Es gibt viel zu tun

Integrationsarbeit in Ostdeutschland vollzieht sich unter tendenziell schwierigeren Umständen als im Westen. Die Idee von Vielfalt muss sich erst entwickeln, auch im Sport. Der Prozess läuft.

Fußballspiel zwischen Abraumhalden in den neuen Bundesländern (Foto: picture alliance)
Fußballspiel zwischen Abraumhalden in den neuen Bundesländern (Foto: picture alliance)

Integration ist ein langer Weg. Und im Osten der Bundesrepublik ist er noch ein bisschen länger, jedenfalls im Vergleich zum Westen. Aber nicht – angesichts wiederkehrender Diskussionen um rechtsextreme Gewalt in den Neuen Ländern sei das betont - weil die Menschen grundsätzlich anders wären. Sondern weil die Umstände andere sind. Fragt man Martina Spindler, sächsische Landeskoordinatorin im Programm „Integration durch Sport“, was ihre Arbeit von der in Hessen oder Nordrhein-Westfalen unterscheide, antwortet sie: „alles“. 

Das ist natürlich zugespitzt, aber treffend. Ob man die Geschichte der Zuwanderung und Integration in Ex-DDR und früherer BRD vergleicht; ob man den jeweiligen Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung betrachtet, inklusive der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer und der Herkunftsländer; ob man die Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten gegeneinander hält oder die Sozial- und Infrastruktur: Stets werden große bis größte Differenzen deutlich. In der Summe scheinen die Bedingungen für ein Zusammenwachsen der Kulturen im Westen der Republik ungleich günstiger. 

Das gilt auch für die Bedingungen im Sport. Im Landessportbund Sachsen, sagt Martina Spindler, liegt der Anteil der Kleinstvereine – keine 100 Mitglieder - bei 64 Prozent. Ihr Kollege Uwe Koch, der die Arbeit von „Integration durch Sport“ in Brandenburg koordiniert, spricht für den dortigen LSB von „10 bis 12 Großvereinen mit über 1000 Mitgliedern“ - nicht ganz so viel wie im Sportkreis Wiesbaden. Je nach Region erschwert zudem die Abwanderung gerade engagierter Menschen die Suche nach Ehrenamtlichen, und da die knappe personelle Kraft mit knappen finanziellen Ressourcen einhergeht, fällt es vielen Vereinen schwer, integrative Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Abgesehen von der Frage der Prioritäten. Koch: „Die meisten Vereine stehen mit den Füßen im Wasser, nicht wenige auch bis zum Hals, vor allem in strukturschwachen Regionen. Die drückt der Schuh eigentlich an anderer Stelle.“ 

Wenig Zuwanderung, viel zu tun

Gerade in strukturschwachen Regionen ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund – der laut statistischem Bundesamt in keinem der fünf ostdeutschen Länder 5 Prozent übersteigt – gering, auch in Sportvereinen. Besteht dort also nicht ohnehin weniger Integrationsbedarf? Im Gegenteil, glaubt Koch. „Wir müssen die Stützpunktvereine in den ländlichen Gebieten besonders stärken.“ Denn wo Vielfalt nicht gelebt wird, ist auch die Idee davon unterentwickelt. Koch, Diplom-Soziologe, illustriert diesen Zusammenhang, wenn er über Brandenburg sagt: „In dem Land, in dem es die wenigsten Muslime in Deutschland gibt, ist die  Muslimfeindlichkeit laut einer Umfrage am größten.“ 

Auch im städtischen Umfeld müssen die Integrationsarbeiter mit Gegensätzen leben. Birgit Hiebner hat als Vizepräsidentin des Chemnitzer Freizeit und Wohngebietssportsvereins (CWSV) Umgang mit geschätzt 15 Prozent Mitgliedern mit Migrationshintergrund. Weil es im Umfeld, einem sozialen Brennpunkt, einige Rechtsextremisten gibt, kann sie nicht ausschließen, dass sich der ein oder andere im CWSV bewegt. Die Grenzen sind klar: „Rassistische Parolen oder ähnliches lassen wir nicht zu.“ 

Die Tatsache, dass es in den Neuen Ländern relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund gibt (keine 4 Prozent der bundesdeutschen Gesamtzahl von 16 Millionen) vereinfacht die Integrationsarbeit also nicht - andere Faktoren erschweren sie. Migrantenorganisationen etwa, für Vereine im Westen oft Mittler zur Zielgruppe, entwickeln sich laut Uwe Koch erst allmählich. Und beide Landeskoordinatoren weisen darauf hin, dass die für die frühere DDR typischen Zuwanderergruppen aus Russland, Vietnam oder Moçambique „häufig in geschlossenen sozialen Räumen“ lebten. Was primär daraus resultiert, dass viele Migranten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, wie die promovierte Sozialpädagogin Karin Weiss betont, einst Integrationsbeauftragte von Brandenburg, nun Leiterin die Integrationsabteilung in der Landesregierung Rheinland-Pfalz (siehe Interview). 

Wo Austausch weniger geübt wurde, muss er gründlicher vorbereitet werden – beiderseits. „Für uns ist es primär, die Vereine für den Gedanken der Integration zu öffnen. Das muss ich im Westen nicht in gleichem Umfang“, sagt Spindler. Koch ergänzt: „Das Problem liegt darin, die Migranten zu erreichen – Integration ist bei uns zunächst aufsuchende Arbeit.“ Und zwar aufsuchende Arbeit mit Weitsicht. Koch: „Wir haben mal eine Streetball-Tour gemacht. Im Ruhrgebiet hätte man die leicht nur für Migranten ausschreiben können. In Brandenburg ging das nicht, sonst hätten sie nur drei Teilnehmer gehabt.“ Balance ist entscheidend. Während Koch erläutert, man müsse „die wenigen Migranten, die wir haben, umso intensiver fördern“, weist Spindler ebenso plausibel darauf hin, man dürfe „den sozialen Frieden nicht stören“. Wenn ein Verein etwa Migranten oder Hartz-IV-Empfänger vom Beitrag befreie statt generell sozial Benachteiligte, könne das nach hinten losgehen. 

Es bewegt sich was

Die Balance, der innere Frieden: Ernst Urban, hauptamtlicher Übungsleiter und zweiter Vorsitzender des UBV 1948 Schwedt, macht sich darum keine akuten Sorgen.  Schwedt, etwa 35.000 Einwohner, liegt in der strukturschwachen Uckermark. Der UBV ist ein Schwergewicht im Boxsport und sächsischer Leistungsstützpunkt. Und, apropos Stützpunkt, er kooperiert seit 2008 mit „Integration durch Sport“. Der Migrantenanteil, laut Urban vereinsübergreifend hoch, erreicht bei boxenden Jungs bis zu 50 Prozent. Die meisten von ihnen sind Aussiedler der zweiten Generation, „zweisprachig erzogen und eigentlich voll integriert“, so Urban. Zudem brächten sie, den Trainer freut's, viel Ehrgeiz und Disziplin mit. Einige von ihnen habe man an die sportliche Spitze herangeführt. Freilich: Migranten in verantwortlicher Position hat der Verein zurzeit nicht. Nur manchmal werden ihm von der Agentur für Arbeit meist russlanddeutsche Langzeitarbeitslose – laut Urban viele mit akademischer Ausbildung – als Übungsleiter und ehrenamtlicher Helfer vermittelt. 

Der Weg ist weit, aber er ist beschritten, so stellt sich das auch bei Urbans Kollegin Birgit Hiebner vom Chemnitzer Wohngebietssportverein dar - und doch ganz anders. Sie will nicht verschweigen, in Sachen Disziplin und Verlässlichkeit nicht nur gute Erfahrung zu machen mit den sozial häufig bedrängten Migranten ihres Vereins. Aber sie sagt: „Sie bringen und fühlen sich ein.“ Hiebner hält engen Kontakt zu städtischen Stellen wie dem „Ausländeramt“, der Arbeiterwohlfahrt oder einem Jugendclub, um den einen oder anderen sozial Benachteiligten auffangen zu können. 

Die Kreise langsam weiter ziehen, darum geht es auf allen Ebenen. Sachsens Landeskoordination hat Elemente des Fortbildungskonzepts „Sport Interkulturell“ in die Trainerausbildung integriert. „So kommen alle lizenzierten Übungsleiter mit dem Integrationsthema in Kontakt“, sagt Spindler. Sie sieht insgesamt Fortschritte. „Wir haben zum Beispiel erste von Migranten gegründete Vereine, auf die auch die Einheimischen zugehen.“ Und der Import-Kampfsport Sambo wurde durch einige Stützpunkte so weit entwickelt, dass es nun einen sächsischen Fachverband gibt. 

Auch Uwe Koch sieht die Früchte der Arbeit wachsen. Durch Schwimmangebote sei es gelungen, „viele Frauen aus Vietnam in Vereine zu integrieren.“ Seit einiger Zeit läuft zudem ein Projekt, das Inline-Skating-Kurse an verschiedenen IdS-Standorten gezielt Frauen mit Migrationshintergrund anspricht. Sie werden an den Sport herangeführt, begleitend aber auch für gestaltende Tätigkeiteiten im Verein ausgebildet. Koch: „Wir wollen möglichst viele dieser Frauen in Vorstände bringen. Wenn wir das schaffen, haben wir eine Öffnung auf beiden Seiten erreicht.“ 

(Quelle: DOSB / Nicolas Richter)


  • Fußballspiel zwischen Abraumhalden in den neuen Bundesländern (Foto: picture alliance)
    Fußballspiel zwischen Abraumhalden in den neuen Bundesländern (Foto: picture alliance)