Im internationalen Hochleistungssport werden aus guten Gründen männliche und weibliche Leistungsklassen in fast allen olympischen Disziplinen unterschieden. Warum Männer und Frauen sich in getrennten Wettbewerben ihre Sieger suchen, geht auf den Wunsch der Athletinnen und Athleten selbst zurück. Erfahrungen, die sich auf einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren beziehen, haben gezeigt, dass das Prinzip des Fairplay, das den modernen Hochleistungssport zu prägen hat, verletzt wird, wenn sich Frauen mit Männern in bestimmten Sportarten messen müssen. Dies gilt für die Leichtathletik gleichermaßen wie für das Schwimmen. Auch in den meisten Mannschaftssportarten wird im Interesse des Fairplay nach Geschlechterklassen unterschieden. Eine Ausnahme macht lediglich der Reitsport.
Phänomen der Intersexualität
Die Festlegung, dass sich die Menschheit nach zwei Geschlechtern unterscheiden lässt, hat sich als juristisch tragfähig erwiesen und findet mittlerweile in allen Staaten der Welt Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn von Wissenschaftlern darauf hingewiesen wird, dass die Natur des Menschen diese Festlegung als willkürlich erscheinen lässt. Es wird dabei auf das Phänomen der Intersexualität hingewiesen, teilweise wird vom Dritten Geschlecht gesprochen, es gibt auch Wissenschaftler, die unter Berücksichtigung verschiedener Chromosomenkonstellationen von mehreren Geschlechtern sprechen.
Verdacht, keine "richtigen" Frauen zu sein
Dass die Natur des Menschen sich nicht ganz dem unterwirft, was die Menschheit für sich selbst festgelegt hat, hat auch der Sport seit vielen Jahrzehnten spüren können. Es waren dabei vor allem Wettkämpfe von Frauen, die unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit und mit Blick auf das Prinzip des Fairplay in Frage gestellt wurden. Athletinnen wurden verdächtigt, dass sie keine „richtigen“ Frauen seien. Dabei gibt es zum einen die Möglichkeit des Betruges, dass Männer sich absichtlich als Frauen ausgeben, um in den Wettkämpfen der Frauen Erfolge zu erzielen, die sie bei einer Teilnahme in einer Auseinandersetzung unter reinen Männern nicht erreichen könnten. Die Auflösung solcher Fälle ist relativ einfach. Der Betrug ist aufzudecken und entsprechende Sanktionen sind durchzusetzen.
Viel schwieriger sind die Sachverhalte, wenn Athletinnen verdächtigt werden, aus Sicht der Konkurrentinnen unerlaubterweise an Wettbewerben teilzunehmen, ohne dass sich die Athletinnen irgendeiner Schuld bewusst sind, sie selbst sich als Frauen sehen und dabei auf eine weibliche Sozialisation seit ihrer Geburt verweisen können. Wird der Männlichkeitsverdacht ausgesprochen, so kommt dies gewollt oder ungewollt einer Diskriminierung gleich. Eine Athletin wird in ihrer Identität in Frage gestellt, ihr Anspruch auf Privatheit wird verletzt, es entsteht ein Rechtfertigungszwang, ohne dass etwas zu rechtfertigen ist.
Unauflösbares Dilemma
Wer für die Durchführung fairer Wettkämpfe in der Welt des Sports verantwortlich ist, befindet sich in diesem Zusammenhang in einem unauflösbaren Dilemma. Dabei stehen zwei bedeutsame Werte in einem Beziehungskonflikt. Aus der Sicht des Individuums geht es um den Schutz der Identität und um den Schutz der Privatheit, aus der Sicht der Sportorganisationen geht es um den Schutz des Fairplay-Prinzips, um die Gewährung chancengerechter Wettkämpfe gegenüber den Beteiligten, die sich auf der Grundlage von Regeln verpflichtet haben, faire Wettkämpfe auszutragen. Die Teilnahme an Wettkämpfen des Sports ist freiwillig. Wer an Wettkämpfen teilnimmt, gibt ein Versprechen ab, dass er sich an die vereinbarten Regeln hält, die unter der Maxime des Fairplay für die Sportarten schriftlich niedergelegt sind. Aus der Sicht des organisierten Sports muss das Fairplay-Prinzip gegenüber dem individuell relevanten Wert der Privatheit höher gewichtet werden. Für den Sport kommt es allerdings darauf an, dass er einen Weg findet, die Privatheit des Athleten zu respektieren und in hohem Maße eine Vertraulichkeit abzusichern, wenn es zur Infragestellung des fairen Wettkampfes kommt.
Beziehungskonflikt zwischen Fairplay und Privatheit
Seit Jahrzehnten sind deshalb die Verbände bemüht, gemeinsam mit Medizinern, Juristen und Ethikern tragfähige Regeln zu finden, die das eigene System absichern und das Prinzip des Fairplay schützen. Dabei sollte jedoch möglichst weitreichend auch die Privatheit des Athleten beachtet werden. Stellvertretend für viele internationale Fachverbände die von diesem Problem betroffen sind, hat nun der Internationale Leichtathletikverband IAAF seine Regeln geändert, um den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus dem Beziehungskonflikt der beiden Werte stellen. Kommt es zu Zweifeln in Bezug auf Chancengleichheit in weiblichen Wettbewerben, so sollen zukünftig eindeutig definierte Hormonwerte die Frage nach der Starterlaubnis beantworten. Die Analysen hierzu dürfen nur von international anerkannten Experten durchgeführt werden und die Entscheidung dieser Experten muss von den Verbänden als verbindlich akzeptiert sein. Weltweit wird es dabei zunächst sechs so genannte Excellenz-Center geben, in denen die entsprechenden Untersuchungen durchgeführt werden können. Für die Untersuchungen wird höchste Vertraulichkeit gewährt und garantiert und die Untersuchungen selbst können nur auf freiwilliger Basis unter Beteiligung der betroffenen Athletin durchgeführt werden. Die Sportart Leichtathletik übernimmt dabei eine Pilotfunktion für viele olympische Sportverbände. Es ist davon auszugehen, dass auch der Internationale Fußballverband FIFA und weitere internationale Fachverbände sich den neuen Regularien der Leichtathletik anschließen werden.
Privatheit mit höchster Vertraulichkeit respektieren
Dem organisierten Sport ist mit diesen Regelsetzungen ein Meilenstein gelungen. Das eigene System hat dabei den notwendigen Schutz erhalten, den es dringend benötigt. Die Identität der Athleten ist dabei weitgehend geschützt und man wird bemüht sein, die Privatheit mit höchster Vertraulichkeit zu respektieren. Das eigentliche Dilemma ist davon jedoch unberührt. Das öffentliche Interesse am Erhalt des Fairplay-Prinzips wird höher gewichtet als der Schutz der Privatheit. Das Interesse der Gemeinschaft steht vor dem Interesse des Einzelnen. Aus der Sicht des Sports scheint die angestrebte Lösung eine faire Lösung zu sein. Neben der Unterscheidung in Männer und Frauen weitere Unterscheidungen einzuführen und entsprechend die Organisation des sportlichen Wettbewerbs zu gestalten, ist ebenso unrealistisch wie utopisch. Gleiches gilt für den Vorschlag, dass die Beteiligten in den sportlichen Wettkämpfen das jeweilige soziale Geschlecht des Anderen respektieren sollten. Wer weiß, um was es im modernen Hochleistungssport geht, was Sieg und Niederlage bedingt und welche materiellen Erfolge bzw. Misserfolge Siege und Niederlagen nachvollziehen, der kann solche Vorschläge allenfalls als ideelle Wünsche respektieren. Die Praxis selbst wird sie jedoch als naiv zurückweisen. Der nun eingeschlagene Weg ist deshalb vermutlich ohne Alternative. Eine kritische Begleitung des neuen Verfahrens ist dennoch wünschenswert und notwendig. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass auch noch bessere Lösungen möglich und sinnvoll sein können.