Barrierefreiheit bei der EURO 2024

Von stressigen Einlasssituationen bis hin zu hervorragenden neuen Plätzen – seine Erlebnisse bei der EURO 2024 schildert Tyll Reinisch, Fußballfan, Rollstuhlfahrer und Event-Inklusionsmanager.

Tyll Reinisch auf einem der Rollstuhlplätze im Stadion, hinter ihm das Spielfeld
Tyll Reinisch testet Fußballstadien auf Barrierefreiheit / Foto: Tyll Reinisch

Seine Erlebnisse sind ein Spiegelbild der Fortschritte und Herausforderungen in Sachen Barrierefreiheit. Tyll Reinisch, Fußballfan, Rollstuhlfahrer und Event-Inklusionsmanager der 1. Phase will in 24 Monaten alle 36 Fußballstadien der 1. und 2. Bundesliga besuchen und auf Barrierefreiheit testen.„Das Gefühl, EM-Finalkarten zu bekommen, ist unbeschreiblich. Es ereilte mich an einem kalten Januar-Tag, dem 25. Januar 2024, mitten im Büro. Einige Wochen zuvor hatte ich mich auf einen Hinweis aus meinem Netzwerk, dass in der ersten Verlosungsrunde nicht alle Rollstuhlfahrerkarten zugeteilt werden konnten, einfach mal für ein paar Spiele beworben. Insgesamt hatte ich mich für die großen Spiele, Eröffnung und Finale sowie alle Spiele in Hamburg beworben. Bekommen habe ich zunächst nur diese eine Karte für das Finale.

Nachdem ich gesehen habe, dass nicht alle Spiele ausverkauft waren, habe ich mich um weitere Karten beworben und  durfte  ganz spontan drei Spiele in Hamburg besuchen und sogar für die UEFA auf Barrierefreiheit checken.

Die UEFA ist sicherlich nicht der Heilsbringer für die Barrierefreiheit in den Stadien, aber sie wirft ein Licht auf all das, was bisher noch nicht so gut läuft. Die klaren Vorgaben haben in den von mir besuchten Stadien zu merklichen strukturellen Verbesserungen geführt (Verbesserung der Plätze, der sanitären Infrastruktur, der Ausschilderung und Weg- Führung). Darüber hinaus glänzt die Organisation natürlich durch die vielen eingesetzten Helfer*innen und Volunteers. Dies bestätigt meine Theorie: Persönliche Ansprechbarkeit und Repräsentanz kann vieles wettmachen, was an struktureller Barrierefreiheit (noch) nicht gegeben ist. Ein solcher Personalschlüssel ist sicherlich im regulären Ligabetrieb nicht aufrechtzuerhalten, zeigt aber dennoch, dass persönliche Kontakte und Unterstützungen einen großen Effekt auf das gemeinsame und inklusive Stadionerlebnis haben.

Berlin, Berlin, der Einlass in Berlin

Der Eingang zum Stadion war teilweise stressig und nicht alleine erreichbar. Es gab zwar einen speziellen und mittelmäßig gut ausgeschilderten Eingang für Rollstuhlfahrer*innen, aber trotz unserer rechtzeitigen Ankunft war der Zugang durch Wartende blockiert. Erst durch die Hilfe der Polizei konnte der abgesperrte Bereich geöffnet werden, um mich und andere Rollstuhlfahrer*innen durchzulassen. Dies hätte man von vornherein besser planen können. Auch hier war der Sicherheitscheck wieder sehr oberflächlich; dies zieht sich als Konstante durch fast alle meine Berichte.

Angekommen im Stadion: Die (fast) perfekten Plätze

Die neuen Plätze für Rollstuhlfahrer*innen im Berliner Olympiastadion verfolgen eines der besten Konzepte, die ich kenne: Die Plätze an sich befinden sich auf einer kleinen Plattform, die von oben etwas in den darunterliegenden Block hineinreicht. Dadurch sitzt man ausreichend hoch und kann auch, wenn alle vor einem aufstehen, einen guten Überblick behalten. Dass diese Plätze dem häufig als Gegenargument eingeführten Denkmalschutz zum Trotz hier errichtet und nach der EM auch aufrecht erhalten werden zeigt, dass wo ein Wille , eben auch ein Weg ist.

Die Begleitpersonen sitzen dann hinter den Rollstuhlfahrenden, wobei dieser Sitz auf einer Schiene montiert ist und sich somit nach vorne und hinten schieben lässt. Je nachdem, ob gerade Platz (zum Beispiel zum Rangieren), mehr Platz (für größere Rollstühle) oder eben kein Platz mehr (wenn alle sitzen und das Spiel losgeht) benötigt wird, kann man dies also problemlos anpassen. Ich finde das eine sehr gute Lösung, und hoffe, dass dieser Mechanismus lange hält und seinen Weg in andere Stadien finden kann.

Die neu geschaffenen Plätze für die Begleitpersonen in Hamburg beispielsweise befinden sich rund zwei Meter hinter den Rollifahrern. Hier ist während des Spiels weder eine Interaktion mit der Begleitperson möglich, noch können die Begleitpersonen überhaupt irgendetwas sehen, wenn alle Rollstuhlfahrer*innen da sind, da die Plätze, anders als in München, auch nicht erhöht sind.

Hoffnungsvoller Ausblick

Trotz einiger Herausforderungen war das EM-Finale 2024 ein gelungenes Event. Besonders die Organisation der Abreise hat mich begeistert. Wie auch andernorts werden mobilitätseingeschränkte Personen in Berlin auf dem Weg zur U-Bahn in einen separaten, barrierefreien Eingang geleitet, wobei Security dafür sorgt, dass eben auch nur diese Personen dort hineinkommen. Auf diese Weise ist es relativ gut möglich, den ÖPNV zu nutzen, was bei solch großen Menschenmassen nicht selbstverständlich ist oder anders einfach nicht möglich wäre.

Insgesamt war die Sicht großartig, lediglich die Nummerierung, Beschilderung und der Eingang könnten noch klarer gestaltet sein. Ich freue mich auf zukünftige Veranstaltungen im Olympiastadion und hoffe, dass die Barrierefreiheit weiter verbessert wird.

Was bleibt?

Na klar, eine EM und dann noch ein Finale ist etwas ganz Besonderes. Da lässt auch über vieles hinwegsehen, da man sich einfach nur freut, dabei sein zu können. Dass die UEFA dabei ein besonderes Verfahren für die Tickets hat und wahnsinnig viele Volunteers einsetzen kann, sind nur ein paar der Dinge, die sich in einen regulären Ligabetrieb nicht übernehmen lassen.

Doch es gibt auch langfristige Perspektiven:

So hat die EM gezeigt, dass vieles in Bewegung gesetzt werden kann, wofür „wir einfachen Fans“ schon lange kämpfen — bessere Plätze, bessere sanitäre Infrastrukturen, Gleichberechtigung bei An- und Abreise und Informationen zu den wichtigsten Infos zum Besuch im Vorfeld.

Der UEFA-Reiseführer macht dabei sehr vieles richtig, schaut sich natürlich auch einiges vom Bundesliga-Reiseführer ab und macht letzteren für den Regelbetrieb hoffentlich seinerseits auch etwas besser.

Neben diesen bereitgestellten Informationen sind es, zumindest in meiner Perspektive, eben vor allem die kleinen Dinge, die einem das Gefühl des Willkommen-Seins geben. Eine sichtbare Ansprechperson, die benannten Infos im Vorfeld und klare Ausschilderungen sind Maßnahmen, die auch kleine Vereine umsetzen können oder die auch im Liga-Betrieb von egal welcher Liga nützlich sind. Dass Berlin und Hamburg nun zu den Standorten gehören, welche die neu geschaffene Infrastruktur nach der EM auch erhalten, ist dann noch die Kirsche auf der Torte und macht besonders diese Standorte attraktiver für ALLE Fans.“

Weiterführende Links:

  • UEFA-Eventguide: Wie lange der Guide noch online ist, kann ich nicht sagen, aber ein Blick lohnt sich, da es hier viele und teils weiterführende Informationen (auch zur Barrierefreiheit) zu jedem EM-Stadion gibt: https://de.uefa.com/euro2024/event-guide/
  • Der Bundesliga-Reiseführer ist erste Anlaufstelle, wenn es um barrierefreie Stadionbesuche geht: https://www.bundesliga-reisefuehrer.de
  • Die ARD-Dokumentation „Zu wenig Rollstuhlplätze in der Bundesliga“ hat Anfang des Jahres ein Licht auf die Situation geworfen und blickte damals nicht nur auf die EM, sondern auch auf die Zeit danach: https://www.ardmediathek.de
  • Tylls Reise, in 24 Monaten alle 36 Vereine der 1. und 2. Bundesliga auf Barrierefreiheit zu testen: Meine Berichte gestalte ich zeitgemäß und publiziere sie auf TikTok, YouTube, LinkedIn, Instagram und als Text im eigenen Blog. Aktuell kann ich nur leisten, darüber zu berichten, was ich selbst erlebe. Ich freue mich daher über weitere Perspektiven, Berichte und den gemeinsamen Austausch, damit wir zusammen für mehr Barrierefreiheit in deutschen Stadien kämpfen können. Alle meine Links verstecken sich hier: http://qr1.at/bndf (BndF = die Abkürzung für das Projekt: „Behindert Nicht Den Fußball“).
  • Meine kurzfristig angesetzten Besuche während der EM habe ich über den englischen Verein AccesibAll organisiert bekommen. Diese waren von der UEFA beauftragt, die Barrierefreiheit zu dokumentieren. Aber auch so kann sich jede und jeder an den Verein wenden und nach jedem Stadionbesuch die kurze Umfrage ausfüllen, um wiederum dazu beizutragen, möglichst viele Perspektiven zu sammeln und so langfristig eine Verbesserung für alle zu bewirken; siehe: https://www.accessiball.com

(Quelle: Tyll Reinisch)


  • Tyll Reinisch auf einem der Rollstuhlplätze im Stadion, hinter ihm das Spielfeld
    Tyll Reinisch auf einem der Rollstuhlplätze im Stadion, hinter ihm das Spielfeld