DOSB-Netzwerkprojekt begeistert Migrantinnen für den Sport

Im Vorwort des aktuellen Sportentwicklungsberichtes spricht DOSB-Präsident Thomas Bach davon, dass Wissen die Sportorganisationen handlungsfähiger macht.

Das DOSB-Netzwerkprojekt "Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport" hat sich bewährt.
Das DOSB-Netzwerkprojekt "Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport" hat sich bewährt.

Ein wesentlicher  Bereich, der die Zukunfts- und Handlungsfähigkeit unserer Sportvereine angesichts der demographischen Entwicklung und des ebenfalls von Bach angesprochenen „dynamischen sozialen Wandels“ betrifft, hat mit Wissen über und der Kompetenz im Umgang mit Interkulturalität zu tun. Es betrifft den Bereich der Integrationsaufgaben, im besonderen Fall vor allem die zur aktiven Einbindung zugewanderter Mädchen und Frauen. Wissenschaftliche Untersuchungen und Vereinsrealitäten zeigen uns, dass diese Frauen in den Vereinen unterrepräsentiert sind. Dass sie aber mehrheitlich gern aktiv Sport treiben wollen, mag vielleicht überraschen und stellt uns im Zuge dessen sicher auch vor konkrete Herausforderungen. Die allseits bekannte, wenn auch stereotypisierte Wahrnehmung von schwierigen und nicht zu bewältigenden Aufgaben für die Sportvereine kann aber durchaus widerlegt werden. Dazu ein Blick in die praktische Umsetzungsphase des DOSB-Netzwerkprojektes „Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport“.

Mit seinen fünf Partnerverbänden (DJJV, DLRG, DTB, LSVBW und SJ Berlin) und seinen bisher insgesamt 17 beteiligten Vereinen wurden seit Juni 2009 bis dato 30 Sportkurse, die mit speziellen Zusatzangeboten kombiniert werden, gestartet. Als besonders erfolgreich erweisen sich die Angebote rund um das Schwimmen. Die DLRG mit seinen Ortsgruppen und der LSV Baden-Württemberg mit zwei seiner Vereine bieten das Schwimmen für Migrantinnen in unterschiedlichen Varianten an: Mutter-Kind Schwimmen, Anfängerinnen-Schwimmen oder auch Aquafitness für Ältere. Die enorme Nachfrage der Migrantinnen kann kaum bewältigt werden. So bilden sich bereits lange Wartelisten. Doch auch in anderen Sportarten, wie Gymnastik, Tanz, Volleyball und Selbstverteidigung: die Angebote speziell für Frauen werden gern angenommen. Das Netzwerkprojekt ermöglicht es den Vereinen vor Ort, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Migrantinnen den Weg eigenständig in die Sportvereine finden. Wichtigstes Anliegen vor allem von Musliminnen ist es dabei, in einem Schwimmbad bspw. unter Frauen zu sein.

Ohne Anwesenheit von Männern, ist es für die teilnehmenden Migrantinnen auch kein Problem in mit für uns üblichen Badeanzügen zu schwimmen. Dort wo die Tradition eine engere Bindung an das Verhüllungsgebot verlangt,  wird eine Leggins getragen – von Burkinis halten die Migrantinnen in unseren Projekten im Übrigen so gar nichts, die meisten kennen sie nicht einmal. Mit Kursangeboten bei denen Migrantinnen unter Frauen sein können, gleich welcher Herkunft, sie zudem von einer Übungsleiterin angeleitet werden und ggf. Räumlichkeiten erhalten, bei denen sie sicher vor den Blicken von Männern sind, zeigen unseren Respekt gegenüber ihrer Kultur. Dies erleichtert ihnen das alltägliche Manövrieren zwischen Tradition und Moderne. Doch allein strukturelle Veränderungen würden hier zu kurz greifen. Vielmehr ist es wichtig, nicht nur die Vereinstür kultursensibel zu öffnen, sondern auf die Mädchen und Frauen zu zu gehen. Es darf kein unüberwindliches Moment darstellen, die Bedürfnisse von Migrantinnen eruieren zu wollen, indem wir Wissen über sie und ihre Biographien erlangen. Immer wieder begegnen wir Aussagen, dass Angebote für Migrantinnen erstellt, aber von ihnen nicht angenommen werden. Die Frage würde sich sofort erübrigen, wenn wir Antworten darauf  finden: was wissen wir über Migrantinnen? Was wissen wirdarüber, was Migrantinnen über unsere Sportstrukturen wissen? Wissen wir, dass der Sportverein generell oft als Männerdomäne gilt?

Wissen wir, dass sich der Sportverein in der Wahrnehmung vieler Migrantinnen als anonymes, in sich geschlossenes Konstrukt darstellt? Wissen wir, dass unsere Sportstrukturen für Außenstehende oft so gar nicht durchschaubar sind und Migrantinnen eine zentrale AnsprechpartnerIN im Verein fehlt? Wissen wir, dass Migrantinnen in einem Integrationsprozess in einem ersten Schritt einfach nur unter Frauen sein wollen und dann auch bereit sind das Kopftuch abzulegen? Allein um diese Fragen zu stellen, benötigen wir ein neues Bewusstsein dafür, dass Unterschiedlichkeit Normalität ist. Anders sein heißt nicht selbstverständlich fremd, sondern auch ein akzeptierter Teil des vielfältigen Ganzen zu sein (Bayern ist schließlich auch nicht Deutschland). WISSEN (vs. glauben zu wissen) - über andere Kulturen und Gepflogenheiten, die tatsächliche Situation der Frau in anderen Ländern aber auch Wissen über die eigenen Vorurteile und starren Denk- und Verhaltensmuster helfen, Bewusstsein und Akzeptanz zu schaffen. Hilfreich erweist sich hierbei die Zusammenarbeit mit Partnern aus der interkulturellen Arbeit. Im Netzwerkprojekt finden die am Projekt beteiligten Sportvereine Zugang zu Migrantinnen über Kooperationen mit kommunalen Partnern, dem so genannten „+ ‚X’ “- in der Integrationsformel „Sport + X“, in unserem  Projekt. Mädchentreffs, Jugendhäuser, Familienzentren aber auch Wohlfahrtsverbände, Volkshochschulen und soziale Dienste sind Anlaufstellen, die über eine zentrale weibliche (!) Ansprechpartnerin  verfügen und die einer Zusammenarbeit mit den Sportvereinen überaus positiv gegenüberstehen. Hier sind Migrantinnen oft schon organisiert, hier befinden sie sich unter ihresgleichen (Frauen) und hier kann und sollte sich der Sport vorstellen. Frau Lehr, Ortsgruppenleiterin der DLRG in Waldshut-Tiengen (Regierungsbezirk Freiburg), führte der Weg in Kitas und Grundschulen. Über die Gruppenleiterinnen bzw. Lehrerinnen erreichte sie Eltern, die das Angebot des Mutter-Kind-Schwimmen wahrgenommen haben und sich auf die weiteren Kursangebote freuen.

Die am Projekt teilnehmenden Turnvereine in Hanau errichten gemeinsam mit der Stadt Hanau ein flächendeckendes Netzwerk, das Migrantinnen nachhaltig Unterstützung und Zugänge schafft. Hier sind Gleichstellungsstellen, Integrationsstabstellen aber auch Mädchencafes und Stadtteilzentren zu nennen. Nicht verwunderlich, dass die sehr gut besuchten Kursangebote in den Turnvereinen gar klassische Altersgruppieren durchbricht - hier sporten Teilnehmerinnen im Alter von 20 bis 60 Jahren gemeinsam.  Neben den sportlichen und qualifizierenden Kursinhalten entstehen zudem engere soziale Bindungen, die zu weiteren gemeinsamen Aktivitäten über den Sport hinaus führen. Beim Todtglüsinger Ju-Jutsu Sportverein (Todtglüsingen ist eine 3.200 Einwohner zählende Gemeinde in Niedersachen) bleiben die teilnehmenden Migrantinnen nach den Kursangeboten mit ihren deutschen Kursteilnehmerinnen nicht nur auf einen gemeinsamen „Schnack“, sondern engagieren sich auch im kommunalen Umfeld.

Es zeigt sich in vielen Beispielen im Projekt, erst wenn wir wissen und nicht glauben zu wissen, was Migrantinnen denken und sich wünschen, können wir entsprechend handeln. Ein Bsp. der SJ Berlin zeigt zudem einen sensiblen Umgang mit Vorurteilen: sie erstellte in einem ihrer Vereine Kursangebote für jugendliche Mädchen. Die Mütter warteten in der Halle. Von den Mädchen war zu erfahren, dass Basketball zu den Sportarten gehört, bei denen Mütter ihren Kindern erklären, der Sport macht „männlich“ und „groß“. Also wurden die Mütter in der dritten Kursstunde aktiv mit in das Angebot einbezogen. Der Verein nutzte die Gelegenheit, die Sportart genauer zu erklären. Es zeigt sich: Migrantinnen sind nicht Teil eines Problems, sie sind Teil von uns. Indem wir sie für den Sport und das Vereinsleben gewinnen, schaffen wir Möglichkeiten, dass sie von uns lernen.

Für die teilnehmenden Vereine erweisen sich die Angebote als neue Wege der Sportvereinsentwicklung, die sie weiter modifizieren, um passgenaue Programme für speziell diese Zielgruppe erstellen zu können. Die Integration von Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte kann gelingen - das Netzwerkprojekt gibt vielfältige Beispiele dafür. Einfacher wird der Umgang mit Integrationsaufgaben mit der Erkenntnis, dass Integration zuerst im Kopf bei jedem/ jeder von uns selbst beginnt, indem wir unsere Denk- und Handlungsmuster auf den Prüfstand stellen und wissen und lernen wollen. Das alles bedeutet vor allem eine offene, unvoreingenommene Bereitschaft neue Wege im Sportvereinsleben zu beschreiten und damit entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, um im Sport handlungs- und zukunftsfähig zu bleiben.


  • Das DOSB-Netzwerkprojekt "Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport" hat sich bewährt.
    Das DOSB-Netzwerkprojekt "Bewegung und Gesundheit - mehr Migrantinnen in den Sport" hat sich bewährt.