Die Mitarbeit von Psychologen im Sport wird immer selbstverständlicher

Die deutschen Wasserball-Männer sind wieder wer. In Rio de Janeiro haben sie sich Ende Januar im Qualifikationsturnier ins olympische 12er Feld von Athen gespielt, nachdem man 2000 in Sydney daheim an den Fernsehern zusehen musste, wie andere um die Medaillen stritten.

Anteil an dem Erfolg hatte mit Dr. Arno Schimpf auch einer, den man bis zum Herbst vergangenen Jahres in Wasserball-Kreisen noch gar nicht kannte. Der 50-jährige Sportpsychologe aus Edingen bei Heidelberg war im Spätherbst quasi im Schnelldurchgang ins Team integriert worden – er kam, sah, und die Mannen um Kapitän Patrick Weissinger siegten. Die Mitarbeit von Psychologen im Betreuerteam ist im deutschen Sport kein Einzelfall mehr, immer mehr Verbände und Athleten bedienen sich der Hilfe von "Mentaltrainern", um optimal vorbereitet in den Wettstreit der Weltbesten zu ziehen.

Waren es vor ein paar Jahren gerade mal eine Handvoll Psychologen, die sich um Sportler kümmerten, sind es laut Schimpf "jetzt um die dreißig in achtzehn Sportarten". Mittlerweile gibt es auch eine "Arbeitsgemeinschaft der Sportpsychologen, die dem Deutschen Sportbund sehr nahe steht und im Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) über ein entsprechendes Internetpokal zu erreichen ist", der ca. 50 Spezialisten angehören. In Heidelberg wurde unter der Führung von Prof. Hans Eberspächer eine Zentrale Koordinierungsstelle Sportpsychologie gebildet, nachdem vor zwei Jahren beim Bundestrainer-Großseminar ein konzertierter Auftritt mehrerer Psychologen mit der Präsentation ihrer Arbeit und Vorschläge für Aufsehen gesorgt hatte.

Verkrustete Strukturen wurden peu á peu aufgebrochen, der Wert psychologischer Kompetenz bei der Leistungsoptimierung ist heute weitgehend unumstritten. Auf besagter BISp-Webseite kann das Thema – "nachdem es lange Zeit tabuisiert wurde, inzwischen ausführlich diskutiert werden". Ein wichtiger Fortschritt, wie Dr. Arno Schimpf findet. Denn immer noch ist ein Rest von Verdrängung und Distanz da. Vor allem bei Trainern, die Psychologen-Beistand mitunter als Makel empfinden. "Da sind andere Länder weiter, dort ist man darauf stolz, dass man Leistungsreserven auch mit mentalen Übungsprogrammen erschließt."

Schimpf, Ende der 70er, Anfang der 80er ein leichtathletischer Mittel- und Langstreckler guter nationaler Klasse, hat als Psychologe seinen ersten Kontakt zum Spitzensport bereits vor zwanzig Jahren gehabt. Damals sprach ihn Ringer-Bundestrainer Heinz Ostermann an, der seinen Athleten unbedingt "die Ostblock-Angst aus den Köpfen treiben wollte". Schimpf war nicht wenig erfolgreich, und so wiederholte sich das Szenario in ähnlicher Form noch des öfteren. Fecht-Guru Emil Beck holte Schimpf nach der Olympia-Totalpleite von 1996 als Chefpsychologen nach Tauberbischofsheim, bis heute arbeitet der 50-Jährige für den Verband – so auch bei den Olympischen Spielen in Athen. Auch für die Volleyballer war Arno Schimpf schon tätig – und dass er mehr denn je gefragt ist, bestätigt ihn in seiner Arbeit. Obwohl sein konkreter Anteil an den Resultaten schwer zu messen ist. "Wir werden immer dann gerufen, wenn es brennt und das Kind schon in den Brunnen gefallen ist." Bei den Wasserballern war es noch nicht ganz so weit, aber ein erneuter olympischer Lapsus in Form von Nichtteilnahme wäre für die Sportart im Spitzenbereich existenzbedrohend geworden. Deshalb holte Bundestrainer Hagen Stamm (Berlin) Schimpf in einer "Blitzaktion" mit Zustimmung des DSB und bei Kostenerstattung durch den DSV und das Bundesinnenministerium ins Boot, nachdem ihm der von Ex-Fechter Mathias Behr empfohlen worden war. "Stamm ist auf phänomenale Weise auf mich zugegangen, quasi ohne Deckung und absolut offen. Das ist eine wunderbare Voraussetzung für meine Arbeit."

Mit Hand auflegen oder der im Laien-Verständnis klassischen halben Stunde auf der Couch hat dies wenig zu tun. "Problemlösung nach dem Prinzip ‚Rede mal mit dem Psychologen’ und schon ist alles okay, die gibt es nicht", sagt Schimpf. Das 65-Kilo-Leichtgewicht, das bei 1,83 Meter Körperlänge asketisch wirkt, hat von Wasserball bis Oktober 2003 keine Ahnung gehabt. Dann kam der Kontakt zu Stamm zustande. Schimpf versprach keine Wunder, meinte aber auch, dass bei gegenseitigem Vertrauen etwas machbar ist. Bei einem Kurzlehrgang im Oktober war Schimpf erstmals bei der Mannschaft. Vier Tage zum Kennenlernen, zur Annäherung, zum Beschnuppern, zur Vertrauensbildung. "Die Jungs haben ziemlich schnell gesagt: der Arno, der isses …" Nach den vier Tagen hatte jeder der Nationalspieler sein individuell zugeschnittenes mentales Übungsprogramm. Berührungsängste gab es kaum. Zumal der Teamspirit in der Mannschaft bestens entwickelt war. "Um den musste ich mich nicht kümmern. Mein Feld sind die für jeden Einzelnen leistungsentscheidenden Parameter: Selbstbewusstsein in Schlüsselmomenten, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen." Inwieweit Schimpf diesbezüglich in den wenigen Wochen Defizite beseitigt hat, ist schwer verifizierbar. "Ich kann nicht sagen, ohne mich hätten die Jungs nicht gut gespielt oder die Qualifikation nicht geschafft. Das wäre anmaßend. Aber ich kann die Wirkung meiner Arbeit daran messen, wenn ein Sportler zu mir kommt, und sagt, jetzt habe er erstmals in kritischen Situationen 100 Prozent Leistung bringen können."

Dass der Erfolg von Rio die wachsende Akzeptanz für die Rolle der Sportpsychologie weiter befördert, hält Schimpf für eine erfreuliche Nebenwirkung. Im Grunde genommen seien die Probleme der Wasserballer nicht anders als die von Fechtern, Ringern oder Volleyballern. "Der Mensch ist überall gleich", sagt der Psychologe. Und Wasserballer machen die gleichen Fehler im mentalen Bereich wie die anderen. Freilich gebe es drei, vier spezielle Punkte, die auch spezifisch abzuarbeiten sind. Das geschieht über Schimpfs mentale Übungsprogramme, eine Art täglicher Katechismus, der in fünf bis zehn Minuten "herunterzubeten" ist – wie beim Vokabeln lernen. "Damit kann man die Festplatte im Kopf so programmieren, dass sie weitgehend absturzsicher ist." Die Kommunikation zwischen dem Psychologen und den Spielern funktioniert. "Ich will denen ja keine Intimitäten entlocken, sondern ihre Ressourcen erschließen, die sie mitunter nicht mal selber kennen, und sie aktivieren."

Dr. Arno Schimpf ist damit im Übrigen nicht nur im Spitzensport erfolgreich. Auch Führungskräfte der Wirtschaft zählen zu seinen Kunden, machen seit Jahren von seinem Personal Training Gebrauch. "Man hat dort festgestellt, dass man vom Sport viel lernen kann." Dass zwischen einer Branche, in der Werte wie Fairness oder Teamgeist dem Profit- oder Eigeninteresse untergeordnet zu sein scheinen, und dem Sport, der eben für diese Werte steht, eine Unvereinbarkeits-Klausel besteht, glaubt Schimpf nicht. "Beiden gemeinsam ist die Verpflichtung auf den pfleglichen Umgang mit dem Körper, denn der ist sowohl bei Spitzenkräften der Wirtschaft als auch des Sports das wichtigste Kapital. Und dann sind Dinge wie Dranbleiben, Durchhalten und gelebtes Selbstbewusstsein hier wie da Grundlagen des Erfolgs." In der Wirtschaft habe man das lange sträflich vernachlässigt – für Dr. Arno Schimpf zumindest eine Mit-Ursache für den Absturz in die aktuelle Krise. Und was folgt daraus? "Man muss die selben Fehler nicht auch noch im Sport machen."