DOSB-Autor Andreas Müller stellte fünf Fragen an Eckhard Priller, Leiter der Projektgruppe Zivil-Engagement beim Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin, zur sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung des Sports und von Athleten.
DOSB-PRESSE: Wie bewerten Sie die Hilfeleistungen des Sports für die Opfer der Natur- und Reaktor-Katastrophe in Japan?
ECKHARD PRILLER: Man kann schon sagen, dass der deutsche Sport in Bezug auf Hilfeleistungen in Katastrophenfällen dabei ein neues Niveau erreicht hat. Es wurde nicht nur schnell reagiert, sondern es gab mit dem Spendenaufruf des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und die Bereitstellung von 100.000 Euro durch die DOSB-Stiftung zugleich so etwas wie eine Initialzündung. Meines Erachtens hat dieses positive Beispiel des Dachverbandes einen Domino-Effekt ausgelöst. Viele Verbände, Vereine oder Athleten wollen in solchen Situationen gern spontan Hilfe leisten, doch manchmal fehlt der entscheidende Impuls dafür, wie es funktionieren könnte. Mit dem Aufruf des Dachverbandes ging so etwas wie ein Ruck durch die Sportlandschaft, so dass eine ganze Reihe von Sportvereinigungen und von Spitzensportlern bis hin zur Fußball-Bundesliga sofort Spenden- oder Benefizaktionen gestartet haben und beträchtliche Summen bereitstellten.
DOSB-PRESSE: Sie vertreten die These, dass in Sachen Spendenbereitschaft der Sport und seine Protagonisten die Prominenz aus Kultur und Show-Business als Lokomotive ablösen könnten. Woran machen Sie das fest?“
PRILLER: Bisher wurden die Bürger in Deutschland in einem hohen Maße über so genannten Fernseh-Galas zum Spenden animiert. Dieses Alleinstellungsmerkmal wird es meines Erachtens künftig nicht mehr geben, denn in der Breite kann der Sport die Menschen mindestens ebenso gut und sogar noch besser erreichen und zum Spenden für den guten Zweck bewegen. Dem Sport kommt in unserer heutigen Gesellschaft ein hoher Stellenwert in unterschiedlicher Hinsicht zu. Er ist nicht nur ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, sondern er erfüllt wichtige Funktionen im sozialen Gefüge und im gesellschaftlichen Zusammenhalt. Allein der Fußball hat dabei ein gewaltiges Potential. Eine kleine Vorstellung davon gab das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft am vergangenen Wochenende gegen Uruguay, bei dem 4,4 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke erlöst wurden. Für mich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis zum Beispiel auch bei der Übertragung von Fußballspielen auf dem Bildschirm unten Laufbänder mit den Namen von Spendern eingeblendet werden, wie wir das bisher von den Spenden-Galas kennen. Ich bin sicher, dass der Sport bald neue und eigene Fundraising-Strategien entwickeln wird. Ein weiterer großer Vorteil neben der Ausstrahlung ist die besondere Rückkopplung zu den Fans. Zu diesem Personenkreis, bei dem es sich in der Regel um jüngere Menschen handelt, bestehen sehr enge Verbindungen, über die das gesellschaftliche Engagement des Sports und von Athleten transportiert werden können. Dieses Zusammenspiel kann noch verstärkt werden, indem relativ junge Sportler, zum Beispiel die Fußball-Profis Manuel Neuer und Per Mertesacker, mit eigene Stiftungen Zeichen setzen und beim Publikum zu Identifikationsfiguren weit über den engeren sportlichen Bereich hinaus werden.
DOSB-PRESSE: Sind diese gesellschaftspolitischen Phänomene schon Teil Ihrer Forschung?
PRILLER: Diese Facette rutscht leider noch etwas weg und wird bisher nur am Rande wahrgenommen. Bisher geht es in der wissenschaftlichen Aufarbeitung über die bruchstückhafte Wahrnehmung dieses Themas leider nicht hinaus. Es fehlt bislang die Systematik, so dass man noch nicht genau einschätzen kann, über welches Gesamt-Potential der Sport verfügt. Deswegen fehlt auch eine Gesamtübersicht darüber, was aus dem Sport und über den Sport an Gesamtspenden erlöst wird. Die Wechselwirkungen zwischen Sport, Publikum und Gesellschaft wären nicht nur hinsichtlich von Spenden ein sehr interessantes Forschungsfeld. Wenn Sportler sich zunehmend wie andere Prominente für Probleme in der Gesellschaft im Klima- und Umweltschutz, in sozialen Bereichen und auch innerhalb des Sports wie etwa bei der Förderung des Kinder- und Jugendsports engagieren, dann spiegelt sich darin, dass sie zunehmend gesellschaftlicher Verantwortung wahrnehmen.
DOSB-PRESSE: Erfolgreiche Sportler möchten damit der Gesellschaft etwas zurückgeben?
PRILLER: Natürlich. Vor allem scheint das so zu sein, wenn sie aufgrund der eigenen wirtschaftlichen Situation in der Lage dazu sind. Insofern ist es nicht zufällig, dass die meisten Beispiele für Stiftungen, die von Sportlern ins Leben gerufen wurden, die kommerziellen Sportarten betreffen. Die Liste reicht vom früheren und inzwischen verstorbenen Profi Boxer Max-Schmeling über die ehemalige Tennis-Spielerin Steffi Graf bis hin zu „Fußball-Kaiser“ Franz Beckenbauer. Über diese prominenten Namen wird dem Engagement in der Öffentlichkeit eine gewisse Aufmerksamkeit verschafft, leider werden die inhaltlichen Ansätze bisher eher weniger wahrgenommen. Auch beim Thema Sport und Stiftungen ist die Forschung bisher eher schmal aufgestellt.
DOSB-PRESSE: Es geht also um mehr, als mit Hilfe des Sports erfolgreiche Spendenaufrufe zu starten?
PRILLER: Letztendlich geht es um die Vermittlung und Multiplikation von Werten. Auch der Aufruf zur materiellen Hilfe für die Bevölkerung im japanischen Katastrophengebiet durch den DOSB, seine Mitgliedsverbände oder einzelne Athleten zielt letzten Endes auf ideelle Größen wie Solidarität, Mitgefühl und Anteilnahme. Insofern wäre es eine sehr verkürzte Sicht, das gesellschaftliche Engagement des Sports auf das Spendenverhalten zu verengen und zu reduzieren. Schon lange bekannt ist der Vorbildcharakter des Sports im Gesundheitsverhalten und als wichtige Größe im sozialen Gefüge der Gesellschaft. Neuerdings kommen immer mehr wichtige Sphären hinzu, in denen der Sport bei gesellschaftspolitischen Themen engagiert Flagge zeigt. Zum Beispiel im Rahmen von Aktionen gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit oder für Toleranz und Fairplay. Um Werte geht es derzeit auch in einigen Werbespots zur Einstimmung auf die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Deutschland. Wenn man sieht, aus welchen Ländern unsere Nationalspielerinnen bzw. deren Familien ursprünglich kommen, dann illustriert allein dies auf wunderbare Weise die Internationalität des Sports und seine Potenzen zur Völkerverständigung.“