Eine Sportabzeichen-Idee, die reif für mehr als eine Urlaubsinsel ist

Sportlich betrachtet, ist der Strand von Langeoog etwas ganz Besonderes. Nirgends sonst an der deutschen Nord- und Ostseeküste werden Sportangebote für Touristen und Einheimische derart strukturiert und professionell angeboten.

 

Das Sportabzeichen kann auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog erworben werden. Copyright: picture-alliance
Das Sportabzeichen kann auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog erworben werden. Copyright: picture-alliance

Zum vielseitigen Repertoire am 60 Meter langen Sportstrand von Langeoog gehört traditionell, dass hier auch das „Deutsche Sportabzeichen“ abgelegt werden kann. Wobei dem so genannten „Sportorden“ keineswegs das Etikett eines netten Anhängsels oder Feigenblattes inmitten der täglichen Offerten in Sachen Beach-Volleyball, Soccer, Nordic-Walking, Strandgymnastik, Badminton und neuerdings auch dem Golfspiel im feinen Sand zukommt. Ganz im Gegenteil gebührt dem Sportabzeichen und dem Wunsch, möglichst viele Strandbesucher dafür zu begeistern, die ganz besondere Aufmerksamkeit. Seit dem vorigen Jahr nehmen nicht mehr wie bis dato die zwei, drei professionellen „Standsport-Lehrer“ nebenbei und zusätzlich und nur mehr am frühen Morgen die Prüfungen ab. Stattdessen kümmert sich nun eigens verpflichtetes Personal um diese Facette breitensportlicher Betätigung. Für das Sportabzeichen-Programm in der Deutschen Bucht konnte Kurdirektor Peter Wettstein einen ausgewiesenen Experten und langjährigen Langeoog-Fan gewinnen - Klaus Witte, beim Deutschen Sportbund (DSB) vormals Bundesbeauftragter für das „Deutsche Sportabzeichen“ und überdies langjähriger ehemaliger Vize-Präsident für Breitensport beim Landessportbund Niedersachsen.

Neuer Typus des freiwilligen Sportabzeichenprüfers

Als der Kurdirektor im vorigen Frühjahr Klaus Witte mit seiner Projektidee vertraut machte und ihn um die Namen geeigneter Prüfer bat, die zu diesem Zweck in der Hauptsaison praktisch dauerhaft auf Langeoog Quartier beziehen könnten, entgegnete der ehemalige Sportlehrer knapp: „Einer sitzt schon vor dir!“ Ehefrau Ursula anschließend von der Aufgabe zu überzeugen, das war für den 72-Jährigen relativ leicht. Schließlich sei sie „schon immer verliebt in diese Insel“ gewesen. Wegen der relativ kurzen Anlaufzeit konnte das Ehepaar 2008 in Sachen Sportabzeichen nur von Mitte Juni bis Ende August helfen. In diesem Jahr jedoch reisten Beide schon Mitte Mai an und blieben bis zum vergangenen Wochenende und vermochten in dieser Phase, einen völlig neuen Typus des freiwilligen Prüfers zu entwickeln. Die Wittes verstanden sich selbstverständlich nicht als die strengen Abnehmer, die unnachgiebig darüber wachten, ob die weitestgehend am Strand erbrachten Leistungen im Laufen, Springen oder Werfen in den jeweiligen Disziplinen mit den geforderten Bedingungen korrespondierten und die vorgeschriebenen Normen erfüllt wurden. „Vielmehr wollten wir echte Betreuer sein, die sich mit den Leuten freuen, die ihnen Mut machen und mit ihnen fiebern. Der gemeinsame Tenor war stets: Wir schaffen das!“ schildert Klaus Witte die spezielle „Langeoog-Philosophie“ auf dem Weg zu breitensportlichen Meriten, die man keineswegs geschenkt bekommt und die man schon gar nicht irgendwo käuflich erwerben kann.

Wenn Klaus Witte seine gerade zu Ende gegangene „Sportorden“-Saison Revue passieren lässt, dann klingt es sehr danach, als sei da im hohen Norden eine sukzessive, eine wahre „Sportabzeichen-Familie“ begründet worden. Kinder hätten ihre Eltern bei der Hand genommen und angemeldet. Eltern, die ihre Kinder anmelden wollten, wurden plötzlich selber animiert und motiviert, sich sofort einmal in den leichtathletischen Disziplinen zu versuchen. Ferienstimmung und Ambiente mochten das beigetragen haben, „dass viele Familien zu viert oder zu fünft gemeinsam bei uns vorbeikamen“. Angespornt wurden die Akteure zusätzlich durch andere „Willige“ sowie von einer ganzen Reihe von Zuschauern, die sich vor allem in den Wochen der absoluten Hochsaison rund um den Strand-Sportplatz aufhielten. „Für besonders gute Leistungen gab es natürlich anerkennenden Applaus. Ich denke, die gesamte Atmosphäre wirkte einladend und anspornend zugleich und wir waren außerdem so etwas wie eine kleine Kontaktbörse“, blickt der frühere DSB-Funktionär auf die vergangenen vier Monate zurück. Nicht selten hat er beobachtet, dass kleine wie große Menschen beim Sportabzeichen am Strand miteinander in Kontakt kamen, sich kennen lernten, anfreundeten und die Anonymität durchbrachen.

Mehr als 900 Urlauber und Einheimische sportlich bewegt

Fünf Mal pro Woche zu festen Terminen offerierten die Wittes ihr spezielles Angebot. Einmal wurde zu 9.00 Uhr und viermal wurde - sehr Familien freundlich - um 17.00 Uhr eingeladen, um sich am Strand im Weitsprung, Weitwurf und Kugelstoßen zu versuchen. Als Untergrund für die Sprintstrecken diente in diesem Sommer erstmals eine vor dem Strand entstandene und etwa 250 Meter breite Sandbank, durch die die Brandung den eigentlichen Sportstrand nun - leider - nicht mehr erreicht. Die Prüfungen fürs Schwimmen werden im nahe gelegenen Meerwasser-Erlebnisbad abgenommen, die längeren Laufstrecken führen abseits des Strandes über befestigte Straßen durchs Wohngebiet. „Unser größter Vorteil bestand darin, dass wir sehr flexibel sein konnten“, erklärte Klaus Witte, dass die genannten Termine nur ein grobes Gerüst darstellten. Das Ehepaar, das eigens als Reisende in Sachen Sportabzeichen auf Langeoog in einer von der Kurverwaltung bereitgestellten Wohnung sein Dauerquartier genommen hatte, konnte je nach Wind- und Wettersituation ad hoc umdisponieren. Für jemanden, dem der Weitsprung suspekt war, wurde schon mal schnell der Hochsprung angeboten. Herrschaften, die sich auf kürzeren Laufstrecken eher unwohl fühlten, durften 20 Kilometer Rad fahren oder mit ihren nordischen Stäben sieben Kilometer walken.

Einschließlich der gesamten Nachbereitungsarbeiten am Abend seien er und seine Frau durchaus auf ein wöchentliches Arbeitspensum von etwa 30 Stunden gekommen, resümiert Witte und ist gewiss: Der Einsatz auf der Insel hat sich gelohnt. „Wir sind sehr zufrieden. Das hat sich eingespielt“, lautet das erfreuliche Fazit. Für 2010 gebe es „klare Perspektiven“. Hätten die „Nebenbei-Prüfer“ vom Sportstrand in den vergangenen Jahren selbst in sehr guten Sommern um die 300 Sportabzeichen verliehen, so war die Zahl der Ausgezeichneten diesmal bis Ende August bereits auf über 500 empor geschnellt. Insgesamt mehr als 900 Urlauber, Einheimische und Gäste konnten dank des Engagements der Wittes - in enger Zusammenarbeit mit dem Standsport-Team - „bewegt werden“ und hatten die Normen zumindest in Angriff genommen und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Vorgaben keineswegs wie selbstverständlich zu erfüllen sind. Man muss schon fit sein, lautete ebenfalls die Erkenntnis der etwa 100 Mädchen und Jungen der Inselschule Langeoog, die sich an einem eigens organisierten „Sportabzeichentag“ am Strand tummelten. Drei Viertel von ihnen haben die Übungen fürs Sportabzeichen erfolgreich absolviert.

Die älteste Teilnehmerin, die am Inselstrand erfolgreich war, zählte übrigens 84 Jahre. Die Frau hatte vor exakt 20 Jahren letztmals eine Sportabzeichenprüfung abgelegt und sich unter dem Applaus der Zuschauer von der besonderen Atmosphäre sichtlich anstecken lassen.

„Das müssen Andere nur kopieren“

Angesichts des Erfolgs mit relativ bescheidenen Mitteln wundert sich Klaus Witte, dass die Idee anscheinend kaum Nachahmer gefunden hat. Schöne Strände mit gut gelaunten Feriengästen, die für Sport und Spiel zu begeistern sind, gebe es schließlich genügend. Warum die Langeoog-Rezeptur nicht auf andere Strände zwischen Borkum und Usedom übertragen? Schon vor zehn Jahren hatte der damalige Deutsche Sportbund einmal Anlauf genommen, sämtliche Kurorte in Deutschland als besonders geeignete Partner für das Sportabzeichen zu gewinnen. Zählbare Resonanz hat es bis heute augenscheinlich nur auf Langeoog und - etwas abgewandelt - in Spiekeroog gegeben, wo sich am Strand regelmäßig Sportlehrer um den „Sportorden“ verdient machen. „Das müssten Andere nur kopieren“, betont der frühere Sportabzeichen-Beauftragte des DSB und des LSB von Niedersachsen, der seinem von ihm über viele Jahre ehrenamtlich betreuten Fachgebiet nun im Ruhestand auf außergewöhnliche und vorbildliche Weise verbunden bleibt.

Solche Enthusiasten ausfindig zu machen, das scheint das große Erfolgs-Geheimnis. Ob sich Menschen bereit finden, im Dienste des Sportabzeichens ihre Freizeit zur Verfügung zu stellen oder sogar mehrere Monate Haus und Hof im Stich zu lassen, das scheint bei der Multiplikation des ostfriesischen Vorbildes die große Krux. Bei den Wittes zuhause in der 13.000 Einwohner zählenden niedersächsischen Gemeinde Scheeßel hat in den vergangenen Monaten regelmäßig der Sohnemann den Briefkasten geleert. Außerdem schaute ein Nachbar immer mal nach dem Rechten. „Das“, sagt Klaus Witte, „sind natürlich Voraussetzungen, ohne die es bei uns nicht funktioniert hätte.“


  • Das Sportabzeichen kann auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog erworben werden. Copyright: picture-alliance
    Das Sportabzeichen kann auch auf der ostfriesischen Insel Langeoog erworben werden. Copyright: picture-alliance