„Wenn ich das sehe, dass viele wirklich jede Woche hier hin kommen für eine Stunde Bewegung und sich jetzt so viel besser bewegen als am Anfang, dann macht mich das froh“, sagt Fadime Polat. „Das ist wirklich wertvoll, was man hier auf die Beine gestellt hat.“ Fadime Polat ist eine von vier Frauen, die im DOSB-Projekt GeniAl (Gemeinsam bewegen – Gesund leben im Alter) derzeit ihre Ausbildung zur Übungsleiterin mit dem Schwerpunkt Ältere im Solinger Sportbund absolvieren. Damit ist ein wichtiges Zwischenziel im Projekt bereits erreicht: Menschen mit Migrationsgeschichte zu Übungsleitenden auszubilden.
Aus den Worten von Mirella Kuhl, die das GeniAl-Teilprojekt des LSB Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit dem Solinger Sportbund leitet, ist unverkennbar ein gewisser Stolz herauszuhören. Sie ist hoch erfreut über den Weg der angehenden Übungsleiterinnen Fadime Polat, Sehriban Dermirci und Gülsen Kutlu, die neben Chrysanthi Stratopoulou (Seniorenberaterin im Modellprojekt „Guter Lebensabend NRW), in diesem Gespräch Auskunft gaben über das Projekt. „Wir wollten genau die Frauen, die aus den Communities kommen, stark und fit machen für die Themen rund um Gesundheit und Bewegung im Alter“, sagt Kuhl, „nur über sie kommen wir in viele verschiedene Communities hinein.“ Denn mit dem GeniAl-Projekt sollen ältere Menschen mit Migrationssgeschichte erreicht werden.
Eine große Hilfe ist dabei das unschätzbare Netzwerk in der Stadt Solingen mit dem Kommunalen Integrationszentrum, den Migrant*innen-Organisationen, dem PariSozial Solingen, der Quartierssozialarbeit und dem Projekt der Stadt Solingen „Guter Lebensabend NRW“, an das GeniAl direkt andocken konnte. Im „Guter Lebensabend“ geht es vor allem um kultursensible Altenhilfe und Gesundheitsvorsorge, das ergänzt nun GeniAl mit Sport und Bewegung. „Wir haben alles an Netzwerken genutzt“, sagt Mirella Kuhl, „wir konnten in bestehende Gruppen reingehen, manche Gruppen haben sich ganz neu gegründet. Dadurch können neue Gruppen auch von Erfahrungen anderer lernen.“
Ein gutes Beispiel sind bereits lange bestehende Frühstücksgruppen für Migrant*innen, in die nun das Thema Sport aufgenommen wurde. „Es ist nicht einfach, ältere Migrant*innen in Bewegung zu bekommen“, sagt Fadime Polat, die eine Gruppe leitet. Angefangen haben sie deshalb mit Spaziergängen im Stadtteil, direkt nach dem Frühstück. Bald fanden sich erste Freiwillige, die bereit waren, weitere Bewegungsangebote für die Frauen vor Ort zu machen. „Das haben wir dann begleitet mit Informationen, was man mit Älteren machen kann und wie man mit dem Thema umgeht“, so Polat.
Um den Freiwilligen die Angst vor Neuem zu nehmen, bot Mirella Kuhl einen Workshop zum Thema „Neues lernen“ an. In diesem Fall war das die Musik: In drei Stunden wurde zusammen Ukulele gelernt. „Es ging darum zu fühlen, wie es ist, wenn man etwas gar nicht kann“, erklärt Mirella Kuhl. „Und dann ein Gefühl dafür zu bekommen, dass man vieles lernen kann.“ Denn oft ist das Hemmnis der Gedanke im Hinterkopf: Sport kann ich doch nicht. Davon erzählt auch Gülsen Kutlu: „Wenn ich früher Gruppen im Rehasport oder Verein gesehen habe, habe ich gedacht, das kann ich nicht. Ich hätte höchstens mal als Teilnehmerin hingehen können. Und jetzt weiß ich, dass ich das schaffen kann mit der Übungsleiter-Ausbildung. Ich finde das klasse für mich, wie ich mich weiterentwickelt habe, obwohl ich zwei Kinder habe und noch einen Teilzeit-Job. Aber ich mache das so gerne und freue mich jedes Mal auf die Gruppe.“
Sehriban Demirci, die wie Kutlu und Polat über die Frühstücksgruppe zum Thema Sport und Bewegung kam, ist auch voller Begeisterung dabei. „Ich bin auch dazu gekommen, weil meine Mutter 80 ist und ich auch sie in Bewegung bringen wollte. Sie hat mich auch immer unterstützt, wenn ich weiterlernen wollte. Und wenn ich jetzt zu ihr sage, dass ich zu den Altersfitnesstagen gehe und dort helfe, freut sie sich und ist stolz. Ich mache auch viel mit ihr und in der Verwandtschaft, ich sage, das habe ich gelernt, das machen wir jetzt. Und es macht mich stolz, dass ich bisschen helfen kann.“
Bei diesen Worten geht Mirella Kuhl und Chrysanthi Stratopoulou natürlich das Herz auf, zumal Gülsen Kutlu betont, dass sie durch „Mirella und Chrysanthi animiert wurde“. Beide sind sehr angetan vom persönlichen Engagement der künftigen Übungsleiterinnen. „Das ist das A und O“, sagt Stratopoulou, „wenn jemand ein Angebot machen kann und die Begeisterung mitbringt. Jede Gruppe braucht so eine Schlüsselperson.“ Mirella Kuhl ergänzt: „Das sind sehr aktive Frauen, die zum Teil in bestehende Gruppen das Thema Bewegung, Gesundheit und Altenhilfe hineingebracht haben. Und jetzt sind wir bei der Übungsleitenden-Ausbildung.“ Gleichzeitig hat sie die Zukunft im Blick. „Wir wollen nicht stehen bleiben. Der Plan ist, mit dieser Gemeinschaft weiterzumachen. Fadime Polat hat z.B. ein gutes Gefühl dafür, wen sie in der Gruppe ansprechen kann, um die nächsten stark zu machen.“ Und damit das Netz immer weiter auszubauen und mehr anbieten zu können.
Für die derzeitigen Anwärterinnen hat Kuhl bereits Verbindung zu einem Sportverein hergestellt. Eine Übungsleiterin des WMTV Solingen kommt regelmäßig zur Gruppe, um die Sport- und Bewegungsstunde zu leiten. Die angehenden Übungsleiterinnen hospitieren und können dabei Praxiserfahrung sammeln.
Im Fall der Frühstücksgruppe kommen mittlerweile bis zu 20 Frauen zur regelmäßigen Bewegung. Sehr beliebt ist u.a. die Wassergymnastik, an der derzeit nicht mehr als 15 aufgenommen werden können, obwohl es mehr Interesse gibt. Es gibt eine Schwimmgruppe, es wird gejoggt, und den Spaziergängen schließen sich sogar immer mehr Frauen aus der Nachbarschaft an, die gar nicht zur Gruppe gehören. Die, die mitmachen, spüren bald, dass Bewegung gut für sie ist, weitere kommen durch Mundpropaganda. „Älter werden ist eben für viele ein Thema, auch für junge Menschen, weil die Familienmitglieder älter werden“, sagt Mirella Kuhl. „Wir wollen an alle vermitteln, dass älter werden nicht schlimm sein muss. Man kann vorher was tun, und dafür brauchen wir den Sport.“
Das Projekt läuft bis Ende 2023, aber Mirella Kuhl blickt weiter. Sie will ihre Erfahrungen weitergeben. „Wir probieren das hier in Solingen aus und möchten ein Konzept schreiben, was funktioniert gut, was weniger gut.“ Ihre Projektmitarbeiterin Yoneiry Torres De Jesus, die Sport studiert, wird das Thema überdies auch in ihrer Bachelorarbeit aufgreifen. Damit auch andere Städte in NRW profitieren können und ggf. wie Solingen die Verbindung von Sport und Bewegung mit dem NRW-weit laufenden Projekt „Guter Lebensabend“ nutzen können.
Das DOSB-Projekt GeniAl wird – im Rahmen des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ (IdS) – vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Es ist ein Kernvorhaben des Nationalen Aktionsplans Integration (NAP-I), das bis Ende 2023 umgesetzt werden soll.
Text: Ulrike Spitz