Die Zukunft der Sportvereine in der europäischen Sportpolitik

Kann der Sport für Zusammenhalt in Europa sorgen? Autor Hans-Jürgen Schulke beantwortet diese Frage mit einem klaren "Ja".

Die Hamburger Turnerschaft von 1816 ist der älteste Verein der Welt. Foto: picture-alliance
Die Hamburger Turnerschaft von 1816 ist der älteste Verein der Welt. Foto: picture-alliance

Die Corona- Pandemie hat die Sportwelt komplett getroffen: Großveranstaltungen, Profisport, Vereins- und Schulsport, Bewegungskindergärten, Fitnessstudios, individuelles Sporttreiben. Formen und Strukturen des Sports waren stillgelegt und kommen erst tastend wieder in Bewegung. Noch nie seit Beginn der bürgerlichen Sportbewegung vor 200 Jahren ist gesellschaftlich organisierte sportliche Aktivität derart komplett unterbrochen worden. Wert und Weiterentwicklung des Sports sind neu zu bestimmen.

In dieser Herausforderung für eine bessere Zukunft gibt das vom „Sportministerium“ (BMI) für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft erstellte Arbeitsprogramm für den Sport einen wichtigen Impuls. Unter der Überschrift "Gemeinsam in einer starken Gesellschaft leben" wird für Europa betont, man wolle „die positive Bedeutung von Sport und Bewegung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hervorheben, die durch strategisches Zusammendenken der Bereiche Sport, Schule, Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung und Verkehrsplanung entstehen kann. Gemeinsam werden wir mit den anderen Mitgliedsstaaten den EU-Arbeitsplan für den Sport 2021 - 2024 entwickeln und Schwerpunkte für die sportpolitische Zusammenarbeit in den kommenden Jahren festlegen.“ Die dafür vorgesehene Konferenz „Partnerships for Physical Activity and Sport - Be(come) Active!“ unter Federführung des Deutschen Turner-Bundes (DTB) - er koordiniert seit fünf Jahren für das BMI die internationale Kooperation - will intersektorale Kooperation diskutieren. Auch das: Eine starke Gesellschaft erwächst nicht mit politischer Anordnung, sondern aus den Überzeugungen und konkreten Handlungen der Menschen.

Wie trifft Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und intersektorale Kooperation auf die Organisation Sportverein? Kann der dazu beitragen, ist das die längerfristige Perspektive nach der Corona-Bedrohung? Uneingeschränkt ja, denn der Vereinssport hat dafür die sozialen Wurzeln und Kompetenzen. Er ist eine stabile und anerkannte gesellschaftliche Bewegung, die stets soziale Ziele für alle verfolgte. Dazu gehört bevorzugt Gesundheitsförderung in allen gesellschaftlichen Gruppen und im weitesten Sinne. Kernpunkt ist regelmäßige körperliche Aktivität.

Der Vereinssport ist mit 27 Millionen Mitgliedschaften in Deutschland die größte zivilgesellschaftliche Organisation. Das ist weltweit einzigartig und kann in Europas Sportlandschaft eine Orientierung bilden. Er ist traditionell und strukturell idealer Partner für Gesundheit und Prävention. Er bildet einen allen offenen Ort, wo freiwillig und selbstorganisiert gemeinsames Bewegen, Begegnen und Feiern gelingt. In jedem Dorf und Stadtteil gibt es Sportvereine, hunderttausende Trainer*innen sind gesundheitsrelevant ausgebildet, die Zahl der Angebote für Fitness, Gesundheit, Entspannung ist enorm, zehn Millionen Vereinsmitglieder von Kleinkindern über Eltern bis Hochbetagten besuchen präventionsorientierte Angebote, finden stabile soziale Kontakte. Und regelmäßige menschliche Bewegung ist vielfach nachgewiesene und von der WHO bestätigte Wirkung für umfassend verstandene individuelle Gesundheit sprich Immunität. Ein Infekt wird von Gesunden und Widerstandsfähigen durch richtig dosierte Bewegung in der Regel leichter überwunden.

Noch fehlt das Gesamtkonzept für eine resiliente sprich widerstandsfähige Gesellschaft, Vernetzung ist geboten. Vereine sind hier unverzichtbar. In der Pandemie sind sie kreativ, agil, arbeiten verantwortungsvoll und lösungsorientiert. Einkaufsdienste für die Nachbarschaft, täglich Videos mit Übungen für zu Hause oder im Garten - das passiert in Tausenden Vereinen in der Stadt und auf dem Land. In kleinen Gruppen wird mit Abstand geradelt, gewandert und gejoggt. Die anfangs totalen Verbote übersahen Verantwortung und Kraft zur Selbstorganisation der in Vereinen organisierten Zivilgesellschaft, ihre fortgeschrittene intersektorale Einbettung in kommunales Leben. Zunehmend wird das auch von der Politik erkannt.

Künftig sollten Vereine im Sinne gesundheitsfördernder Netzwerke ihre schon jetzt oft bestehende Kooperation mit Schulen und Kindergärten verstärken, gefährdete Gruppen gezielt ansprechen. Krankenkassen, Ärzte, Sport- und Gesundheitsämter, Gesundheitswirtschaft, Pädagogen wären geradezu berufen, gesundheitliche Aspekte des Sports im Verein stärker zu fördern, eine sozial solidarische und psychomotorisch widerstandsfähige Gesellschaft zu unterstützen. Das würde stabiler Gesundheit dienen und Milliarden Euro im Gesundheitssystem einsparen helfen. Die tägliche Sportstunde wäre ein Ziel. Man sollte in Kindergärten stärker als bisher Bewegungseinheiten einbringen und die Kooperationen zwischen Schule und Verein stärken, Betriebs- und Rentnersport erweitern. Vereine als Hotspots der Gesundheitsprävention und -motivation hat Tradition und Zukunft.

Die aktuelle Krise wird zurückgehen. Bereitschaft und Sensibilität für Stärkung der Gesundheit werden bleiben. Von Sportorganisationen und Politik sollten konkrete Maßnahmen folgen, die die Bereitschaft im dialogischen Prozess aufgreift und konzeptionell gestaltet. Es gibt im Vereinssport eine ausgeprägte Kultur des Mitgestaltens, der Toleranz und Unterstützung der Schwächeren – Hilfestellung als Prinzip. Man denke an Angebote zur Flüchtlingsintegration, im Reha- oder dem Behindertensport, für chronisch Kranke und psychisch Belastete, schließlich Hochbetagte.

Dieses Selbstverständnis – auch von den Vereinen – weitergedacht und praktisch umgesetzt, führt selbstverständlich zu gemeinsamen Planungen mit Schul- und Stadtteilentwicklung, Sozialarbeit und Gesundheitsförderung, Verkehrsführung und Klimaschutz. Gesundheit ist weit mehr als gelinderte Krankheit. Es ist die Ganzheit eines erfüllten Lebens, das nahezu alle Dimensionen des Alltags umfasst und eine „Public Health“ schafft. Die ist stets intersektoral und erfolgt an der Basis.

Viele Vereine sind in diesem Sinne längst unterwegs. Jüngstes und eindrucksvollstes Beispiel ist die Hamburger Turnerschaft von 1816, einer der ältesten Vereine der Welt. Der hat zu Jahresbeginn ein komplexes Vereinszentrum eröffnet, das zahlreiche Hallen für alle Altersgruppen, auch Fitnessstudio, Kindergarten, Kletterturm, Schulangebote, Theatersaal, Stadtteilarchiv, Infostelle für Kinderschutz und Ärztezentrum beinhaltet. Ein komplettes wie bewegendes Stadtteilzentrum.

Der Impuls des deutschen Sport-Ministeriums für Europa ist eine Absichtserklärung. Mutig in einer Zeit, in der Europa auseinander zu driften droht. Der Sport kann hier mit seinem internationalen Netzwerk, Meisterschaften und kontinentalen Verbänden korrigieren. In diesen Tagen beginnt in zahlreichen Regionen die europäische Woche des Sports. Die ISCA (Internationale Assoziation für Sport und Kultur) ist organisatorisches Engagement für Europas „Be Active“ und arbeitet eng mit dem DTB zusammen. Das internationale Deutsche Turnfest in Leipzig 2021 als Festival des Breitensports und die Fußball-EM 2024 in Deutschland können das wie viele andere ergänzen. Der am 24. September in Frankfurt virtuell stattfindende Kongress für Kooperationen im Sport auch. Alle Vereine und Verbände sind eingeladen in diese Zukunftswerkstatt des Sports (http://www.presidency-conference.de/).

(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke; bei dem Kommentar handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem Newsletter des Freiburger Kreises)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.

 


  • Die Hamburger Turnerschaft von 1816 ist der älteste Verein der Welt. Foto: picture-alliance
    Eine Gruppe Senioren macht in einer Sporthalle Übungen auf Matten Foto: picture-alliance