"Es ist keiner da zum Begegnen"

Karin Weiss, ehemalige Integrationsbeauftragte von Brandenburg, kann das interkulturelle Zusammenleben in Ost und West so kompetent vergleichen wie wenige sonst. Ein Gespräch über Vielfalt und Orte, an denen sie fehlt.

Pädagogin in politischer Funktion: Dr. Karin Weiss war Integrationsbeauftragte in Brandenburg. (Foto: picture alliance)
Pädagogin in politischer Funktion: Dr. Karin Weiss war Integrationsbeauftragte in Brandenburg. (Foto: picture alliance)

Sie waren bis Ende 2011 Integrationsbeauftragte von Brandenburg, jetzt leiten Sie die Abteilung Integration und Migration im rheinland-pfälzischen Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen. Worin unterscheiden sich die Bedingungen Ihrer Arbeit hier und da? 

Die Situation ist eine ganz andere. Das betrifft zum Beispiel die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund: In Rheinland-Pfalz haben Sie es viel stärker mit EU-Bürgern zu tun und häufiger mit der dritten oder sogar vierten Generation. Auch haben Menschen mit Migrationshintergrund hier einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt. Vor allem aber ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung viel höher als in den ostdeutschen Ländern. 

Wie stark nehmen Sie die Unterschiede im Migrantenanteil zwischen Potsdam und Mainz im Alltag wahr? 

In Potsdam haben Sie in den letzten Jahren einige Veränderungen sehen können, aber der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist nicht zu vergleichen mit dem in einem Ballungsraum wie Frankfurt-Wiesbaden-Mainz. Das erkennen Sie am Stadtbild, aber auch am Umgang mit Vielfalt, der in Mainz viel selbstverständlicher ist – eben weil Vielfalt hier alltäglich gelebt wird. Ein Problem in der Integrationsarbeit in Ostdeutschland ist ja: Dort gibt es Gegenden, wo niemand mit Migrationshintergrund lebt. Interkulturelle Begegnung findet dort nicht statt, einfach weil keiner da ist zum Begegnen. 

Hauptsache Integration

Dr. Karin Weiss, Jahrgang 1951, war bis Ende vergangenen Jahres als Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg tätig. Sie hatte diese Funktion 2007 nach zuvor 13 Jahren an der Fachhochschule Potsdam übernommen, wo sie als Professorin für Sozialpädagogik gelehrt hatte. Seit 2012 leitet sie die Abteilung Integration im rheinland-pfälzischen Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen. Die frühere Sozialarbeiterin war an der Publikation diverser Schriften und Studien zum Thema Integration und Anti-Diskriminierung beteiligt.


Potsdam ist anders als die Uckermark

Genau. Und natürlich haben Sie in der Uckermark ihrerseits Differenzen, weil auch dort viel weniger Menschen mit Migrationshintergrund in den Städten leben als auf dem Land. 

Wie wirkt das alles auf die öffentliche Integrationsdebatte in den Neuen Ländern? 

Im Westen gibt es ein gewachsenes Verständnis für die Notwendigkeit interkultureller Öffnung. Dieses Verständnis wird in vielerlei Hinsicht noch nicht umgesetzt, aber das Thema Vielfalt automatisch mitzudenken, ist in Rheinland-Pfalz – in Kitas, in Schulen, am Arbeits- und Wohnungsmarkt – viel weiter verbreitet als in einem Land wie Brandenburg. Dort ist dieses Thema noch gar nicht oder erst ansatzweise ins öffentliche Bewusstsein gerückt. 

Schließt das die Sportvereine ein Ihrer Wahrnehmung nach? 

Gerade im Sport wirkt sich der unterschiedliche Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund aus - Sie werden im Westen im Gegensatz zum Osten kaum einen Verein finden, in dem es kein Mitglied mit Migrationshintergrund gibt. Der Sport ist einfach etwas, das die Menschen suchen, und das ein ganz wichtiger Moderator im Integrationsprozess sein kann. Im Sport können  Alltagsbegegnungen stattfinden, die ansonsten schwer möglich sind. Im Osten gibt es diese Begegnungen viel seltener als im Westen. Was nicht heißt, dass es nicht auch hier dringend weiterer Öffnungsprozesse und Sensibilisierung bedarf - ich halte ein Programm wie „Integration durch Sport“ für ganz wichtig, unabhängig davon, wo es umgesetzt wird. 

Muss man konstatieren, dass die Integrationsfrage in den Neuen Ländern auch deshalb seltener gestellt wird, weil die Menschen andere Themen als dringlicher empfinden? Da ist die hohe Arbeitslosigkeit, die Abwanderung, überhaupt die demographische Entwicklung. Und wo die Zahl der Migranten so relativ niedrig erscheint ... 

Diese Haltung gibt es durchaus, aber ich halte sie für wenig zukunftsfähig - gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und angesichts des Fachkräftemangels. Diese Phänomene wirken sich in den Neuen Ländern schon jetzt viel schärfer aus als in den Alten. Insofern halte ich es für dringlich, sich über eine andere Zuwanderungspolitik Gedanken zu machen. Speziell im Osten wird man künftig aktiv um Zuwanderung werben und sich auch mit Integrationsfragen beschäftigen müssen. Zum Glück ist die Debatte um Fachkräftemangel und infolgedessen auch eine Diskussion um die Arbeitsmarktintegration Zugewanderter jetzt in Gang gekommen. 

In den neuen Ländern ist innerhalb der Migranten der Anteil der Spätaussiedler sehr hoch. Sind  nicht zumindest sie weitgehend integriert? 

Man kann auch das nicht mit dem Westen vergleichen. Dort sind die Spätaussiedler nach der Wende auf Strukturen und Netzwerke getroffen, die die in den 70er und 80er Jahren zugewanderten Aussiedler geschaffen hatten. Solche Strukturen gab es in der DDR nicht, sie mussten erst aufgebaut werden. Aber das ist nicht allein entscheidend für die Integrationsprobleme auch dieser Gruppe. Entscheidend ist vielmehr, ob die Spätaussiedler Chancen auf  Arbeit hatten – der Arbeitsmarkt ist der Dreh- und Angelpunkt gelungener Integration. Diese Chancen waren und sind in Ostdeutschland geringer als in Westdeutschland. 

Obwohl die Spätaussiedler im Osten in der Regel höher gebildet sind. 

Aber das nützt ihnen gar nichts, wenn der Arbeitsmarkt keine Stellen hergibt. Außerdem: Je höher die Bildung, desto höher die Anforderungen zum Beispiel an Sprachkenntnisse – und wie lange es dauert, bis man eine Sprache sehr gut spricht, wissen wir alle. 

Das Programm „Integration durch Sport“ verfolgt das Prinzip „Sport plus X“, also die Kombination von Sportlangeboten mit, zum Beispiel, einem Sprachkurs oder Unterstützung bei der Praktikumsvermittlung oder Jobsuche. Wenn man Sie recht versteht, scheint dieser Ansatz im Osten höchst angeraten. 

Er ist wichtig und positiv – grundsätzlich, aber im Osten sicher besonders. 

Er ist dort aber auch schwerer umzusetzen, oder? Die Vereine sind kleiner, haben weniger Ressourcen und erreichen Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich schwerer.

Und die Rahmenbedingungen sind andere. Sie haben nun mal nicht die gleiche Wirtschaftskraft wie im Westen. Wenn ich in einem Bundesland lebe, in dem es mehr oder weniger Vollbeschäftigung gibt, finden auch Menschen mit ausbaufähigen Sprachkenntnissen oder nichtdeutscher Ausbildung Zugang zum Arbeitsmarkt. Ansonsten ist das deutlich schwerer. 

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Nicolas Richter)


  • Pädagogin in politischer Funktion: Dr. Karin Weiss war Integrationsbeauftragte in Brandenburg. (Foto: picture alliance)
    Pädagogin in politischer Funktion: Dr. Karin Weiss war Integrationsbeauftragte in Brandenburg. (Foto: picture alliance)