Die kleine Rundreise zu einem Dutzend Vereinen, denen Stars wie Gunda Niemann-Stirnemann, Ulrike Nasse-Meyfahrt , Michael Groß, Jens Weißflog, Heiner Brand, Eberhard Gienger oder die deutsche Rekord-Olympiasiegerin Birgit Fischer entwuchsen, lieferte ein eindrucksvolles Mosaik vom bundesdeutschen Sportbetrieb anno 2009.
Unverstellt, unverfälscht, lebensnah und echt präsentierten sich zwischen Erzgebirge, Bergischem Land und Brandenburger Seen handelnde Personen, Strukturen und Umstände. Was allenthalben auffiel, waren die wunderbaren, sympathischen Menschen, ohne deren hohes ehrenamtliches Engagement der Sportbetrieb unmöglich funktionieren würde und aufrecht zu erhalten wäre. Sämtliche „Hauptdarsteller“ dieser zwölf Teile hätten es verdient, mit eigenen Porträts geehrt und bei nächster Gelegenheit in der „Woche des Ehrenamts“ gewürdigt zu werden.
Das gilt nicht nur für gewählte Vorstandsmitglieder, die zu Wort kamen, sondern genauso für Trainer und Übungsleiter, Lehrer, Freunde des Sports in den kommunalen Verwaltungen und in der privaten Wirtschaft vor Ort bis hin zu den Familienangehörigen der kleinen und großen Sportler. Dieter Giebels, der langjährige sportliche Leiter beim Yachtclub Berlin-Grünau, prägte für dieses Heer von Idealisten und unscheinbaren Helden ein anschauliches Bild:„Zu einem Optimisten gehören mindestens sechs Leute - der Sportler selbst, Mama und Papa, Oma und Opa und der Übungsleiter.“
„Natürliche Auslese“ beginnt beim Chauffeur
Nicht nur bei den kleinen Seglern im Anfänger-Boot hängen oft genug mögliche Karrieren davon ab, ob Eltern oder Großeltern bereit und in der Lage sind, den Filius regelmäßig in die Turn- oder Eishalle, auf den Sportplatz oder zum Bootssteg zu chauffieren. Diese Bereitschaft ist oft genug das erste und mitunter ein unüberwindbares Hindernis für den Nachwuchs. Davon können vor allem Sportarten ein Lied singen, die nicht an jeder Ecke betrieben werden können und womöglich noch mit hohem Materialseinsatz verbunden sind. Logistischer und finanzieller Aufwand können getrost als die wahrscheinlich wichtigsten Größen im Prozess der „natürlichen Auslese“ beschrieben werden, noch ehe sportliche Karrieren überhaupt einsetzen können. Natürlich sollten die Vereine der Stars keineswegs nur unter der leistungssportlichen Lupe betrachtet werden. Dazu handelte es sich um viel zu verschiedenartige Gebilde. Andernfalls lag es bei den „Stichproben“ durchaus nahe zu erkunden, ob da, wo einst Olympiasieger ihre ersten Schritte machten, vielleicht fernerhin Weltklasse-Athleten heranreifen.
Bevor Eltern und Großeltern als Chauffeure oder Tanten und Onkel als „Ausrüster“ gefragt sind, muss sichergestellt sein, dass die Knirpse früh mit dem Sport in seinen vielfältigen Spielarten in Kontakt geraten können. Gerade hier scheint man sich an der Basis zunehmend schwer zu tun. „Wen wir die Kinder in der ersten Klasse nicht für uns gewonnen haben, dann sind sie für uns praktisch schon verloren“, skizziert Angela Schindhelm die Ausgangssituation beim Rungen um Nachwuchskader. Die Eisschnellläufer vom Eissport-Club Erfurt (ESC) sind dabei dank städtischer Bildungspolitik noch in einer komfortablen Situation.
Freizeitpädagogen-Modell als Talente-Jungbrunnen
„Der ESC müsste uns auf Knien danken“, sagt die Frau, die beim städtischen Amt für Bildung als Freizeitpädagogin angestellt ist und auf diese Weise die ersten Eiskontakte zu den Jüngsten bekommt. Von etwa 15 Grundschulen und ebenso vielen Kindergärten der Stadt wird ihr unentgeltliches Eislaufangebot regelmäßig genutzt. Für den ambitionierten Verein ein Jungbrunnen und ein geradezu vorbildliches Modell, mit dem in vielen Städten und Gemeinden Mädchen und Jungen an olympische Sportarten herangeführt werden können. Beim Chemnitzer Eislauf-Club (CEC) holt jeden Morgen ein Kleinbus die Kita-Kinder aus ganz Chemnitz, aus Burgstädt oder Limbach-Oberfrohna gegen einen kleinen Obolus ab, bringt sie in die Eishalle und anschließend wieder in die Kindergärten.
Insgesamt jedoch scheint für die Kleinsten bislang ein durchdachtes, durch strukturiertes System zu fehlen, um sie an den Sport, an bestimmte Disziplinen und an entsprechende Vereine heranzuführen, welche die Neulinge dann mit kindlichem Spaß und Freude an der Sache fördern und entwickeln, bis die Besten von ihnen reif sind für die „Eliteschulen des Sports“. Für diese Eliteschulen-Vorphase gibt es derzeit keine allgemein gültigen Lösungen. Ob und wie sich Talente entwickeln, bleibt Stückwerk. Oft genug ist es das Ergebnis reinen Zufalls, den es in Gestalt von Erfurter Freizeitpädagogen oder anderer findiger Einzelinitiativen in ambitionierten Vereinen glücklicherweise immer wieder gibt. In diesem Zusammenhang wirken die Vereine wie ein unsichtbarer Libero, der mit hohem Einsatz, leidenschaftlich und trickreich Schlimmeres verhindert. Die aktuellen Strukturen des Leistungsports setzen zu spät ein. Manch besorgter Spitzenathlet oder Funktionäre fragt sich daher schon besorgt, wie und auf welch organisierten Wegen die künftigen Helden gerade in den kleinen olympischen Sportarten in das Fördersystem finden sollen. Und die Vereine rufen nach Verbündeten. Früher sei der Vereinssport im Osten von der obersten Sportführung geradezu gegängelt worden, indem sozusagen schon den Kleinsten vorgeschrieben wurde, wie sie das Paddel zu halten haben, sagt etwa Birgit Fischers erster Trainer Harald Brosig im Rückblick. Jetzt sei es genau anders herum. Man sei sich „komplett selbst überlassen“.
Wider die Vereinsmeierei, Einigkeit macht stark
So elementar es für die Zukunft des deutschen Leistungssports ist, die Kleinsten zu begeistern sowie Talente möglichst früh zu erkennen und gezielt zu fördern, so existentiell ist es, an das Basis über genügend gut ausgebildetes Personal zu verfügen. Die Situation bei Trainern oder Übungsleitern ist eine der „Schlüsselstellen“ für den deutschen Sport, das steht außer Frage. Einzelne Vereine sind kaum in der Lage, Trainer fest anzustellen. Ss sei denn über spezielle, vorbildliche und zur Nachahmung empfohlene Organisationsstrukturen. Bei Eberhard Giengers TSV Künzelsau und den benachbarten Nachfahren von Turnvater Jahn kam man schon vor 30 Jahren zu der Einsicht, dass Turnen nach klassischem Muster mit Vereinsmeierei und Kirchturmspolitik keine Zukunft haben wird. Folgerichtig starteten keine Vereinsmannschaften mehr. Im Jahr 1978 trat erstmals eine Riege der Kunstturnvereinigung Hohenlohe (KTV) vor die Kampfrichter. Nur innerhalb dieses Verbundes ist die Finanzierung eines Trainers möglich, der sich vorrangig um den Nachwuchs kümmert
„Nur in der Gemeinschaft können wir überleben“, charakterisiert der TSV-Vorsitzende Erwin Bergmann ein Grundverständnis, wie es ebenfalls der Gummersbacher Handball-Akademie zugrunde liegt. Die Idee für eine solche Akademie geht bis auf das Jahr 2001 zurück. Neuanfang in neuen Strukturen lautete die Devise des Kooperationsgeflechts mit mehreren Vereinen und Schulen in Gummersbach und den Nachbargemeinden. Der Kern der dank eines Großsponsors möglichen Talentförderung betrifft jene rund 40 Teenager, die von früh bis spät einschließlich Unterkunft, Schule, Verpflegung, Hausaufgabenhilfe und dem gemeinsamen Training rundum versorgt und betreut werden. Vier Arbeitsplätze sind auf diese Weise entstanden, darunter die Stellen von zwei Trainern. „Hier handelt es sich einmal nicht um das klassische Modell, dass eine Profiabteilung den Nachwuchs fördert“, erklärt Akademie-Mitbegründer Peter Kammer, dass es in Gummersbach anders funktioniert als üblicherweise im Profisport mit seinen Farm- und Nachwuchsteams.
Das Geheimnis junger Übungsleiter-Riegen
Wenn fest angestelltes Personal nur die große Ausnahme ist, dann rückt die ehrenamtliche Betreuung oder jene gegen eine winzige Aufwandsentschädigung um so mehr in den Fokus. Wie man gleich eine ganze Schar junger motivierter Übungsleiter gut ausbildet und dauerhaft bindet, dafür liefert der TuS Wesseling am Rhein ein Paradebeispiel wie der vom Verein initiierte Leichtathletik-Cup als regelmäßiger Vergleichswettkampf der Grundschüler am Ort. Unter den knapp zehn TuS-Übungsleitern stellen Teenager und Twens sehr zur Freude von Leichtathletik-Abteilungsleiter Reiner Brackmann eine überwältigende Mehrheit. Dem „Jugendstil“ liegt ein jahrelanges, zähes Ringen zugrunde, um die Quelle nicht versiegen zu lassen. Einen gehörigen Anteil daran hat zum Beispiel der frühere Lehrer und jahrelanger Trainer Günter Nett, der sich schon im Unterricht früh seine Pappenheimer ausguckte, sie fürs Laufen, Werfen und Springen und später natürlich auch für die Betreuung der jüngeren Vereinsmitglieder interessierte. Chancen, die Lehrern überall gegeben sind.
Regelrecht dramatisch scheint die Lage in den neuen Bundesländern, wo gerade die Jungen ihrer Heimat immer wieder den Rücken kehren und trotz hoher Arbeitslosenquoten seltsamer Weise für das „Mittelalter“ kaum Brücken gebaut werden, um sich im Sportverein nützlich zu machen - pädagogisches Geschick vorausgesetzt. Ergo setzt man vermehrt auf die Pensionäre, die viel Zeit haben. Bei den Skispringern in Pöhla bei Schwarzenberg und den Kanuten in Brandenburg an der Havel ist es geradezu ein Glücksfall, dass mit dem früheren Weißflog-Trainer Herbert Neudert und Ex-Kanu-Coach Harald Brosig in zwei technisch so anspruchsvollen Sportarten zwei absolute Spezialisten reanimiert wurden - die ihr Wissen hoffentlich an die nächste Generation weiterreichen können.
Das „Sport betonte Rathaus“ als Unterpfand
Ehrenamt ist jedoch weit mehr, als junge Sportler zu betreuen, wie das Beispiel des früheren Michael-Groß-Vereins Erster Offenbacher Schwimm-Club (EOSC) zeigt. Seit Jahren führt der Verein in dem Bad, das im Winter dank einer riesigen „Haube“, zum Hallenbad mutiert, mit eigenen Kräften Regie. Eine kommunalpolitische „Notlösung“, die der Sportstätte eine Perspektive sichert. Sport als eminente Größe beiderseitigen Vorteils von Kommune und Verein und vor allem zugunsten von Kindern und Jugendlichen, das lässt sich auch beim FC Dossenheim vor den Toren Heidelbergs trefflich beobachten. Dort, wo Rekord-Bundesliga-fußballer Karl-Heinz Körbel einst groß wurde, zeigt sich das „Sport betonte Rathaus“ seit Jahr und Tag in Bestform. „Wir legen unseren Schwerpunkt schon immer auf die Jugendarbeit. Und es sind nun mal unsere Vereine, die die Kinder von der Straße holen“, skizziert Thomas Schiller, in Dossenheim für die Sportanlagen zuständig, die große gesellschaftspolitische Strategie im Kleinen. So kommt es, dass schon frühmorgens, wenn die Kita-Kids und Erstklässler beginnen, in sämtliche Sporthallen am Ort reges Leben einzieht und der Bewegungsbetrieb auf sämtlichen Anlagen den gesamten Tag ausfüllt.
In Brühl wurde dem Tennisclub, in dem Steffi Graf nie Mitglied war, aber auf dessen Anlage vor den French Open stets mietfrei trainierte, in Kooperation mit der Kommune eine neue Anlage ermöglicht. Investiert wurden hier insgesamt rund 1,6 Millionen Euro, einschließlich der Kosten für den Bau einer Zufahrtstraße. Von solchen Projekten kann der Berliner Hockey-Club (BHC) nur träumen, der nur zu gern mehr Trainingsmöglichkeiten für seine zahlreichen Nachwuchsmannschaften fände. Mit Behörden hat der Heimatverein der „Keller-Dynastie“, eher ernüchternde Erfahrungen gemacht. Bei der Vergabe der Trainingszeiten legt das zuständige Amt nämlich traditionell nicht die Zahl der aktiven Hockeyspieler eines Vereins zugrunde, sondern die Gesamtzahl seiner Mitglieder. Ein Unding, befindet man beim BHC, wo man bei seinen knapp 1.000 Mitgliedern kaum Passive in seinen Reihen hat.
Eine Serie von Andreas Müller