Europaspiele, der zweite Versuch

Belarus hat mit Minsk die Chance einen weiteren Schritt zur Akzeptanz der European Games als kontinentale „Spiele“ zu machen.

Flamme der Europaspiele auf dem Weg nach Minsk. Foto: picture-alliance
Flamme der Europaspiele auf dem Weg nach Minsk. Foto: picture-alliance

Bei den ersten European Games 2015 in Baku/Azerbaidschan gelang es nie, das Gefühl von Potemkinschen Dörfern zu verwischen und dem Personenkult der Herrscherfamilie Alijew zu entkommen. Auch sportlich war der erste Versuch, kontinentale Spiele auf dem Heimatkontinent der Olympischen Spiele zu etablieren, kein Erfolgsmodell. Hier blieb die Sportfamilie größtenteils unter sich, es gelang kein echter Brückenschlag zur Bevölkerung des Gastgeberlandes, und die Darbietungen – insbesondere in der Leichtathletik – grenzten vor der Kulisse eines gähnend leeren, riesigen Stadions an einen Salto Nullo, den Wettkampf eines Weit-, Hoch- oder Stabhochspringers ohne gültigen Versuch. Nun beginnen am Freitag mit der Eröffnungsfeier in Minsk die 2. European Games –  ein zweiter Versuch.

Kleiner, bescheidener und dank der sportbegeisterten und gastfreundlichen belarussischen Bevölkerung fröhlicher und herzlicher soll die Ausgabe dieser Kontinentalwettkämpfe ausfallen. Das bietet Perspektiven für Gastgeberland Belarus und die European Games zugleich.

Politisch hat sich das ehemals isolierte Belarus, dem Präsident Aleksandar Lukaschenko seit 1994 autoritär vorsteht, in den letzten Jahren auch auf Grund seiner besonderen Beziehung zum großen Nachbarn Russland wieder zu einem Gesprächspartner entwickelt. Der Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2018 war ein Symbol für diese Annäherung. Trotz oder wegen der wirtschaftlichen und geopolitischen Abhängigkeit von Russland stärken solche Zeichen die Eigenständigkeit und die Orientierung von Belarus Richtung Westen.

Ein internationales Sportgroßereignis, das sich im Wettbewerb mit der Konkurrenz der European Championships noch am Markt beweisen muss, bietet Belarus die Chance, sein internationales Image aufzubessern. Im Anblick der eindeutig negativen Bilanz im Bereich der Menschenrechte und der staatlich organisierten Einschränkung von Pressefreiheit, über die sich der DOSB informiert und seine Team-D-Mitglieder per Videocast eingebunden hat, ist es naiv zu glauben, dass eine Sportveranstaltung Zustände im Gastgeberland grundsätzlich verändern kann.

Dennoch ist es geboten, sich zunächst einmal vor Ort ein Bild zu machen. Im Gespräch mit Sportlerinnen und Sportlern, aber auch mit Menschen, die sich in der Zivilgesellschaft in Belarus unter schwierigen Bedingungen kritisch mit dem Regime auseinandersetzen, werden wir uns ein Bild von Belarus machen und uns auch dazu äußern, ohne dabei unsere Rolle überzubewerten. Und wir werden der Millionen Opfer gedenken, die unter der Besatzung durch Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg zu Tode gekommen sind.

Ob das Sportprogramm und damit die European Games einen Fortschritt auf dem Weg zur Etablierung als kontinentale „Spiele“ zurücklegen, wird nicht zuletzt von der Akzeptanz abhängen. Bei den Aktiven, den Zuschauern, den Medien und nicht zuletzt bei den Verbänden ist es noch ein langer Weg bis zur Anerkennung als sportlicher Höhepunkt. Belarus hat in den kommenden Tagen die Chance, diesen Weg mitzugestalten und sich als Gastgeber sportbegeistert sowie offen, tolerant und authentisch zu präsentieren. Lassen wir uns überraschen!

(Autor: Christian Sachs ist Leiter des Hauptstadtbüros des Deutschen Sports in Berlin)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Flamme der Europaspiele auf dem Weg nach Minsk. Foto: picture-alliance
    Sportlerinnen und Sportler tragen die Olympischen Fackel. Foto: picture-alliance