Fan-Feste sind mehr als Party

Beim gemeinsamen Fußballgucken wird die friedensstiftende Kraft des Sports sichtbar, meint Prof. Hans-Jürgen Schulke, Vizepräsident von Special Olympics.

Im Stadion "Alte Försterei" des FC Union in Berlin konnten Fans sogar ihr Sofa mitbringen. Foto: picture-alliance
Im Stadion "Alte Försterei" des FC Union in Berlin konnten Fans sogar ihr Sofa mitbringen. Foto: picture-alliance

Spätestens mit dem begeisternden Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft im ersten Weltmeisterschaftsspiel gegen Portugal waren sie wieder überall im Blick und den Medien: Die bunten wie fröhlichen Fanfeste – despektierlich als „Rudelgucken“ und irrtümlich als „Public Viewing“ (im angelsächsichen Sprachraum der öffentliche Abschiedsblick auf Verstorbene) etikettiert. Hunderttausende in Berlin, Hamburg und ungezählten anderen passenden Orten feierten den grandiosen Sieg – und sich selbst.

Was 2006 noch als ganz neues Phänomen das Sommermärchen ermöglichte, scheint über das Wort des Jahres zum gewohnten Ritual geraten. Das ist nur der halbe Blick. Das Betrachten faszinierender Ereignisse auf riesigen Bildschirmen, das bei jedem Wetter mehr Details und Hintergründe erkennen lässt als leibhaftiges Zuschauen, findet mittlerweile bei Kirchentagen, Opernaufführungen und Thronbesteigungen seine Fortsetzung.

Neue Formen entstehen auch bei dieser WM. Die Verlagerung in moderne Fußballstadien aus sanitären wie sicherheitstechnischen Gründen, ein Corporate Viewing von Firmen in großzügigen Innenhöfen mit Beköstigung, ein feuchtfröhliches Kneipen-TV oder auch die Präsentation in einem sakralen Raum (der Flankengott bedient den Himmelsstürmer) eröffnet ein weites Feld. Es wird durch die Weiterentwicklung der Bildschirmtechnik bespielbar.

Die schrankenlose Fröhlichkeit bleibt Privileg des Sports und seiner großen Veranstaltungen. Mehr denn je faszinieren sie die Menschen, lassen für Momente den geordneten Alltag, einsames Arbeiten, kulturelle Grenzen und regulierte Emotionen vergessen. Sie sind und bleiben ein seltenes, grenzüberschreitendes Gemeinschaftserlebnis, bei dem sich Menschen flirtend wie freudetrunken, fachmännisch wie freundschaftlich nahe kommen. Immer wieder sah man, dass portugiesischen Besuchern des Fanfestes statt Häme schulterklopfend das Mitgefühl versichert wurde. Die gemeinschafts- und wohl auch friedensstiftende Kraft des Sports wurde sichtbar.

Das sollte bei aller Kritik an den Auswüchsen des „Großen Sports“ nicht vergessen werden. Genau so wenig wie die Tatsache, dass im Teilnehmerland Nigeria wegen der dortigen Kriegshandlungen die Fanfeste abgesagt, selbst in Brasilien aus Sicherheitsgründen eingeschränkt wurden.

Sport setzt Zeichen und stößt gleichermaßen an seine Grenzen.

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier als DOSB-Blog veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Im Stadion "Alte Försterei" des FC Union in Berlin konnten Fans sogar ihr Sofa mitbringen. Foto: picture-alliance
    Im Stadion "Alte Försterei" des FC Union in Berlin konnten Fans sogar ihr Sofa mitbringen. Foto: picture-alliance