Die Dortmunder Abwehrkraft

Mit Taekwondo, Köpfchen und Döner: Wie sich ein Einspartenverein im Westen von Dortmund gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzt.

Das Taekwondo Team Kocer. Foto: LSB NRW
Das Taekwondo Team Kocer. Foto: LSB NRW

Die Friedensgrundschule als Trainingsort, das passt zu diesem Verein. Vor allem, da sie in der früheren Zechensiedlung Germania in Dortmund-Marten liegt. In den hiesigen Wohnhäusern fanden Menschen mit Migrationshintergrund schon ein Zuhause, als sie längst noch nicht so genannt wurden: Um 1900 stellten sie rund die Hälfte der Ansässigen. Heute ist ihr Anteil nicht geringer, und manche haben dort nicht nur ihr Zuhause, sondern auch eine sportliche und soziale Heimat: bei ebenjenem Verein, dem Taekwondo Team Kocer.

Der Name verdankt sich dem Gründer. Muhammed Kocer stellt seinen Club so vor: „Wir sind ein Sportverein, aber unsere Mitglieder sollen sich auch mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen.“ Der 38-Jährige hat sich im organisierten Sport einen Namen als ehrenamtlicher Impulsgeber in Sachen Integration gemacht. Das Thema ist auch in der Satzung des Einspartenvereins verankert, der zuletzt 200 Mitglieder aus 30 Herkunftsnationen zählte. Darüber hinaus positioniert sich das Taekwondo Team, und das ist noch seltener, explizit gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Vermittlung von Werten, Wissen und Kompetenzen

Letzteres hat mit dem Umfeld zu tun. „Dortmund ist nicht gerade ohne“, sagt Kocer und meint: ohne Rechtsextremisten. Für den Westen lässt sich das sicher sagen. Schlappe 800 Meter jenseits der Friedensschule beginnt Dorstfeld, der Bezirk, der der Stadt einen Ruf als Neonazi-Hochburg einbrachte. Hier hat(te) eine deutschlandweit berüchtigte, 2012 verbotene Gruppierung der Autonomen Nationalisten (AN) ihr Zentrum. In der Friedensgrundschule selbst trainierte vor einigen Jahren eine als Sportverein getarnte Kameradschaft den Straßenkampf, vom Taekwondo Team ebenso unbemerkt wie von der Stadt. Letztere kam dem rechten Treiben später mithilfe eines Journalisten auf die Spur.

Wie sieht der Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit aus? Kocer muss ein bisschen ausholen, es geht hier ja weniger um Konkretes, um Demos oder Selbstverteidigungskurse; sondern um die Vermittlung von Werten, Wissen, Kompetenzen. So haben er und eine zweite Trainerin eine Fortbildung zu Courage und Antirassismus gemacht: 120 Einheiten bei der Deutschen Sportjugend. „Dieses Knowhow und Material geben wir an interessierte Jugendliche im Verein weiter“, sagt der Vorsitzende und Cheftrainer. „Und wir ermutigen sie, selbst Fortbildungen zu machen und sich in ihren Schulen für das Thema zu engagieren.“ Er baut zudem auf die punktuelle Mitarbeit seiner Übungsleiter, darunter nicht wenige Studenten und Doktoranden sozial(wissenschaftlich)er Fachrichtungen. Mit ihnen hat er etwa Karikaturen und Roll-Ups zum Thema Werte erarbeitet, die in internen Schulungen und der Öffentlichkeitsarbeit zum Einsatz kommen.

Training mit Asylsuchenden

Integrationsarbeit und Einsatz gegen Rassismus ist nicht das Gleiche. Aber bei Taekwondo Team Kocer fließt beides zusammen. Das zeigt die Kooperation mit einem Flüchtlingsheim. Der Verein lädt die Asylsuchenden zum Training ein, um ihnen eine Abwechslung zur Enge im Heim zu verschaffen. In den paar Wochen, die die meisten im Dortmunder Westen bleiben, können sie immerhin die erste Gürtelprüfung ablegen. Ein  Erfolgserlebnis mit Mehrwert: Die Geprüften erhalten neben einer Urkunde eine Broschüre, die die Vereine der DTU auflistet. „Wenn sie woanders hin kommen, haben sie zumindest einen Anlaufpunkt“, so Kocer.

Den Flüchtlingen geht es um Sport, dem Verein ums Ganze. „Wir bringen ihnen im Training auf einfache Weise nah, wie sie mit Fremdenfeindlichkeit umgehen können“, sagt Kocer. Das in Korea entstandene Taekwondo an sich trägt schon geradezu diplomatische Züge: Es ist weltweit verbreitet und basiert auf dem uneingeschränkten Respekt des Gegenübers. Kocers Team nutzt den Sport, um den Asylbewerbern Regeln des Zusammenlebens in Deutschland ebenso zu vermitteln wie eine Willkommenskultur; sie ebenso zur Reaktion auf rassistische Übergriffe zu befähigen wie ihnen ihre eigenen Vorurteile deutlich zu machen - gegenüber anderen Heimbewohnern, aber auch gegenüber Einheimischen. „Klischees gibt es überall“, sagt er. „Manche Zuwanderer denken, in Deutschland gebe es nur Nazis.“

Kocer ist kein Lautsprecher, vielmehr ein Kommunikator und Netzwerker. „Ich möchte möglichst viele Leute einbinden, je nach ihren Möglichkeiten und Erfahrungen und der jeweiligen Aufgabe“, sagt er, und erzählt von der Mutter eines jungen Mitglieds. Die rumänische Juristin, bisher ohne Arbeitserlaubnis, wusste nicht, dass Menschen aus ihrem Land seit 2014 Dienstleistungsfreiheit genießen in Deutschland. Kocer wies sie darauf hin, nun kann sie vielleicht bald als Anwältin praktizieren. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass sie ihm bei der Beratung rumänischer Zuwanderer hilft, denen er in seiner sportlichen Arbeit begegnet: „Wenn da jemand die Sprache spreche und sich auch noch mit den Formalitäten auskennt, dann erleichtert das die Sache ungemein.“ 

(Quelle: DOSB/Nicolas Richter)


  • Das Taekwondo Team Kocer. Foto: LSB NRW
    Das Taekwondo Team Kocer. Foto: LSB NRW