sports vereinbar ist und die Bestand haben kann.
Es wird in den Medien kolportiert, dass bei der Erarbeitung der Position der Prozess zu einer möglichen Olympiabewerbung eine Rolle spielt…
Das tut es nicht, das will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Fragen von Krieg und Frieden, von Leben und Tod dürfen nie Gegenstand taktischer Erwägungen sein und sind es auch nicht.
(Quelle: DOSB)