Gerade haben die Menschen Weihnachten gefeiert und oft spektakulär das Neue Jahr begrüßt. Schließlich beginnt bei großzügiger Rechnung sogar ein neues Jahrzehnt, bei dem man sich fragen darf, ob es noch mehr umwälzende Veränderungen bringen wird als die vorhergehende Dekade – in Arbeit, Technik, Umwelt und auch Sport schreitet die Digitalisierung atemlos voran. Und in der Politik die Diversifizierung. Es bleibt offen, ob es künftig etwas Gemeinsames zu feiern gibt.
Haben tatsächlich „die Menschen“, gar die ganze Menschheit, in den vergangenen Tagen gefeiert? Mitnichten. Weihnachten haben die Christen gefeiert und auch die nicht mal einheitlich – von Heiligabend über den ersten Weihnachtstag bis zum Januar reicht der Termin für das heiligste Fest dieser Religion. Und Neujahr ist auch keineswegs überall kalendarisch auf den doch eigentlich physikalisch für alle errechenbaren ersten Januar fixiert – die Chinesen geben sich mit ein paar Tagen Verspätung gelassen. Ist also die globale Gesellschaft nicht in der Lage, den hoffnungsbesetzten Sprung in ein neues Jahr(zehnt) gemeinsam zu feiern, flüchtet sich in von Leuchtraketen geprägte einzelne Spektakel überall in der Welt? Fast sieht es so aus.
Aber eben nur fast. Nach wie vor hat die Menschheit ein gemeinsames Fest, bei dem die Menschen aus 206 Nationen friedlich zusammen kommen, nach allseits anerkannten Normen sich gegenseitig respektieren, mehr als die Hälfte der Menschheit in den Medien diese Begegnungen unerschöpflicher Bewegungsvielfalt mit unstillbarer Begeisterung und Leidenschaft verfolgen. Die Olympischen Spiele, eng verbunden mit den Paralympics. Dieses Jahr in Tokio. Bei der Eröffnungsfeier im Stadionrund wird wieder ein Land der Welt seine bewegende Geschichte erzählen und Milliarden werden gebannt in das Olympische Feuer schauen. Alle wissen, dass dieses Feuer nicht immer klar leuchtet, dass versucht werden wird, in seinem Schatten den eigenen Vorteil zu sichern, die Flammen vielleicht zu viel Wärme absondern, ein Verirrter einen Brandbeschleuniger in der Hand hält. Dennoch: Der Faszination und der Hoffnung tut das keinen Abbruch. Ohne Olympische und Paralympische Spiele wäre die Welt ärmer. Es lohnt sich mehr denn je, um ihren Erhalt und ihre Weiterentwicklung zu kämpfen. Auch und gerade in dieser beginnenden Dekade.
Kein Wunder also, dass eine Bewerbung um Olympische Spiele mediales wie populäres Interesse hervorruft. In Deutschland gilt das weniger, denn – beginnend mit den Reiterspielen 1956 – ist (zu) oft eine Bewerbung gescheitert. Zuletzt – man kann Berlin 2000 dazu zählen – am Widerspruch der Bevölkerung. Da ist es erstaunlich mutig, wenn eine private Initiative in Nordrhein-Westfalen detaillierte Standortplanungen für 2032 vornimmt. Ohne dass heute schon gesichert wäre, welche Sportarten und Wettbewerbe dann ausgetragen werden, was das für Anforderungen an Wettkampf- und Trainingsstätten ergibt, in welchen Formen sich digitale Mobilität, Bautechnik, Verpflegung und Kommunikation bis dahin entwickelt haben – die Umweltbelastung kommt übergreifend hinzu. Geradezu kurios wirkt dann schon eine Initiative aus einer regionalen Bank in Thüringen, sich dort um Olympische Winterspiele zu bewerben.
Der DOSB und die Bundesregierung haben einen anderen Weg gewählt, wollen sich breiter aufstellen. DOSB-Präsident Hörmann formuliert angesichts der ungebrochenen Bereitschaft vieler Länder und Städte um die Ausrichtung Olympischer Spiele - gerade haben Barcelona, Salt Lake City und Sapporo ihr Interesse an der Ausrichtung von Winterspielen 2030 hinterlegt – wiederholt ein behutsameres Vorgehen bei Bewerbungen, womit die Akzeptanz der Bevölkerung gewonnen werden kann und zugleich die Präsenz auf der internationalen Sportbühne gesichert bleibt. Das ermöglicht weniger Gigantismus und mehr Innovationen bei der Organisation dieser Veranstaltungen. Mehr Fest und weniger Spektakel, wie es schon der französische Schriftsteller Roger Vailland vor 75 Jahren forderte.
Dem kommt die Olympische Bewegung durchaus entgegen. Schon seit vielen Jahren wurde das Portfolio Olympischer Spiele Schritt um Schritt erweitert. Lange Tradition haben Makkabiaden und Universiaden, die Paralympics, Deaflympics und Special Olympics komplettes olympisches Format, die kontinentalen Olympics sind fest etabliert, mittlerweile auch die Olympischen Jugendspiele im Winter und Sommer. Gerade sind sie in Lausanne feierlich eröffnet worden, Südkorea möchte die nächsten Winterspiele ausrichten. Gerne kann man auch die ideenreichen Weltgymnaestraden dazu zählen (zuletzt in Göteborg und Dornbirn) und selbst die Internationalen Deutschen Turnfeste haben eine einmalige Strahlkraft in andere Länder – das nächste findet 2021 in Leipzig statt.
Dieser Pfad wird hierzulande bereits getreten. Eine Makkabiade wurde in Berlin gefeiert, 2023 werden die Special Olympics World Games Millionen Menschen mit ihrer unverstellten Fröhlichkeit begeistern, beim der ADH ist die Universiade 2025 bereits fest gelistet. Auch die TAFISA Weltkonferenz 2023 in Düsseldorf wird Impulse für den Breitensport setzen. Dieser deutsche Weg einer Verknüpfung von Spitzen- und Breitensport, von Kultur, Wissenschaft und Bildung zu einem großen gemeinsamen Fest scheint nachhaltiger, als nur hinter dem spektakulären Monolithen „Olympische Sommerspiele“ hinterher zu hecheln. Olympia ist überall. Treffend formulierte das Hugo von Hoffmannsthal in einem kleinen Märchen: „Ein Kind wurde gefragt, ob es nach den Sternen greifen wolle. Ja, sagte es und legte seine Hände auf die Erde“.
(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke)
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