Die Politik entdeckt das Kind

Solange es dieser Gesellschaft gut ging, die Wirtschaft brummte, dem Einzelnen weder Kürzungen noch der Verlust des Arbeitsplatzes drohte und Interessenvertreter fast alles durchsetzen konnten, waren die Jüngsten ein politisch zu vernachlässigendes Thema, für die sich in den Parlamenten kaum jemand stark machte.

Nun entdeckt die Politik plötzlich das Kind. Aber nicht aus Überzeugung, sondern der Not gehorchend. Dass für ein Land Kinder die Zukunft bedeuten, ist nicht nur eine Phrase, sondern Wahrheit, wie die politischen Reformer erkennen müssen: Die Deutschen sind eine aussterbende Spezies, weil sie keine Kinder mehr bekommen wollen, da Karriereplanung vor Familienplanung steht. Die Politik hat es jahrzehntelang verschlafen, für praktikable Bildungs- und Betreuungsangebote zu sorgen und das Berufsbild der Hausfrau zu stärken.

Kinder- und Familienpolitik erschöpfte sich im Gezänk zwischen Regierung und Opposition über die Höhe des Kindergeldes. Das Standing der jeweiligen Familienministerinnen war entsprechend: „Frauen und Gedöns“ war nicht nur die Einschätzung des jetzigen Bundeskanzlers, wenn er über dieses Ressort sprach. Das „Gedöns“ hat sich als ernste Angelegenheit erwiesen: Nun wird über Renten gestritten und die fehlenden Renteneinzahler, über demographische Entwicklungen, über mangelnde Bildung und Ausbildung und daraus folgender Arbeitslosigkeit. Besonders Arbeitgeber erregen sich über das blamable Abschneiden bei der Pisa-Studie, aber mithelfen, die Misere zu verbessern, wollen sie kaum.