„Es bringt doch nix, wenn man immer daheim sitzt“

Experten aus Wissenschaft, Politik und der Sportpraxis diskutierten am Montag (11.12.) beim Festakt „20 Jahre Sport der Älteren“ des DOSB im Historischen Museum in Frankfurt über Sport im Alter.

Demografischer Wandel Sport der AElteren Podium Diskkussion Loecke Foto Karsten Thormaehlen
Demografischer Wandel Sport der AElteren Podium Diskkussion Loecke Foto Karsten Thormaehlen

„Sport bedeutet mir alles“, sagt  Eduard Schwägerl. Der 96-Jährige war am Montag Ehrengast beim Festakt „20 Jahre Sport der Älteren“ des DOSB im Historischen Museum  in Frankfurt.  Der frühere Bankangestellte begann erst mit 50 Jahren mit regelmäßiger Bewegung.  Seitdem lässt ihn der Sport aber nicht mehr los. Jedes Jahr absolviert er das Deutsche Sportabzeichen – selbstverständlich in Gold.  Jeden Morgen macht er seine 20 Liegestützen und fährt 20 Kilometer Rad. „Es bringt doch nix, wenn man immer daheim sitzt“, sagt „Goldjunge“  Schwägerl und gibt gleich einen wichtigen Tipp für diejenigen, die sich noch nicht körperlich betätigen. „Man muss den Mut haben, einfach anzufangen!“

So sehen das auch die Experten aus Wissenschaft, Politik und der Sportpraxis, die gestern in zwei von Clemens Löcke, Geschäftsführer der Eintracht Hildesheim, fachkundig moderierten Diskussionsrunden darüber sprachen, wie Menschen das Alter gut gestalten und wie Sportvereine und Kommunen sie dabei unterstützen können. Denn Eduard Schwägerl gehört zu den 15 Prozent, die etwas für sich tun. Die große Mehrheit der Menschen über 60 Jahre ist nicht aktiv genug, so die einhellige Meinung. Eine Aufgabe, der sich Sportvereine und Kommunen und andere gesellschaftlichen Institutionen annehmen müssen.

Durch Sport und Bewegung kann Pflegebedürftigkeit verhindert und die Selbstständigkeit im Alter erhalten werden. Regelmäßiges Sporttreiben verbessert nicht nur die Chancen auf anhaltende Gesundheit, viele Krankheiten treten bei regelmäßiger Bewegung erst gar nicht auf. Nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit wird durch Sport und Bewegung gesteigert, auch die Gehirn- und Gedächtnisleistung kann verbessert und das Risiko demenzieller Erkrankungen gar deutlich verringert werden. Selbst bei hochaltrigen Menschen lassen sich sehr gute Trainingseffekte erzielen.

Babyboomer gehen bald in Rente und wollen bewegt werden

„Aufgrund des demographischen Wandels wird der Sport der Älteren immer wichtiger für die Sportvereine in Deutschland“, sagte Ute Blessing-Kapelke, die beim DOSB den Fachbereich Sport der Generationen leitet.  Die Veränderung der Altersstruktur in der Bevölkerung stelle eine enorme gesellschaftspolitische Aufgabe dar. Die stärker wachsende Klientel - die Generation der „Babyboomer“ erreichen in den nächsten Jahren das Rentenalter - wird mit neuen Erwartungen und Bedürfnissen auf die Sportvereine zukommen.

„Das ist eine Entwicklung, auf die wir viel zu spät reagiert haben“, sagt Prof. Clemens Becker, Leiter der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart. Das Altersbild in Deutschland werde sich noch stärker verändern. Ältere würden selbstbewusster, seien  allgemein gut gebildet und flexibel. „Vor allem für die Menschen, die bald in Rente gehen, brauchen wir differenzierte Angebote“ appelliert Becker.

Ältere sind eine heterogene Bevölkerungsgruppe, die mehrere Generationen umfasst, vom 50-Jährigen Enkel bis zur 100-Jährigen Großmutter. Die Zielgruppen der „jungen Alten“, der „Älteren“ und der „Hochaltrigen“ haben sehr verschiedene Bedürfnisse für Sport und Bewegung. Prof. Ursula Lehr, die über viele Jahre den Lehrstuhl für Gerontologie der Universität Heidelberg leitete, brachte auch die Altenheime ins Spiel, in denen es viel zu wenig Bewegung gebe. „Dort gibt es viele neue Aufgaben für den Sport“, sagt die heute 87-jährige stellvertretende Vorsitzende der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen).

Schneeloch: "Rezept für Bewegung greift nicht, wie es greifen müsste"

DOSB-Vizepräsident Walter Schneeloch ergänzte ein Beispiel aus dem Sport. Der Landessportbund Nordrhein-Westfalen habe das Projekt „Bewegende Alteneinrichtung“ ins Leben gerufen. Schneeloch betonte aber auch: „ Vor allem viele Spitzenverbände haben noch nicht ihre Möglichkeiten ausgeschöpft, Angebote an Ältere zu machen.“  So früh wie möglich Menschen in Bewegung bringen sei ein wesentlicher Faktor. Auch der betriebliche Gesundheitssport könne das unterstützen. „Wer gewohnt ist, im Berufsleben begleitend Sport zu treiben, der überträgt das auch leichter in die Freizeit und in den Ruhestand“. Kritik übte Schneeloch an den Ärzten: „Wir haben mit dem Rezept für Bewegung der Ärzteschaft ein passenden Angebot serviert, das sie an ihre Patienten verschreiben können. Aber es greift leider nicht in der Form, wie es greifen müsste.“ Clemens Becker schlug vor, in Anlehnung an die medizinischen Untersuchungen bei Kindern auch bei Älteren Untersuchungen wie Ü65, Ü70 usw. einzuführen. Am Ende stünde dann ein individueller Bewegungsplan.

Durch Sport und Bewegung könnten bis ins höchste Alter noch gesundheitliche Verbesserung der körperlichen wie auch geistigen Leistungsfähigkeit erreicht werden, es sei nie zu spät anzufangen, sagte die Übungsleiterin Dany Kupzik, die eine vielfältige Palette von sportlichen Angeboten für Ältere unterrichtet. Sie ist sich sicher, dass jeder Mensch in jedem Alter einen natürlichen Bewegungsdrang hat. „Es gibt sehr viele Angebote für Ältere, man muss nur richtig hinschauen.“  Wichtig sei es für Sportvereine, auch bisher weniger sportaffine Ältere z.B. durch die Kooperation mit Senioren- und Gesundheitsorganisationen zu erreichen.

Eine differenzierte Angebotsstruktur müsse sich an den Motiven, dem Erfahrungshintergrund und den Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe orientieren und auch die Art und Intensität der bisherigen Sporterfahrung beachten, hoben Clemens Becker und auch Ursula Lehr hervor. „Sport der Älteren umfasst daher gesundheits- und fitnessorientierte Angebote genauso wie Wettkampf- und Leistungssport oder auch Bewegungsangebote für Hochaltrige, wie z.B. Sturzprävention“ so Becker.

Sportangebote auch auf die Lebenssituation abstimmen

Dr. Monika Köster von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) lenkte den Blick auf die Situation vor Ort. „Die Zielgruppe der Älteren und Alten ist ja nicht homogen. Wir müssen darauf schauen, wo sie leben, in der Stadt, auf dem Land oder gar in sozialen Brennpunkten. Das müssen wir bei den Entwürfen für Angebotsstrukturen berücksichtigen.“  Die Sportwissenschaftlerin, die über viel Erfahrung im Bereich der bundesweiten Marktanalysen über Akteure, Anbieter und Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung/Prävention verfügt, hält die Partizipation aller Beteiligten  für eine zentrale Frage. „Die BZgA orientiert sich an der Praxis, indem wir alle Player ernstnehmen und  zusammenbringen – natürlich auch die Wissenschaft und den organisierten Sport.“

Dem Vorsitzenden des Sportkreises Frankfurt, Roland Frischkorn, ist die soziale Öffnung der Sportvereine ein großes Anliegen: „Es gibt in Frankfurt zwar einen Sportentwicklungsplan, aber häufig ist der Sportverein der einzige Umsetzer, sozusagen die Feuerwehr. Nur, dass er nicht von Anfang an in die Sache einbezogen ist.“ Dabei habe der Sportkreis eine große Verantwortung, alle Zielgruppen in Bildung, Kultur, Integration und Soziales zu bündeln. „Unser Anliegen ist es, für jedes Bedürfnis  ein Angebot, einen Verein zu finden“, versprach Frischkorn.

Sporträume in Stadt und Gemeinden intelligent gestalten

Michael Hofmeister, Leiter des Sozialreferats des Hessischen Städtetages vertrat in Frankfurt den Deutschen Städtetag und den Städte und Gemeindebund. Der Jurist bekannte, dass in vor allem kleineren Städten und Kommunen häufig eine ressortübergreifende Planung fehle und bekräftigte: „Sportstätten, aber auch Parkanlagen und andere Räume in der Stadt, müssen so intelligent gestaltet und eingebunden sein, dass Menschen motiviert werden, sich dort sportlich zu bewegen.“ Hofmeister nannte in diesem Zusammenhang auch die Trimm-Dich-Pfade und Bewegungsparcours, die immer mehr Kommunen zurzeit wiederentdeckten und neu in das Stadtbild integrierten.

Alle an den Diskussionen Beteiligten betonten, wie wichtig für Ältere auch das gesellige Angebot der Sportvereine ist, denn gerade im Alter leben immer mehr Menschen alleine. Die Vereine werden somit eine Art soziale Begegnungsstätte für alle Generationen, die der Vereinsamung im Alter entgegensteuert. Walter Schneeloch rief aber auch die Älteren dazu auf, ihre Kompetenzen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen, denn „ohne die Älteren geht nichts im Ehrenamt der Sportvereine in Deutschland“.

Zusammenfassend sagte am Ende der Veranstaltung Dr. Karin Fehres, Vorstand Sportentwicklung im DOSB, der organisierte Sport erwarte von der Politik, dass sie die Wichtigkeit von Bewegung und Sport für ein aktives Leben im Alter in der Alterspolitik anerkennt und damit auch die Positionierung des DOSB als wichtiger Akteur in diesem Bereich bekräftigt.  „Um ein breites Angebot für die verschiedenen Bedürfnisse der Älteren ausbauen zu können, insbesondere für schwer zu erreichende Zielgruppen, benötigen wir die Unterstützung durch die Politik in Form von Projekten und Maßnahmen.“

(Quelle: DOSB/Markus Böcker)


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