Im Wettbewerb 2017/2018 um die wichtigste Auszeichnung der deutschen Sportwissenschaft waren 23 Arbeiten eingereicht worden: 16 Dissertationen und sieben Habilitationsschriften. Sechs Nachwuchswissenschaftlerinnen und 17 Nachwuchswissenschaftler von 16 Hochschulen beteiligten sich mit ihren Beiträgen.
Joachim Wiskemann von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg erhielt den Ersten Preis für seine Habilitationsschrift "Die motorische Leistungsfähigkeit als zentrale Kenngröße in der Onkologie". Die Arbeit, so sagte Prof. Dr. Achim Conzelmann, Vizerektor der Universität Bern und Vorsitzender des Kuratoriums für die Verleihung des DOSB-Wissenschaftspreises, könne uneingeschränkt als grundlegend und wegweisend für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik "Körperliche Aktivität und Krebs" angesehen werden.
Die Silbermedaille wurde dieses Jahr zweimal vergeben. Monika Frenger von der Universität des Saarlandes wurde für ihre kumulative Dissertation "Untersuchungen zum Problem- und Geschäftsfeld Doping. Eine sozioökonomische Analyse auf Mikro- und Makroebene" ausgezeichnet. Ebenfalls einen zweiten Preis erhielt Christian Puta von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der schon einmal Dritter des Wettbewerbs geworden war. Er wurde nun für seine kumulative Habilitationsschrift "Chronic Back pain and sensory-motor control: a conceptual and computational framework for diagnostic and therapeutic approaches" ausgezeichnet.
Auch den dritten Preis vergab die Jury zweimal: an Stefan Brost von der Justus-Liebig-Universität Giessen für seine Dissertation "Ein Leistungsschutz sui generis für Sportveranstalter – Grundrechtliche Handlungsverpflichtungen für Sportveranstalter", und an Theresa Hoppe von der Deutschen Sporthochschule Köln für ihre Dissertation "Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen der physischen (In)Aktivität von Pflegeheimbewohner/innen".
Wie in früheren Jahren decken die Beiträge ein breites Themenspektrum ab: vom Sport im klinischen Bereich, über den Freizeitsport, den Schulsport bis hin zum Spitzensport, erklärte Prof. Conzelmann. Nahezu alle Teildisziplinen kämen zu Wort, ergänzte er: "die Bewegungs- und die Trainingswissenschaft ebenso wie die Bindestrichdisziplinen Sportsoziologie, -psychologie, -medizin, -recht, -pädagogik, -ökonomie und Sportgeschichte".
Die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Festakademie, die zum 30. Mal den Abschluss des jetzt 65 Jahre alten Wettbewerbs bildete, gratulierten den fünf Ausgezeichneten herzlich. Unter den Gästen waren Brandenburgs Ministerin Wissenschaft, Forschung und Kultur, Martina Münch, und viele ehemalige Preisträger. Außerdem begrüßte Karin Fehres, DOSB-Vorstand Sportentwicklung, im Kongresshotel am Potsdamer Luftschiffhafen Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, den Präsidenten der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, die Gastgeber, Prof. Dr. Ralf Brand von der Universität Potsdam, und Prof. Dr. Ditmar Wick von der ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam, sowie den Präsidenten des Landessportbundes Brandenburg, Wolfgang Neubert. Das DOSB-Präsidium vertraten die Vizepräsidentinnen Prof. Dr. Gudrun Doll Tepper (Bildung und Olympische Erziehung) und Dr. Petra Tzschoppe (Frauen und Gleichstellung).
Die freie Wissenschaft sei ein ganz wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, sagte Ministerin Münch. Die Preisträger zeigten, wie groß und wichtig die Palette der Themen auch in der Sportwissenschaft sei. „Sportwissenschaft ist eine Grundlage für viele Erkenntnisse, die auch in andere gesellschaftliche Bereich reichen“, sagte sie.
Sport braucht wissenschaftliche Begleitung
Dieser Wissenschaftswettbewerb habe eine lange Tradition, sagte Gudrun Doll-Tepper in ihrer Festrede. Die Verleihung des DOSB-Wissenschaftspreises sei für den DOSB aber keine sportpolitische Pflichtübung, „denn Sportdeutschland braucht die Wissenschaft. Ja, der Sport braucht die wissenschaftliche Begleitung mehr denn je.“
Die DOSB-Vizepräsidentin erläuterte, wie die vielfältige Zusammenarbeit zwischen DOSB, Sportorganisationen und der Wissenschaft auf einer breiten und nahezu alltäglich bundesweiten Kooperation aufbaue. Sie nannte Beispiele zum Vereinssport, zum Leistungssport, zur Zusammenarbeit der Wissenschaft und der Deutschen Sportjugend und auch zur Inklusion. „Sie stehen stellvertretend für ein breites Projekt- und Themenspektrum. Sie machen zugleich deutlich, dass der DOSB nicht nur Abnehmer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, sondern auch konkret Verantwortung für diese Kooperation übernimmt“, sagte Gudrun Doll-Tepper und äußerte abschließend einen Wunsch: „Noch mehr Interesse der Sportwissenschaft an der Vereinspraxis“.
Joachim Wiskemann, Erster Preis
Joachim Wiskemanns Habilitationsschrift könne uneingeschränkt als grundlegend und wegweisend für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik "Körperliche Aktivität und Krebs" angesehen werden, erklärte das Kuratorium.
Sport- und bewegungstherapeutische Behandlungsansätze hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten bei zahlreichen Krankheitsbildern im Sinne einer unterstützen Therapie etabliert. Deren Evidenz werde historisch gesehen zunächst im Bereich der Herzkreislauferkrankungen erbracht. In den letzten Jahren seien jedoch zunehmend andere Krankheitsbilder ins Interesse der Forschung gerückt, im letzten Jahrzehnt auch onkologische Erkrankungen. Preisträger Wiskemann greife in seiner Arbeit die Thematik quantitativ und qualitativ in äussert beeindruckender Weise auf. Seine kumulative Habilitationsschrift besteht aus 19 Publikationen und einem 200-seitigen Manteltext, in dem er, so erläuterte Prof. Conzelmann, zahlreiche Facetten der Thematik aufgreife und sie sehr systematisch strukturiere.
Die Studien zeigten, dass die Leistungsfähigkeit bei Krebspatienten, die eine Chemotherapie erhalten haben, ähnlich niedrige Werte aufweise, wie bei schweren kardiologischen Erkrankungen. Dieses geringe Niveau lasse sich, wie Wiskemann eindrücklich aufzeige, durch geeignete Trainingsmassnahmen, insbesondere durch niederschwelliges Ausdauertraining, wesentlich verbessern. Diese Verbesserung wirke sich zudem positiv auf die das subjektive Wohlbefinden beeinträchtigende Nebenwirkungen aus, wie beispielsweise die Fatiguesymptomatik. Auch zeige sich, dass es, insbesondere durch den Einsatz eines möglichst ähnlichen Rollenmodells, möglich sei, die Aufrechterhaltung eines körperlich aktiven Lebensstils bei Krebspatientinnen und -patienten zu bewirken.
Wiskemann selbst erläuterte in seiner Erwiderung, dass es im Laufe seiner Arbeit gelungen sei, Sport den Stellenwert eines Medikaments in der Onkologie zu geben, auch wenn der Weg noch weit sei.
Conzelmann ergänzte, Wiskemann habe eine Arbeit vorgelegt, in der er sich auf ein bislang weitgehend unbeachtetes Anwendungsfeld der Sportwissenschaft begebe. Er tue dies erstens mit einer hohen sportwissenschaftlichen Expertise, welche trainings-wissenschaftliche, sportmedizinische und sportpsychologische Kenntnisse umfasst. Zum zweiten überwinde Wiskemann in seiner Arbeit die disziplinären Grenzen und zeige eindrücklich auf, dass praxisnahe Lösungen interdisziplinäres Denken erfordern. Und drittens, sagte Conzelmann, zeugten seine Arbeiten von einem hohen Mitgefühl "für eine Personengruppe, die Unterstützung wahrlich gebrauchen kann".
Monika Frenger, Zweiter Preis
Monika Frenger fasse in origineller Form gängige Annahmen zum Doping in fünf „Mythen" zu den Problemfeldern Kommerzialisierung, Medien- und Zuschauerinteresse, Athletengesundheit, Strafen sowie Breitensport zusammen und formuliere dazu jeweils Hypothesen, heißt es in der Begründung der Auszeichnung. Diese Hypothesen werden in den Teilstudien empirisch geprüft bzw. mathematisch modelliert. In der abschließenden Diskussion werden die Mythen mit den Befunden konfrontiert und schlüssige Erklärungen für Bestätigungen oder Abweichungen gegeben.
Insgesamt, so sagte Prof. Conzelmann, lieferten die Einzelstudien zum Teil überraschende Erkenntnisse, die Anregungen für weitere Forschungen geben und auch die bisherige Anti-Doping-Politik kritisch hinterfragten. Die herausragende Dissertation beschreite innovative methodische Wege und bereichere damit die quantitative empirische Sozialforschung in der Sportwissenschaft wesentlich.
Christian Puta, Zweiter Preis
Christian Puta, ebenfalls zweiter Preisträger, beschäftigt sich mit dem chronischen Rückenschmerz, einem Thema, sagte der Kuratoriumsvorsitzende, "das viele von uns aus persönlicher Erfahrung kennen und welches allein in Deutschland jährliche Kosten von ca. 50 Milliarden Euro verursacht". Putas Schrift greife neurophysiologische, medizinische und bewegungswissenschaftliche Methoden auf, um theoriegeleitet empirische Befunde primär an Schmerzpatienten, aber auch an gesunden Personen zu erheben.
Die besondere Stärke der Arbeit liege in der Weiterentwicklung eines konzeptuellen Rahmens, der zugleich die Struktur der Habilitationsschrift bildet. Sie sei in Theorie und Empirie sehr breit angelegt und weise eine hohe wissenschaftliche Qualität auf. Besonders hervorzuheben sei, so Conzelmann, dass die Arbeit in vorbildlicher Weise der Leitidee einer interdisziplinären Sportwissenschaft folge "und somit die Stärken unseres Faches in beeindruckender Form zum Ausdruck bringt".
Stefan Brost, Dritter Preis
Stefan Brost, einer der beiden dritten Preisträger, veranschauliche mit seiner Monographie zum Leistungsschutz für Sportveranstalter überzeugend die grosse Diskrepanz zwischen dem wirtschaftlichen Wert von Sportveranstaltungen und dem geringen rechtlichen Schutz der Sportveranstalter vor neuen Formen unbefugter unmittelbarer Leistungsübernahmen im Internet, z.B. in Form von illegalen Live-Streams, erläutere Prof. Conzelmann. Die Arbeit leiste einen substanziellen und enorm wichtigen Beitrag für den Schutz der Verwertungsrechte an Sportveranstaltungen.
Brost arbeite heraus, dass sich aus Grundrechtspositionen durchaus verpflichtende Maßnahmen des Gesetzgebers zur Formulierung von rechtlichen Maßnahmen zum Schutz der Veranstalterinteressen ableiten lassen, wobei er die Möglichkeit eines eigenen Leistungsschutzrechts diskutiere und überzeugend begründe. Interessant sei dabei auch der Vergleich mit Frankreich, wo ein solches Schutzrecht bereits existiere.
Theresa Hoppe, Dritter Preis
Theresa Hoppe schließlich habe mit dem Thema der Bewegungsförderung in Pflegeheimen eine Studie von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz vorgelegt. Sie bereichere sowohl die sportwissenschaftliche Forschung als auch unmittelbar die Pflegewissenschaft. Ziel der Studie sei eine kritische Analyse der Rahmenbedingungen körperlicher Aktivität von Heimbewohnern. Das Besondere des Projekts, so die Meinung des Kuratoriums, liege darin darin, dass diese Rahmenbedingungen aus der Innenperspektive der Organisation und unter Beachtung des Zusammenwirkens verschiedener Akteure untersucht werden.
So hätten Pflegekräfte oft defizitorientierte Vorstellungen über die körperlichen Potentiale von Pflegebedürftigen. Demgegenüber fühlten sich die noch mobilen Heimbewohner/innen wenig gefordert und entwickelten eine gewisse Antriebslosigkeit. Die Studie verdeutliche, erklärte Conzelmann, dass eine verstärkte körperliche Mobilisierung von Heimbewohnern gezielt angesteuert werden müsse und es dabei des konstruktiven Zusammenwirkens verschiedener Akteure bedürfe.