Was sagen Sie im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi zur russischen Gesetzgebung in Bezug auf Schwule und Lesben?
Der DOSB hat und wird stets deutlich machen, dass Diskriminierung jeglicher Art bei Olympischen Spielen, also auch die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, nicht zu unseren Wertvorstellungen passt. Bereits im Juni 2013 besprach der DOSB das Thema mit Human Rights Watch. Im Ergebnis hat der DOSB das IOC gebeten, in dessen laufenden Gesprächen mit den Ausrichtern der Olympischen Spiele das Thema Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung erneut anzusprechen. Das IOC hat das Thema gegenüber dem Organisationskomitee für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi und gegenüber der Regierung der Russischen Föderation mehrfach zur Sprache gebracht, und die Zusicherung erhalten, dass es während der Olympischen Spiele in Sotschi keinerlei Diskriminierung geben wird – die Spiele also offen für alle sind.
Grundsätzlich gilt, dass Sport ein Menschenrecht ist und alle Menschen Zugang zum Sport haben müssen, unabhängig von ihrer Rasse, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Religion – so wie es auch in der Olympischen Charta heißt. Dies gilt selbstverständlich auch für die Olympischen Spiele und schließt Athleten, Offizielle, Zuschauer und Journalisten ein. Das IOC wird sich gegen alle Bestrebungen zur Wehr setzen, die diesem Prinzip zu wider laufen. IOC und DOSB werden alles in ihrer Macht stehende tun, um dieses Prinzip auch in Sotschi sicher zu stellen.
Zur Position des IOC zum Thema
Was sagen Sie zu den Äußerungen von Jelena Issinbajewa über die russische Gesetzgebung in Bezug auf Schwule und Lesben?
Sie hat inzwischen klargestellt, dass sie gegen jede Form der Diskriminierung bei Olympischen Spielen Position bezieht.
Was sagen Sie dazu, dass einer schwedischen Hochspringerin bei der Leichtathletik-WM in Moskau das Lackieren ihrer Fingernägel in Regenborgenfarben verboten worden ist?
Dies war eine Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF auf Grund von dessen Regeln und keine Entscheidung des IOC. In der Olympischen Charta, die bei den Winterspielen in Sotschi gilt, heißt es in Regel 50, dass jegliche politische Demonstration innerhalb der Olympischen Stätten verboten sind: „No kind of demonstration or political, religious or racial propaganda is permitted in any Olympic sites, venues or other areas.“
Schränkt diese Regel nicht die Meinungsfreiheit ein?
Nein. Die freie Meinungsäußerung wird nicht eingeschränkt. Athleten dürfen sich jederzeit und an jedem Ort frei äußern, beispielsweise in jedem Interview. Verboten sind lediglich demonstrative Gesten wie z.B. das Tragen von Bannern oder Schriftzügen in den olympischen Stätten.
Warum gibt es dieses Demonstrationsverbot?
Das grundsätzliche Verbot von „Demonstration und Propaganda“ ist deshalb bei einer weltumfassenden Veranstaltung wie den Olympischen Spielen unumgänglich, weil diese mit ihrer medialen Aufmerksamkeit sonst schnell zur Bühne für jegliche Art von politischen Demonstrationen würden, die vom Recht der Meinungsfreiheit gedeckt werden - eben auch für jene Themen, die nicht dem westlichen Wertekanon entsprechen. Das wäre dann das Ende von globalen Sportveranstaltungen, die gerade wegen ihrer politischen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität so viel für die Völkerverständigung leisten, wie das Beispiel der Schützinnen Natalia Paderina aus Russland und Nino Salukwadse aus Georgien bei den Olympischen Spielen in Peking belegt. Sie umarmten sich damals auf dem Siegerpodest, während ihre Länder wenige Stunden zuvor in einen militärischen Konflikt eingetreten waren. Die Welt überschrieb ihren damaligen Bericht mit der Titelzeile: „Eine Umarmung als Botschaft des Friedens“.
Macht es nicht einen Unterschied, ob jemand gegen Diskriminierung oder für ein Menschenrecht demonstriert oder ob jemand sich beispielsweise mit einer Kriegspartei solidarisch erklärt?
Hier haltbare Grenzen zu ziehen, gelingt der Politik nicht und ist erst recht dem Sport unmöglich. Deshalb gilt bei Olympischen Spielen das generelle Demonstrationsverbot.Wie sollte angesichts von weltweit Dutzenden nationalen, internationalen und religiösen Auseinandersetzungen und von teilweise hoch umstrittenen politischen Fragestellungen eine Grenzziehung aussehen, die nicht zugleich die Meinungsfreiheit des jeweils Andersdenkenden massiv einschränkt?
Ist ein Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi eine Option?
Nein. Boykotte von Olympischen Spielen sind niemals eine Option, wie das Beispiel Moskau 1980 belegt. Einen Boykott lehnen nicht nur der Sport und führende Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder US-Präsident Barack Obama ausdrücklich ab, sondern auch die Betroffenen der russischen Gesetzgebung, also die russische LGBT-Bewegung.
Können die Olympischen Spiele nicht in eine andere Stadt verlegt werden, z.B. nach Vancouver?
Nein, das käme einem Boykott gleich und ist auch schon aus organisatorischen Gründen absolut unmöglich.
Warum werden Olympische Spiele überhaupt in Länder wie Russland vergeben?
Die Olympischen Spiele sind vor sechs Jahren, im Jahr 2007, nach Sotschi vergeben worden. Damals gab es die russische Gesetzgebung in Bezug auf Schwule und Lesben in ihrer aktuellen Form noch nicht. Unabhängig davon können Olympische Spiele nicht dazu genutzt werden, Gesetze eines Landes zu verändern. Aber Olympische Spiele können durchaus dazu beitragen, dass Diskussionen angestoßen und öffentlich geführt werden, so wie das jetzt geschieht und wie wir das gerade auch bei der Leichtathletik-WM in Moskau erlebt haben.
Wie sollen sich Athleten vor Ort in Sotschi verhalten?
Athleten sollten das Demonstrationsverbot in den olympischen Stätten beachten, können sich aber jederzeit zu nationalen und internationalen politischen Fragen im Rahmen der Regeln äußern. Es gibt innerhalb der Regeln eine Menge Möglichkeiten für Athleten, ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen.
Gibt es positive Beispiele, wie der Sport zur Entspannung von schwierigen politischen Situationen beigetragen hat?
Ja, erinnert sei an die sogenannte Pingpong-Diplomatie der US-Amerikaner 1971 oder an die Olympischen Spiele 1988 in Seoul. Passend dazu ist auch ein Zitat des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, der sagte: „Mit Politik kann man keine Kultur machen, aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.“ Das gilt auch für den Sport, er kann ein Katalysator sein. Dazu sagt der Sportphilosoph Arno Müller: „Der Sport bietet eine Plattform, auf der man eben nicht über Raketenschutzschilde diskutiert, sondern sich einander locker nähern kann.“ Deshalb ist Sport zwar politisch neutral, aber eben nicht apolitisch.
(Quelle: DOSB)
*)Mit dem Begriff „Homosexuellen-Gesetz“ ist das am 30. Juni durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin unterzeichnete Gesetz gegen „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ gemeint, das in Medien als „Homosexuellen-Gesetz“, oder Gesetz gegen „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“, oder „Anti-Homosexuellen-Gesetz“, oder „Homophobie-Gesetz“, oder „ Gesetz gegen homosexuelle Propaganda“ bezeichnet wird. Der Begriff „Homosexuellen-Gesetz“ ist dabei nicht wertend. Die Haltung des DOSB zu Diskriminierung wird in den folgenden Fragen und Antworten deutlich.