Deutsches Sportabzeichen: Zeichen der Fitness

Vom Kaiserreich zur digitalen Gesellschaft: Das Deutsche Sportabzeichen hat in

den vergangenen 100 Jahren viele politische, soziale und sportliche Veränderungen durchlaufen – und überlebt.

 

Das Sportabzeichen liegt trotz seiner 100 Jahre wieder im Trend. Foto: DOSB
Das Sportabzeichen liegt trotz seiner 100 Jahre wieder im Trend. Foto: DOSB

Wer in den 80er-Jahren als junger männlicher Erwachsener noch nichts vom Deutschen Sportabzeichen gehört hatte, dürfte spätestens bei der Bundeswehr damit in Kontakt gekommen sein: einmal antreten zum Laufen, Schwimmen, Werfen, Springen, ausgerichtet an der Leistungstabelle des damaligen Deutschen Sportbundes (DSB) – fertig war die Sportstunde in Olivgrün – oder besser Dunkelblau, der Farbe der BW-Trainingsanzüge.

Die Fitnessprüfung als Gruppenerlebnis? Was heute eher ungewohnt erscheint, sei früher kein Einzelfall gewesen, sagt Bernd Wedemeyer-Kolwe vom Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte in Hannover: „Bis in die 80er-Jahre wurde das Sportabzeichen in geschlossenen gesellschaftlichen Systemen abgelegt, in den Vereinen, in der Schule, bei der Feuerwehr, der Polizei, der Bundeswehr. Das bot Kontinuität, für die Vereine und für die Akteure. Daher hat es sich erhalten.“

Kurz nach dem Krieg, noch zwischen den Trümmern, erlebte das Abzeichen die erste Konjunktur. „Die Menschen wollten raus, sich wieder bewegen und das Elend vergessen“, sagt Wedemeyer, „die Sportaktivitäten aus der Vorkriegszeit wurden einfach fortgeführt. Dazu gehörte auch die Sportabzeichen-Prüfung im Verein“. Da an Tartanbahn, Sprungmatte und Spikes in den Anfangsjahren der Bundesrepublik nicht zu denken war, wurde improvisiert. Theoklaus Barz, 82, aus Pirmasens erinnert sich: „Wir hatten damals keine Startblöcke, wir haben uns Mulden in die Laufbahnen aus Rotgrand gehauen. Und beim Hochsprung sind wir in einer Kiesgrube gelandet.“ Ähnliche Erfahrungen steuert Heinz Otten aus Bremen, Jahrgang 1932, bei: „Mein vier Meter langer Hochsprungstab war aus Bambus.“ Immerhin 3,05 Meter überquerte er mit dem Stecken im Sommer 1953. Und Elisabeth Hartmann lief 1958 als damals 18-Jährige ihre 2.000 Meter im niedersächsischen Algermissen (mangels Laufbahn) barfuß auf der Landstraße. In 8:31 Minuten, die Zeit hat sie heute noch parat.

Beispiele der Sportbegeisterung in der jungen Bundesrepublik – in bisweilen kuriosen Ausprägungen. „Ich war immer gern um den 20. Januar mit allen Disziplinen fertig“, sagt Hartmann, „man weiß ja nie, was in einem Jahr noch so passiert.“ Im Verein gehörte die Prüfung zum geschätzten Standardprogramm, im Hochschulsport war es eine Pflichtnummer, sagt Wilhelm Bolz, der 1949 seine Universitätsausbildung in Köln begann. „Ein Sportstudium ohne Abzeichen war für uns undenkbar.“ Auch für weniger Trainierte schuf der DSB als Initiator Anreize, sagt Historiker Wedemeyer: „Die Hürden des Sportabzeichens sind immer weiter gesenkt worden. Die Altersklassen wurden feiner eingeteilt, die zu erbringenden Leistungen herabgestuft. Die Besseren hatten keine Probleme mit den Anforderungen, die Schwächeren wurden nicht gleich verprellt. Es war kein Wettkampf, sondern ein Leistungs-Miteinander. Das hat Leute angezogen.“

Erst mit den geburtenschwächeren Jahrgängen in der 70er-Jahren, der zunehmenden Konkurrenz durch kommerzielle Sportanbieter Anfang der 90er und dem Drang zum Individualsport ohne Vereinsbindung – Joggen, Skaten, Radfahren – erhielt der Zuspruch für den Fitnessorden einen Dämpfer. Heute sind es viele freie, niedrigschwellige Angebote, die den Weg zum Sportabzeichen ebnen, mit positiven Auswirkungen, wie die Statistik belegt: In den vergangenen Jahren wurde zweimal die Schallmauer von einer Million abgelegter Prüfungen durchbrochen.

(Quelle: Faktor Sport, Ausgabe 4/12, Frank Heike)


  • Das Sportabzeichen liegt trotz seiner 100 Jahre wieder im Trend. Foto: DOSB
    Das Sportabzeichen liegt trotz seiner 100 Jahre wieder im Trend. Foto: DOSB