Gedächtnislücken

Die Schulen und Hochschulen beklagen unzureichende historische Kenntnisse.

 

Viele können die Namen prägender Persönlichkeiten nicht in die jeweilige Zeit einordnen oder gar nichts damit anfangen. Dies trifft gleichermaßen für den Sport zu - trotz aller Beiträge etwa zur Geschichte in der NS-Zeit oder im geteilten Deutschland. Das ist die eine Seite der Medaille des Unverständnisses oder des Vergessens. Die andere Seite der gar nicht glänzenden Medaille verbindet sich mit einem schleichenden Aushöhlungsprozess der Geschichte des Sports an den Universitäten. Biographien der großen Gestalter des Sports sind Mangelware. Wer wagt sich an die Auseinandersetzung mit dem Leben und Wirken Willi Daumes, der bestimmenden Kraft der Nachkriegsjahre? Steht er außer historischer Griffweite? Das Symposium zu seinem 90. Geburtstag in Berlin hat nicht einmal in der Hauptstadt größeres Echo gefunden. Immerhin steht zu erwarten, dass die Rollen Carl Diems unter vier Regimen von der Kaiserzeit bis zur Bonner Republik sine ira et studio ausgeleuchtet werden. Das von Emotionen geleitete späte Entnazifizierungstribunal in seiner Geburtsstadt Würzburg sollte anspornen, sich dem zu nähern, was denn in tieferen Zusammenhängen gewesen ist.

 

Das Gedächtnis des Sports wird zunehmend reduziert. Namen verflüchtigen sich zu Schall und Rauch. Sportgestalter und Zeitzeugen in Ost und West als Quellen der so gern beschworenen Oral History sterben aus. Wertvolle Dokumente und Archive werden geschreddert oder landen im Papiercontainer, weil auch das historische Verständnis in Sportverwaltungen nicht gerade ausgeprägt ist. Zwar besitzen wir verdienstvolle Annäherungen, distanzlose Huldigungen, teils erhellende Skizzen und Abhandlungen, Mediendokumente – auch höchst unterschiedlich einzuschätzende Darstellungen etwa von Manfred Ewald oder Josef Neckermann. Doch anspruchsvolle Biographien lassen sich an wenigen Fingern abzählen, beginnend mit Ritter von Halt und Josef Göhler, bedingt Guido von Mengden. Die meisten Personen der Zeitgeschichte von Format sind ins Gedächtnis-Abseits geschickt, wie Willi Weyer, Hans Gmelin, Peco Bauwens, Hermann Neuberger, Heinz Schöbel, Walter Wülfing oder Georg von Opel, um nur einige zu nennen. Viele können mit diesen Namen schon gar nichts mehr anfangen.

 

Wird es dem Gedächtnis des Sports wie im wahren Leben gehen? Schwindet die Merkfähigkeit, wird die Wirklichkeit nur noch selektiv wahrgenommen. Am Ende steht die (historische) Amnesie, der Totalverlust.