„Direkte Ansprache schafft Vertrauen“

DOSB-Vizepräsidentin Ilse Ridder-Melchers zieht im Interview eine Zwischenbilanz des Projektes „Mehr Migrantinnen in den Sport“.

DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung, Ilse Ridder-Melchers. Foto: DOSB
DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung, Ilse Ridder-Melchers. Foto: DOSB

Das Thema Integration hat Konjunktur. Der Sport ist hier gemeinsam mit dem Bundesministe-rium des Inneren mit dem Programm „Integration durch Sport“ bereits seit 21 Jahren aktiv. Seit zwei Jahren kommt mit „Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport“ ein zweites Projekt hinzu. Ilse Ridder-Melchers, Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung im DOSB, spricht im Interview mit der DOSB PRESSE über ihre Zwischenbilanz des Projekts, die sie am vorigen Wochenende beim Deutschen Turner-Bund zog.

DOSB PRESSE: Frau Ridder-Melchers, wie ist ihre Zwischenbilanz ausgefallen?

ILSE RIDDER-MELCHERS: Wenn Sportvereine auf Migrantinnen zugehen und ihnen Bewe-gungsangebote mit zusätzlichen, alltagstauglichen Qualifikationen nach der Formel Sport plus X machen, dann funktioniert das ziemlich gut – so könnte man kurz zusammenfassen, was ich den Frauenvertreterinnen der Landesturnverbände im Deutschen Turner-Bund am Samstag in Köln berichtet habe. Wir reden hier über etwa 70 Einzelprojekte, die von den fünf teilnehmenden Sportverbänden – neben dem DTB sind dies die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Deutsche Ju-Jutsu-Verband, der Landessportverband Baden-Württemberg und die Sportjugend Berlin – ausgewählt wurden. Außerdem haben wir das Ganze sehr gezielt vernetzt: Die Sportvereine arbeiten mit den Integrationsbeauftragten der Kommunen, mit Sozialarbeitern aus dem Wohlfahrtsbereich oder Behörden zusammen.

DOSB PRESSE: Und das funktioniert?

RIDDER-MELCHERS: Am Anfang war da in der Tat eine gewisse Skepsis bei den Integrationsprofis, die waren es nicht gewohnt, dass Sportvereine sich so aktiv auf einem gesellschaftlichen Feld einmischen. Die war dann aber schnell verflogen, als klar war, wie ernst es dem Sport ist und wie sich die Migrantinnen vom Sport begeistern lassen.

DOSB PRESSE: Was bekommt Frau denn angeboten?

RIDDER-MELCHERS: Das, was Frau gerne macht, denn da müssen wir überhaupt nicht unterscheiden zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Zahlreiche Angebote haben mit Gesundheitssport zu tun, schließlich steht das Bundesgesundheitsministerium als Förderer dahinter, da geht es um Schwimmen lernen, um Rückenschule oder Gymnastik, aber auch um Selbstverteidigung oder Ballsportarten. Interessant ist aber, dass es eben nicht beim Sport bleibt, sondern dass ein Zusatznutzen für die Frauen dabei ist: manchmal geht es einfach darum, Deutsch zu lernen, manchmal gibt es Bewerbungshilfen oder Tipps für den Umgang mit Behörden, und immer tragen dann sowohl der Sport als auch das „plus X“ zur Integration bei.

DOSB PRESSE: Reden wir über die andere Seite, die Vereine – was bringt das denn denen?

RIDDER-MELCHERS: Erstens einen Zugang zu einer Gruppe der Bevölkerung, den sie so vorher nicht hatten. Der Anteil von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in den Verei-nen ist signifikant niedriger als der der Deutschen. Zweitens mehr Verständnis für ausländische Mitbürger, denn wenn ich erlebe, wie erleichtert moslemische Frauen sind, wenn während des Schwimmunterrichts dann tatsächlich kein Mann in der Halle ist, dann begreife ich, dass Dinge, die für die Eine wenig Bedeutung haben, für Andere unüberwindbare Hürden darstellen können. Und Drittens eine Multiplikatorenwirkung: Wenn das ganz besonders gut läuft, wird aus der Kursteilnehmerin ein Mitglied oder sogar eine Übungsleiterin. Und ich lerne als Verein natürlich, wo genau der Bedarf liegt, ob nun Schwimmen, Ju-Jutsu oder Tanzen.

DOSB PRESSE: Auch wenn es eine Zwischenbilanz war – gibt es bereits weitere Erkenntnisse?

RIDDER-MELCHERS: Als entscheidend zeigt sich offensichtlich, dass die Sportvereine sich bewegen und die Migrantinnen quasi in ihrem Wohnumfeld abholen. Da helfen keine Flyer oder Internetseiten, das verpufft. Es geht dabei ganz stark um Vertrauen, und das schaffe ich nur in der direkten Ansprache. Deutlich geworden ist auch, wie wichtig die Rolle der Übungsleiterinnen als Türöffnerinnen ist. Über sie findet die Ansprache statt, hier entscheidet sich, ob Vertrauen geschaffen werden kann.

DOSB PRESSE: Projekte enden immer irgendwann – wie geht es weiter mit dem Sport und den Migrantinnen?

RIDDER-MELCHERS: Es muss einfach weitergehen, im Interesse der Migrantinnen und des Sports. Das Beste wäre natürlich, wenn das Bundesgesundheitsministerium im kommenden Jahr ein Anschlussprojekt unterstützen würde, weil die Projektzeit einfach zu kurz war. Und dennoch hat sich auch hier bereits gezeigt, wie groß die integrative Kraft des Sports ist, weshalb ich mir wünsche, dass weitere Partner mit einsteigen - es lohnt sich für alle Beteiligten.


  • DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung, Ilse Ridder-Melchers. Foto: DOSB
    DOSB-Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung, Ilse Ridder-Melchers. Foto: DOSB